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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 16.1911, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 45
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https://doi.org/10.11588/diglit.4279#0518

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Dämmerung

Nacht:

Dir entgegen ging ich leise;

Bruder, künde mir von Deiner Reise!

Tag:

Welke Blätter regten meine Tritte;
Schwester, wegemüd sind meine

Schritte,

Meine Hände sinken, zagen:

Mußten Menschenlasten tragen,

Menschenwege mußt' ich kennen —
Schwester — meine Augen brennen.

Nacht:

Bruder — meinen dunkeln, weiten
Mantel will ich um Dich breiten,

Will die müden, müden Augen schließen
Und Dir Ruhe in die Seele gießen.

Tag:

Schwester, meine Reise, glaube mir,

Milde Schwester, war ein langer Weg zu Dir.

Marianne wychgram

Das Duell

Von Wilhelm von Schol;

Die Menschen haben das lebhafte Bedürfnis,
auffallendere Vorkommnisse des Lebens, wie
sie ihnen namentlich in der dürftigen Form des
Zeitungsberichtes bekannt werden, zu bereden,
zu richten, dabei Partei zu ergreifen und, wo
ihr Gefühl verletzt wurde, einen strengen Aus-
gleich, Strafe oder Rache, hinzuzuwllnschen.
Sie werden im Gespräch unbewußt zu Dichtern,
die Knappe Tatsachenanregungen aufnehmen,
aus- und umbilden, aus dem erregten Gefühl
und nach dessen Bedürfnis in Gedanken weiter-
führen, ergänzen — seltener: sich ganz hinein-
versenken, Ursachen ergründen und die Vorgänge
leidenschaftslos zu verstehen suchen. —

In einem behaglichen Landhaus, das im
Vorort, etwa eine halbe Stunde vor der Stadt,
mit seinem neuangelegten Garten an Fluß,
Straße und Wiesen stößt, ist eine kleine Gesell-
schaft in erregter Unterhaltung beisammen. Der
Hausherr, ein Mann von nicht ganz vierzig
Jahren, hat, das Gespräch ergänzend, aus der
Zeitung vorgelesen und tritt jetzt, noch sichtlich
bewegt, zum Seitentisch, wo er sich hastig eine
Zigarette anzündet, um gleich in den Kreis
leidenschaftlicher Meinungsäußerung zurückzu-
kehren. Es handelt sich um ein vielbesprochenes
Duell, in dem ein jung verheirateter Leutnant
gefallen ist. Die Reden schwirren durcheinander,
stürzen sich aber, wie ein zusammenhaltender
Vogelschwarm, der von einem Baum zum andern
fliegt, nacheinander gemeinsam auf alle wichtigen
Momente der Angelegenheit: auf die unerhört
schweren Bedingungen, den Schreck und Schmerz
der jungen Witwe, die offenbare Leichtfertigkeit
des Ehrenrates, den geringfügigen Anlaß, das
nutzlos vernichtete Leben. Das scheinbar ganz
Sinnlose dieses Schicksals, dieser jähen Ver-
nichtung, das all die lebhaften Aeußerungen
an: meisten hervorgerufen hatte, macht sie auch
wieder verstummen, weil Niemand in dem Kreise
recht weiß, was er davon denken und sagen
soll — weil sie sich alle dem Unbegreifbaren
gegenüber fühlen, dem Worte nicht beikommen.

Nach dem ersten Zusammen- und Durcheinan-
dersprechen tritt Stille ein. Es scheint plötzlich
wie durch schweigendes Uebereinkommen ausge-

macht, daß jetzt nur überlegte Meinungen ge-
äußert werden dürfen, und man erwartet sie mit
Ungeduld.

Die Frau des Hausherrn hat mit einem
knabenhaft offenen, wartenden Blick nach ihrem
Gatten hinübergesehen, wie ein bescheidener
jüngerer Bruder, und sagt dann: „Das unver-
mittelte Schicksal dieses Offiziers, das sich sicht-
bar jedenfalls, erst in der Minute entschied, in
der es sich erfüllte — so lange es auch schon
unabwendbar in allen Zufälligkeiten seines all-
täglichen Daseins stehen mochte — ist so will-
kürlich und launisch grausam —"

Ihr Gatte unterbrach sie: „Wir sind dem
Schicksal gegenüber ja so bescheiden, wünschen
nur, daß es sich höflich ankündige, einige Zeit
auf sein Kommen vorbereite; dann sind wir —
heißt das: bei anderen! völlig zufriedengestellt.
Nur das Plötzliche erschreckt uns, weil es auch
uns drohen kann." m

Ein älterer Herr machte die Feststellung:
„Es ist merkwürdig, daß man erst mehrere
Wochen nach dem Duell davon in der Oeffent-
lichkeit erfuhr!"

Ein jüngerer: „Was mir am meisten zu den-
ken gibt, ist die lange Zeit, die zwischen der
Beleidigung und dem Austrag verflossen ist
Zeit mindert, ja löscht selbst für unser Gefühl
jede Schuld. Die Verjährung im Recht ist ein
eminent psychologischer Begriff. Das Innere
des Menschen ist wandelbar. Es füllt und leert,
reinigt und erneuert sich. Die Strafe muß rasch
hineinschlagen, soll sie darin noch auf die Schuld
treffen. Vor sechs Monaten hat ein Mann im
Rausch einer Dame gegenüber die Sitte verletzt.
Ein halbes Jahr weiß niemand davon als er
und die Dame. Jetzt verlobt sich die Dame,
glaubt sich ihrem Bräutigam zu rückhaltloser
Offenheit verpflichtet, erzählt ihm auch den tollen,
trunken-unwirklichen Antrag jener Nacht. Durch
seine Verlobung wird er zum Beleidigten, er
tritt in eine blutige Atmosphäre."

„Und es wäre eigentlich noch schöner, da
Sie es nun doch schon ästhetisch betrachten —"
fiel der Hausherr ein, „dieser ganz unschuldige
Bräutigam wäre gefallen."

„Diese entsetzlichen Duelle!" ließ sich jetzt
ein ältliches Fräulein vernehmen. „Niemals
wird das eine glückliche Ehe zwischen dem
Mörder und dem doch sicherlich nicht ganz schuld-
losen Mädchen, das der traurige Anlaß war.
Und man kann um der Gerechtigkeit willen nur
wünschen, daß es sich straft."

„Vor allen Dingen," sagte der Hausherr,
„müssen die Mitglieder des Ehrenrats die Sache
spüren, blaue Briefe bekommen, Bezirksgreise
werden. Und der Oberst, der ein solches Mord-
duell zuließ — wäre es nicht eine reizende Ironie
des hier doch nun schon einmal an die sichtbare
Oeffentlichkeit bemühten Schicksals, wenn er
von jetzt ab als Lebensversicherungsagent wirken
müßte?"

Einige lachten. Ein alter Maler, welcher
sich als Apostel der Naturheilkunde und Pflanzen-
kost betätigte — guten Dingen, die nur nicht
gerade zur Religion werden müssen — sprach
schüchtern die Meinung aus, daß der am Tage
nach dem Duell im Krankenhause gestorbene
Offizier doch vielleicht weniger ein Opfer der
Ehre als vielmehr der Schulmedizin sei; und
daß es noch möglich gewesen sein dürfte, ihn
mit Wasserbehandlung zu retten. Allerdings
sei ja, was bei einem Schuß in den Unterleib

besonders mitspräche, die Ernährung mit
viel Fleisch und der Alkoholismus in Offi-
zierskreisen —"

Ein junger Frechling fuhr dazwischen:
„Und bedenken Sie, daß der, der den töd-
lichen Schuß abgab, ein Marineoffizier war;
die nehmen aber noch eine viel konzentriertere
Fletschnahrung und wohl auch mehr Alkohol
zu sich als die Landoffiziere. Wenn die
schießen —"

Jetzt wendete sich das wieder lauter auf-
lebende allgemeine Gespräch dem traurig-
lächerlichen Kontrast zu, in welchem hier die
mittelalterliche Raufehre und die modernste Zeit
standen. Während dort zwei Menschen sich
tätlich verwunden sollen, stehen hier Sanitäts-
automobile mit Assistenzärzten und Lazarett-
gehilfen bereit, und im Krankenhaus der Kreis-
stadt geht im Morgengrauen schon der Chirurg
im Operationssaal wartend auf und nieder,
indessen der zu Verbindende noch völlig gesund
oben an den Schießständen aus dem Wagen
steigt.

Der Hausherr sagte: „Hier ist noch etwas
anderes! Das ungeheuerlich unbesonnene, wild
und schön ausbrechende unmittelbare Wesen des
alten Zweikampfes, in dem nichts lebte als
Haß und Zorn, bei dem man nicht an Feld-
scher und Verbandwatte dachte, bei dem Alles
augenblickliches klingenkreuzendes Leben war,
Vollgefühl des höchstgesteigerten Daseins, in
dessen Bewußtsein nur der Tod des Gegners
stand, der mit zum eigenen Leben gehörte —
diese kraftvolle Unbesonnenheit ist jetzt nicht
nur mit erschreckend viel Ehrenkonvenienz, son-
dern auch mit soviel besonnenen Anstalten und
Maßregeln verbunden, daß sie inmitten ihrer
lächerlich wird und, statt ein wilder freier Wille
zu sein, fühlbar ein öder sklavischer Zwang
geworden ist." —

Es war eine Freude zu sehen, wie die Frauen
am Gespräch der Männer teilnahmen, wie ihre
Blicke den jeweils Sprechenden folgten, wie sie
mit Lebendigkeit sich in Erfahrungsgebiete der
Männer zu bewegen wußten, wie sie lernten
und zuhörten — andererseits durch ihre An-
wesenheit Alles aus der bloß männlichen Be-
trachtungsweise in eine menschlich-allgemeine
hinüberdrängten.

Jetzt sahen alle zur Tür. Ein neuer, ver-
späteter Gast trat ein und wurde rings wie
ein Erwarteter begrüßt. Eine Zeitlang hielten
ihn Hausherr und Hausfrau fest, ehe er sich
den Einzelnen des Kreises, den er nur im
ganzen begrüßt hatte, zuwenden konnte.

Der Hausherr rief: „Es ist übrigens gut,
daß wir jetzt einen militärischen Sachverstän-
digen hier haben. Walter, was sagst Du zu
dem Duell, das jetzt alle Gemüter bewegt?
Wir sind, ehe Du kamst, hier in der lebhaftesten
Diskussion gewesen —"

„Ja," warf eine Dame ein, „das furcht-
bare, gänzlich abrupte Schicksal dieses jungen
Offiziers, das so sinnlos ist, hat uns alle in
Erregung gebracht"

„Sie nennen sein Schicksal sinnlos, gnädige
Frau," sagte Walter.

„Nun, ist der Tod eines jungen blühenden
Menschen um eines Taktfehlers oder sagen wir
selbst: um einer im Trünke begangenen ärger-
lichen Unschicklichkeit willen nicht sinnlos?"

„Man mag im Schicksal nie einen Sinn
finden, gnädige Frau. Aber wenn irgendwo,
dann hier!"

„Wieso, Walter?" fragte die Hausfrau her-
über. Walter lächelte ihr zu, als ob er eine
Schalkheit vorhabe. Dann aber wurde sein
Blick, der noch an ihr haftete, ernst. Er senkte
ihn nachdenklich und sagte: „Wir finden das,
was einer Naturregel entspricht, ja meist nicht
sinnlos. Wenn ein Greis an Krankheit oder
Altersschwäche stirbt, so erscheint uns das als
etwas Selbstverständliches. Ein Greis, der im
Zweikampf fiele, das wäre entlegen. Wie zu
ihm Alter und Schwäche, so gehört zum Tod
des jüngeren Menschen die Waffe des Gegners,
Index
Otto Obermeier: Vignette
Wilhelm v. Scholz: Das Duell
Marianne Wychgram: Dämmerung
 
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