Eugen Osswald (München)
Die Ehrenrettung der Tante
Ein Denkmalentwurf
von Eugen Ralkschmidt (München)
Ich bin zum äußersten entschlossen, und
werde meine Lanze für die Tanten ins Feuer
legen.
dlotabsns: Ich spreche als Neffe von lang-
jähriger Erfahrung, als Neffe von Geburt
wie von ehelicher Erziehung; mit einem
Wort: als geprüfter und erprobter Neffe.
Auch möchte ich vorausschicken, daß ich
ein schwacher Christ bin, willig und zuge-
neigt zwar allen Wohltaten, die mir etwa
durch die Religion der Liebe zuteil geworden
sind oder sein werden; aber lau und gebrech-
lich in der praktischen Ausführung des Ge-
botes: Liebet eure Feinde.
Demnach liebe ich meine Tanten nicht
mit dem bittersüßen Märtyrerbewußtsein des
dazu befugten Christenmenschen, sondern ganz
einfach als Mitmensch und glaubensstarker Neffe,
dem es eine hohe Ehre und große Wonne ist,
in diesen lahmen Zeiten für eine Mission ein-
zustehen.
Eine Mission???
(Er ist ganz verdreht. Wenn er seine Tanten
durchaus lieben will — was geht das uns an?
Mag er doch. Er wird sie vermutlich tapfer
beerben oder beerbt haben. Da ist leicht von
Liebe reden. Eine Mission — lächerlich!)
Diese Stimme aus dem Hintergründe habe
ich überlegen lächelnd ausreden lassen. Nun
aber erhebe ich mein Organ, mein Missions-
organ, darf ich wohl sagen, und rufe:
Nein, meine Herrschaften! Und nochmals
nein!
Ich habe keine Erbtante gehabt und werde
auch keine haben.
Meine Mission beruht also nicht auf dem
kümmerlichen Grunde einer unverfrorenen Selbst-
täuschung und Ueberhebung. Ich spreche weder
für meine noch für deine Tante im Besonderen,
ehrenwerter Widersprecher, sondern für die
Tanten der ganzen Welt. Für die gute alte
Haustante als geheiligte und in ihrem eisernen
Bestände hart bedrohte Institution der zivili-
sierten Gesellschaft; meinetwegen auch der Natur-
völker. Denn vor dieser Tante, dieser Welten-
tante, sind alle Mensche» gleich.
Habe ich nun eine Mission oder nicht, zum
Donnerwetter? — — Na also.
Wenn ich sage: die Haustante ist auf dem
besten Wege, eine Rarität zu werden und aus-
zusterben, so kann ich diese Behauptung nicht
besser beweisen als durch die triumphierenden
Kriegsreden der Frauenrechtlerinnen.
Dank dieser Kulturbewegung vermindert sich
die Zahl derjenigen Frauen zusehends, die nicht
nur nichts zu tun, sondern auch keinen Beruf
haben. Höchstens den einer weiblichen Person
unverheirateten Aussehens.
Als solche wartete sie ehedem auf den Er-
wählten ihres Herzens. Und wenn der so ver-
geßlich war nicht einzutreffen, so ging das späte
Mädchen ohne Sang und Klang in den ge-
heiligten Einzelstand der Haus- oder Familien-
tante über.
Das war einmal.
Heute denkt kein Mädchen mehr ans hei-
raten, wenigstens keines, das seinen Stolz be-
wahren und seine Perlen nicht vor die Säue
werfen will.
Sondern sie studiert die Konische Meta-
physik oder die Herzkrankheiten der Kartoffel;
sie erzieht das Volk zur Kunst oder die Eltern
zur geschlechtlichen Aufklärung der Kinder; sie
fertigt und verkauft Blusen, schreibt Maschine,
stenograph-, telegraph- und telephoniert, schließt
Lebens- und Brandversichcrungen ab, gründet
Zeitschriften und Leseklubs, referiert und de-
battiert — kurz, sie hat das Wohl der Mensch-
heit so scharf ins Auge gefaßt, daß sie absolut
Nach dem Feste
Da draußen auf der Straße wirbelt Schnee.
Vom Christbaum riecht, von Cake und PraliuL
Und andrem Süßen noch das Weihnachtszimmer.
Halbdunkel ist's. In einem einz'gen Schimmer
Sitzt Trudi mit 'nem Püppchen auf dem Knie.
Sie spielen Christnacht, Trudi ist Marie.
Geflochten hat sie sich die blonden Zäpfchen.
So was wicHeil'genschein webt um ihr Köpfchen.
Fromm sieht sie sich das nackte Kleine an.
Dicht hinter ihr lehnt der verlobte Mann,
Der brave Joseph, mit der bärt'gen Wange
In Vaters Schlasrock, unser ält'stcr Range.
Als Hirt und Engel stapfen sacht herein
Bausbäckchen, Dirn und Bub, zu zwei'»
und zwei'n,
Und drei der größten von der kleinen Bande
Agier'n die Kön'ge ans dem Morgenlande.
Auch eine Krippe hatten sie gemacht.
Ich stand gerührt, dann fragt ich unbedacht:
„Könnt ich Euch, Trudi, denn zu gar
nichts taugen?"
Sie sah mich an mit ernsten stillen Angen,
Sie sah das ganze, fromme Jngesind,
Sie sah auf Joseph, ans das Jesuskind.
„Großvater," kam es sanft von ihrer Lippe,
„Das Eselein nur fehlt noch an der Krippe."
Hd. 6y
keine Zeit mehr hat, alte Jungfer oder Haus-
tante zu werden.
Man kann diese rührigen modernen Frauen
gar nicht schlimmer verletzen, als wenn man sie
an sowas erinnert, wenn auch nur ganz sanft.
Ich will das keinesfalls tun, sondern wende
mich ausschließlich an die Männer, soweit sie
Neffen sind und mitreden können. Und frage,
leise und eindringlich:
Ist es billig, daß die gute alte Tante von
euch so ohne allen Widerspruch aufgegeben und
erledigt wird?
Sollte man ihr nicht wenigstens ein Denk-
mal setzen?
Ja, ich weiß, es gehört zum guten Ton in
den Kreisen fortgeschrittener Lebenskünstler,
über Tante Frieda oder Minna mit beißendem
Hohn die Nase zu rümpfen. Wahre Raketen
blitzenden Spottes werden abgeschossen, sobald
an euren Stammtischen irgend eine Tante zi-
tiert wird.
Man sieht dann, wenn man Augen für
die übersinnliche Welt besitzt, das zerstörte
Frauenbild gekränkt und weinend den höhe-
ren Regionen zustreben, wo Ruhe wohnt
und edle Harmonie.
Und warum fällt man dermaßen über
dieses Wesen her? Warum einigen sich
sofort die größten Feinde und drücken sich
versöhnt die Hände, um dann der Tante
eins zu versetzen?
Weil sie einen Kapotthut mit Bändern
trägt, sowie einen etwas phantastischen Pom-
padour. Weil sie mit einem Mops zärt-
liche Gefühle tauscht und einem Papagei
den unschuldigen Namen Adolf beigebracht
hat. Weil sie einmal händeringend an eurer
Zukunft verzweifelt ist, als ihr sie, die just
etwas eingenickt war, mit Nadeln auf dem
Lehnstuhl angeheftet hattet.
Natürlich, diese Lausbuberei sollte euch
die würdige Dame wohl mit Schmeiche-
leien und Schokolade belohnen?
Wenn mein Sohn Dankwart mir eine lange
Nase dreht, so lege ich ihn übers Knie, ob-
gleich ich fanatischer Anhänger der zwanglosen
Charakterbildung des Kindes bin, so im all-
gemeinen.
Wenn er besagte Nase aber der Tante
Frieda macht, so heißt es: der Junge ist doch
ein Original. Diese seltene Begabung soll man
nicht im Keime ersticken.
Doch nun ist cs Zeit, zu den positiven Ver-
diensten der Tante überzugehen.
Sie gehört zu den wenigen Menschen, die
für andere Leute Zeit übrig haben. Sie steht
nicht beständig „auf dem Sprunge", und ist
doch immer bereit, einzuspringen, wenn es in
der Familie irgendwo hapert. Durch die Fenster
ihrer stillen Stuben betrachtet, kriegt die Wirrnis
des Lebens manchmal eine ganz wunderliche
Klarheit und Einfachheit.
Von Zeit zu Zeit erscheint bei ihr die junge
Mutter und seufzt: „Ich kann nicht mehr. Diese
Kinder bringen mich noch um."
„Willst du ein paar Tage ausspannen,"
fragt die Tante, und gießt ihr die dritte Tasse
von dem berühmten Ceylon-Tee ein, den sie
immer direkt bezieht.
„Ach, wenn ich das könnte!"
„Warum denn nicht?" fragt die Tante
ruhig. „Die paar Tage kannst du mir die
Kinder schon anvertrauen."
„Du wolltest wirklich ? Aber Hermann, Gott,
er hat so seine Eigenheiten. Du kennst ihn ja."
„Freilich, ich kenne ihn besser als er denkt.
Wenn ich ihm meine Kalbsleischpastete vorsetze,
ist er schon halb besiegt. Fahr' nur zu."
Gut also, die junge Frau fährt, und der
Ehemann, dieser scheusälige Egoist, knurrt zwar
ein bißchen, aber nur insgeheim. Die Tante
zieht ein, und alles geht wunderschön, nicht zu-
letzt mit Hilfe der Pastete. Als die Hausfrau
zurückkehrt, sind die Orangen eingekocht, sämt-
liche Strümpfe gestopft, und der Bub hat neues
Unterzeug bekommen.
„Ich hätte es ihm sowieso zum Geburtstag
geschenkt," sagt die Tante abwehrcnd. Im
stillen aber beschließt sie, daß er nun doch noch
den Leiterwagen haben soll, von dem er ihr
soviel vorerzählt hat. Denn sie kann doch nicht
mit leeren Händen zum Festtag erscheiuen.
Nun aber zieht eine ernstliche Krankheit
ins Haus und die junge Mutter muß in die
Klinik. Wer hilft?
Selbstverständlich doch die Tante. Jetzt findet
es nämlich auch der Gatte ganz selbstverständlich.
Warum denn nicht die Schwiegermutter?
„Gewiß, das ginge ja auch," murmelt er.
„Aber weißt du, wenn Tante Minna Zeit hat
-für Mama ist doch die Anstrengung zu
groß . . ."
Natürlich hat Tante Minna Zeit. Sie hat
immer Zeit, wenn man sie braucht. Und ihr
Resormeifer, von dem sie ja keineswegs frei ist
1434
Die Ehrenrettung der Tante
Ein Denkmalentwurf
von Eugen Ralkschmidt (München)
Ich bin zum äußersten entschlossen, und
werde meine Lanze für die Tanten ins Feuer
legen.
dlotabsns: Ich spreche als Neffe von lang-
jähriger Erfahrung, als Neffe von Geburt
wie von ehelicher Erziehung; mit einem
Wort: als geprüfter und erprobter Neffe.
Auch möchte ich vorausschicken, daß ich
ein schwacher Christ bin, willig und zuge-
neigt zwar allen Wohltaten, die mir etwa
durch die Religion der Liebe zuteil geworden
sind oder sein werden; aber lau und gebrech-
lich in der praktischen Ausführung des Ge-
botes: Liebet eure Feinde.
Demnach liebe ich meine Tanten nicht
mit dem bittersüßen Märtyrerbewußtsein des
dazu befugten Christenmenschen, sondern ganz
einfach als Mitmensch und glaubensstarker Neffe,
dem es eine hohe Ehre und große Wonne ist,
in diesen lahmen Zeiten für eine Mission ein-
zustehen.
Eine Mission???
(Er ist ganz verdreht. Wenn er seine Tanten
durchaus lieben will — was geht das uns an?
Mag er doch. Er wird sie vermutlich tapfer
beerben oder beerbt haben. Da ist leicht von
Liebe reden. Eine Mission — lächerlich!)
Diese Stimme aus dem Hintergründe habe
ich überlegen lächelnd ausreden lassen. Nun
aber erhebe ich mein Organ, mein Missions-
organ, darf ich wohl sagen, und rufe:
Nein, meine Herrschaften! Und nochmals
nein!
Ich habe keine Erbtante gehabt und werde
auch keine haben.
Meine Mission beruht also nicht auf dem
kümmerlichen Grunde einer unverfrorenen Selbst-
täuschung und Ueberhebung. Ich spreche weder
für meine noch für deine Tante im Besonderen,
ehrenwerter Widersprecher, sondern für die
Tanten der ganzen Welt. Für die gute alte
Haustante als geheiligte und in ihrem eisernen
Bestände hart bedrohte Institution der zivili-
sierten Gesellschaft; meinetwegen auch der Natur-
völker. Denn vor dieser Tante, dieser Welten-
tante, sind alle Mensche» gleich.
Habe ich nun eine Mission oder nicht, zum
Donnerwetter? — — Na also.
Wenn ich sage: die Haustante ist auf dem
besten Wege, eine Rarität zu werden und aus-
zusterben, so kann ich diese Behauptung nicht
besser beweisen als durch die triumphierenden
Kriegsreden der Frauenrechtlerinnen.
Dank dieser Kulturbewegung vermindert sich
die Zahl derjenigen Frauen zusehends, die nicht
nur nichts zu tun, sondern auch keinen Beruf
haben. Höchstens den einer weiblichen Person
unverheirateten Aussehens.
Als solche wartete sie ehedem auf den Er-
wählten ihres Herzens. Und wenn der so ver-
geßlich war nicht einzutreffen, so ging das späte
Mädchen ohne Sang und Klang in den ge-
heiligten Einzelstand der Haus- oder Familien-
tante über.
Das war einmal.
Heute denkt kein Mädchen mehr ans hei-
raten, wenigstens keines, das seinen Stolz be-
wahren und seine Perlen nicht vor die Säue
werfen will.
Sondern sie studiert die Konische Meta-
physik oder die Herzkrankheiten der Kartoffel;
sie erzieht das Volk zur Kunst oder die Eltern
zur geschlechtlichen Aufklärung der Kinder; sie
fertigt und verkauft Blusen, schreibt Maschine,
stenograph-, telegraph- und telephoniert, schließt
Lebens- und Brandversichcrungen ab, gründet
Zeitschriften und Leseklubs, referiert und de-
battiert — kurz, sie hat das Wohl der Mensch-
heit so scharf ins Auge gefaßt, daß sie absolut
Nach dem Feste
Da draußen auf der Straße wirbelt Schnee.
Vom Christbaum riecht, von Cake und PraliuL
Und andrem Süßen noch das Weihnachtszimmer.
Halbdunkel ist's. In einem einz'gen Schimmer
Sitzt Trudi mit 'nem Püppchen auf dem Knie.
Sie spielen Christnacht, Trudi ist Marie.
Geflochten hat sie sich die blonden Zäpfchen.
So was wicHeil'genschein webt um ihr Köpfchen.
Fromm sieht sie sich das nackte Kleine an.
Dicht hinter ihr lehnt der verlobte Mann,
Der brave Joseph, mit der bärt'gen Wange
In Vaters Schlasrock, unser ält'stcr Range.
Als Hirt und Engel stapfen sacht herein
Bausbäckchen, Dirn und Bub, zu zwei'»
und zwei'n,
Und drei der größten von der kleinen Bande
Agier'n die Kön'ge ans dem Morgenlande.
Auch eine Krippe hatten sie gemacht.
Ich stand gerührt, dann fragt ich unbedacht:
„Könnt ich Euch, Trudi, denn zu gar
nichts taugen?"
Sie sah mich an mit ernsten stillen Angen,
Sie sah das ganze, fromme Jngesind,
Sie sah auf Joseph, ans das Jesuskind.
„Großvater," kam es sanft von ihrer Lippe,
„Das Eselein nur fehlt noch an der Krippe."
Hd. 6y
keine Zeit mehr hat, alte Jungfer oder Haus-
tante zu werden.
Man kann diese rührigen modernen Frauen
gar nicht schlimmer verletzen, als wenn man sie
an sowas erinnert, wenn auch nur ganz sanft.
Ich will das keinesfalls tun, sondern wende
mich ausschließlich an die Männer, soweit sie
Neffen sind und mitreden können. Und frage,
leise und eindringlich:
Ist es billig, daß die gute alte Tante von
euch so ohne allen Widerspruch aufgegeben und
erledigt wird?
Sollte man ihr nicht wenigstens ein Denk-
mal setzen?
Ja, ich weiß, es gehört zum guten Ton in
den Kreisen fortgeschrittener Lebenskünstler,
über Tante Frieda oder Minna mit beißendem
Hohn die Nase zu rümpfen. Wahre Raketen
blitzenden Spottes werden abgeschossen, sobald
an euren Stammtischen irgend eine Tante zi-
tiert wird.
Man sieht dann, wenn man Augen für
die übersinnliche Welt besitzt, das zerstörte
Frauenbild gekränkt und weinend den höhe-
ren Regionen zustreben, wo Ruhe wohnt
und edle Harmonie.
Und warum fällt man dermaßen über
dieses Wesen her? Warum einigen sich
sofort die größten Feinde und drücken sich
versöhnt die Hände, um dann der Tante
eins zu versetzen?
Weil sie einen Kapotthut mit Bändern
trägt, sowie einen etwas phantastischen Pom-
padour. Weil sie mit einem Mops zärt-
liche Gefühle tauscht und einem Papagei
den unschuldigen Namen Adolf beigebracht
hat. Weil sie einmal händeringend an eurer
Zukunft verzweifelt ist, als ihr sie, die just
etwas eingenickt war, mit Nadeln auf dem
Lehnstuhl angeheftet hattet.
Natürlich, diese Lausbuberei sollte euch
die würdige Dame wohl mit Schmeiche-
leien und Schokolade belohnen?
Wenn mein Sohn Dankwart mir eine lange
Nase dreht, so lege ich ihn übers Knie, ob-
gleich ich fanatischer Anhänger der zwanglosen
Charakterbildung des Kindes bin, so im all-
gemeinen.
Wenn er besagte Nase aber der Tante
Frieda macht, so heißt es: der Junge ist doch
ein Original. Diese seltene Begabung soll man
nicht im Keime ersticken.
Doch nun ist cs Zeit, zu den positiven Ver-
diensten der Tante überzugehen.
Sie gehört zu den wenigen Menschen, die
für andere Leute Zeit übrig haben. Sie steht
nicht beständig „auf dem Sprunge", und ist
doch immer bereit, einzuspringen, wenn es in
der Familie irgendwo hapert. Durch die Fenster
ihrer stillen Stuben betrachtet, kriegt die Wirrnis
des Lebens manchmal eine ganz wunderliche
Klarheit und Einfachheit.
Von Zeit zu Zeit erscheint bei ihr die junge
Mutter und seufzt: „Ich kann nicht mehr. Diese
Kinder bringen mich noch um."
„Willst du ein paar Tage ausspannen,"
fragt die Tante, und gießt ihr die dritte Tasse
von dem berühmten Ceylon-Tee ein, den sie
immer direkt bezieht.
„Ach, wenn ich das könnte!"
„Warum denn nicht?" fragt die Tante
ruhig. „Die paar Tage kannst du mir die
Kinder schon anvertrauen."
„Du wolltest wirklich ? Aber Hermann, Gott,
er hat so seine Eigenheiten. Du kennst ihn ja."
„Freilich, ich kenne ihn besser als er denkt.
Wenn ich ihm meine Kalbsleischpastete vorsetze,
ist er schon halb besiegt. Fahr' nur zu."
Gut also, die junge Frau fährt, und der
Ehemann, dieser scheusälige Egoist, knurrt zwar
ein bißchen, aber nur insgeheim. Die Tante
zieht ein, und alles geht wunderschön, nicht zu-
letzt mit Hilfe der Pastete. Als die Hausfrau
zurückkehrt, sind die Orangen eingekocht, sämt-
liche Strümpfe gestopft, und der Bub hat neues
Unterzeug bekommen.
„Ich hätte es ihm sowieso zum Geburtstag
geschenkt," sagt die Tante abwehrcnd. Im
stillen aber beschließt sie, daß er nun doch noch
den Leiterwagen haben soll, von dem er ihr
soviel vorerzählt hat. Denn sie kann doch nicht
mit leeren Händen zum Festtag erscheiuen.
Nun aber zieht eine ernstliche Krankheit
ins Haus und die junge Mutter muß in die
Klinik. Wer hilft?
Selbstverständlich doch die Tante. Jetzt findet
es nämlich auch der Gatte ganz selbstverständlich.
Warum denn nicht die Schwiegermutter?
„Gewiß, das ginge ja auch," murmelt er.
„Aber weißt du, wenn Tante Minna Zeit hat
-für Mama ist doch die Anstrengung zu
groß . . ."
Natürlich hat Tante Minna Zeit. Sie hat
immer Zeit, wenn man sie braucht. Und ihr
Resormeifer, von dem sie ja keineswegs frei ist
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