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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 16.1911, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 46
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https://doi.org/10.11588/diglit.4279#0559

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getrunken; ihm fehlt Fausts Selbsterhaltungs-
trieb, weil es ihm nicht darauf ankam zu zer-
brechen. Kleist hat auf dieser Erde nur unter
Bedingungen gelebt, so lange es seine Ehre
gestattete; mehr als einmal war er bereit ge-
wesen, dieses Verhältnis zu lösen, das nicht
bas einzige zu dieser Welt sein konnte. Kleist
war ein Mystiker, ohne es zu wissen, eine meta-
physische Natur, und deshalb nicht unter die
Bedingungen gesetzt, die sonst das Schicksal
bilden. Allein sein Gemüt war sein Schicksal,
und er begriff diese Welt nur durch das Gefühl,
als ob sie eben angefangen und keiner etwas
Zu ihrer Erklärung versucht hätte.

Als alles Angelernte, gläubig Nachgesprochene
von ihm abgesallen war, bettete er sich zu tiefster
Geborgenheit in die liebevolle Gleichgültigkeit
des Universums. Man kann der Sonne und
dem Tode nicht ins Antlitz sehen: sagt Laroche-
soucauld. Man kann es doch. Kleists meta-
physische Anschauung ist ein Erlebnis. Es muß
>hm manchmal zu Mute gewesen sein, als ob
er keinen Schatten mehr warf, und so wollüstig
leicht, als ob er sich anflösen könnte ins fließende
Licht der Gottheit.

Kleists Seele hatte eine Flügelspannung, die
ihn einmal forttragen mußte auf die große Ent-
deckungsreise zu bekannten und unbekannten
Sternen; er liebte sie mit wahrer Bruderliebe.
„Wie doch das kleine Sternchen heißen mag,
das man auf dem Sirius, wenn der Himmel
klar ist, sieht? Und dieses ganze ungeheure
Firmament, nur ein Stäubchen gegen die Un-
endlichkeit! O, Rühle, sage mir, ist dies ein
Traum? Zwischen je zwei Lindenblättern, wenn
wir abends auf dem Rücken liegen, eine Aus-
sicht, an Ahndungen reicher, als Gedanken fassen
und Worte sagen können. Komm, laß uns et-
was Gutes tun und dabei sterben. Einen der
Millionen Tode, die wir schon gestorben sind,
und noch sterben werden. Es ist, als ob wir
aus einem Zimmer in das andere gehen."

Kleist hat mit Tod und Leben abgerechnet
und den Unterschied nicht allzu groß gefunden.
In seiner Jugend glaubte er mit der vertrauen-
den Reinheit seines anfänglichen Wesens an
die sittliche Vervollkommnung der menschlichen
Natur, aber damals meinte er, daß die Pflichten-
schule nur hier unten sei. Dann ging er Schopen-
hauer mit starken Schritten voraus und er
erlebte mit einer übersinnlichen Wollust die
Tragik der philosophischen Dichtung vom Willen,
der sich nach Verwandlungen sehnt bis zur
Selbsterlösung. Da es für ihn hier unten nichts
wehr zu erwerben und zu lernen gibt, bereitet
rr sich, in neue Formen überzugehen, und so
wird dieser wunschstarken Seele der Tod zu
einem Triumphgesang, zu einem rauschvollen
Hymnus an den neuen Morgen. Er hat seine
Form zerbrochen, sagt Hebbel, aber diese war
für ihn nicht die letzte. Was wissen wir von
einem, den es so fortzog, dem es mehr kostete
SU bleiben als zu gehen?

Man rechnet zusammen, warum er sich er-
schossen hat. Weil er kein Geld mehr hatte,
weil die Familie ihn verstieß, weil das Vater-
land in Schande lag. Das alles ist richtig,
aber man kann es überleben, und Kleist war
nicht schwach gerüstet. Aber er wollte nicht
wehr, er fand es nicht mehr lohnend. Mit der
wollüstigen Empfindung des Aufhörens hat er
immer gebuhlt und er neigte sich über den Rand
des Abgrunds, als er die Gefährtin gefunden
hatte, die begriff, daß seine Traurigkeit eine
höhere, festgewurzelte und unheilbare
sei. Dieses endliche und vorläufige Dasein
hatte er erschöpft; es war ihm gleichgültig ge-
worden. Gleichgültig auch, was aus seinem
Namen wurde.

Er empfahl sich nicht der Nachwelt, ließ
keine Forderung zurück; er wollte nicht einmal,
daß seine Sache den Unbefriedigten erklärt
würde. Die Leute wollen durchaus glauben,
daß sein Schatten zürnt, und sie trachten ihn
Ul versöhnen: Alles was Du erstrebtest in den
Tagen des Ehrgeizes ist Dir durch die Gerech-
tigkeit der Nachwelt geworden; wir sind zu

jeder Buße bereit und wir würden Dir sogar
Denkmäler setzen, wenn wir wüßten, wie Du
ausgesehen hast.

Auch diese Zerknirschung ist noch Vermessen-
heit. Kleist wollte uns nichts lassen, nicht ein-
mal Reue, und was von ihm blieb, hat nur
der Zufall gerettet. Er wollte nicht berühmt,
nicht einmal gekannt sein, als er von der Un-
endlichkeit geschmeckt hatte, als sein Geist sich
zu den stillen Aetherräumen schwang. Das war
die Unsterblichkeit, wie er sie verstand, wie sie
den Prinzen von Homburg anstrahlt durch die
Binde seiner Augen mit Glanz der tausend-
fachen Sonne.

Kleist zürnt nicht. Nicht einmal zu Schuld-
nern wollte der Tote die Menschen haben, die
dem Lebenden nichts gegeben hatten. Diesen
Undurchdringlichen erreicht keine Sühne, kein
Opfer.

CO

ÄiltMeller. Bändiger, Poet

Still wartet, aber nicht vergebens
Auf seine Beute der Poet:

Er weiß, im Dschungel unsres Lebens
Wohnt manche ivilde Majestät.

Und was sich in den Urwaldsgründen
Der Menschenseele lauernd duckt.

Weiß er zu greisen und zu binden,

Ob's auch nach seiner Kehle zuckt.

In Strophenkäfige verwahrt
Stellt er zur Schau die bunten Dinger.
Wie das sich balgt, wie das sich paart!
Bon Blut und Wollust dampft der Zwinger.

Dann steht das Publikum und gafft
Und läßt sich angenehm durchbeben.

Wenn sich die Bestie Leidenschaft
Emporbäumt hinter Gitterstäben.

A. von Ehvmann

Marionetten, Menschen, 66tter

Zum hundertsten Todestage Heinrichs v. Rietst
von vr. S. Friedlaendee (Lfalensee)

„Und hier sei der Punkt, wo die beiden
Enden der ringförmigen Welt ineinander
griffen." (H. v. Kleist)

Heinrich von Kleist gehört zu den Märtyrern
des edelsten Ehrgeizes. Wer von der Krankheit
befallen ist, welche man Idealität nennt, an
diese Welt mit absoluten, direkten Ansprüchen
ans göttliche Vervollkommnung herantritt, sein
so gefestetes Gemüt ungebrochen trotzig gegen
das Schicksal durchsetzen will, der wird sich in
Zeiten primitiver Geistigkeit vielleicht brutal
auswirken können; in einem Zeitalter dagegen
von differenzierter Reflexion unterliegt er pein-
lich hemmenden Prüfungen, du le coeur ss
Krise ou ss dronrs. Idealische Kraft ohne alle
Elastizität auf Absolutes gehend, führt zur
Tragödie des unterliegenden Siegers. Der Tod
rückt solchen heroischen Ueberfpannungen in zu
verführerische Nähe. Träger einer Lebensidee
sollten nicht nur ihre Blutzeugen sein. Der
Idealist bringt freilich dem Leben das Beste,
aber er hat auch vom Leben das Beste zu
lernen: Lebendigkeit; und in diesem Sinne ist
sogar der Tod weiter nichts als eine mißlungene
Feuerprobe des Lebens.

Kleist's ideale Anforderung war von der
sprödesten Unnachgiebigkeit, sein Anspruch auf
Wahrheit, Schönheit, Güte auf kinderreinste
Unschuld des Daseins so unbequem dringend,
daß der kritische, Idee an Erfahrung haltende
Verstand das innerste Leben gefährdete. Solche
Wesen gehören in keine kritischen Zeiten, die
ja immer auch betrübend und verwirrend sind.
Gewiß wird niemals Kritik das Ideal des
Lebens — nenne man es wie man will — zer-
stören können, da das kritische Licht erst von
dort ausstrahlt, z. B. Wahrheit selber sich kri-
tisch und skeptisch untersucht; Moralität sich
selber so mörderisch anatomiert; und wie selbst-
quälerisch der Geschmack des ästhetischen Ge-
wissens verfährt, ist bekannt: — aber mit der
unbefangenen Unschuld eines Ideals, der Un-
geteiltheit, Unmittelbarkeit, mit der trägen Ge-
radlinigkeit seiner Tendenz ist es aus, sobald
es die eigene Kritik, sobald es Selbsterkenntnis
zu kosten bekommt. Sehr leicht gerät es dann
hier bis in den Nihilismus der „Selbstauf-
hebung" — und doch ist nichts aufgehoben als
die primitive Behaglichkeit des vorkritischen,
unerfahrenen Zustandes und keineswegs, wie
man wähnt, das Ideal; nemo contra dsum
nisi deus ipse. Selbstvernichtung ist sofort
Selbsterzeugung; der Theist ohne Atheismus
bleibt ein kindlicher Theist. Ohne Selbstzer-
fleischung wird das Fleisch dumm und der Geist
schwach; und nichts ist lebensgefährlicher für
ein Ideal als es selbst. Gesetzt, es gäbe nichts
Reales als Gott, so läge in der Exorbitanz
dieser Idee die heimtückischste Teufelei verborgen,
es könnte aus diesem Himmel eine wahre Hölle
brechen und lange regieren, bevor ihr eigener
Himmel sich desto lachender öffnete. Ideen also,
wenn sie nicht an sich selber zerbrechen sollen,
müssen in ihrer biegsamen Festigkeit der um den
Stab geringelten Schlange gleich sein.

Aber diese Fähigkeit, Ideen zu schmeidigen,
fehlte Kleist ganz und gar; er konnte nur zer-
brochen werden oder ganz bleiben. Seine Idea-
lität krankte und starb an ihrer keuschen Un-
berührbarkeit, er war Eiche oder Mimose, ihm
gebrach es an allen mittleren Graden des Da-
seins. Diese Unzulänglichkeit zeugt für seine
Größe: noch niemand hat den Bogen gespannt,
wie er es wollte.

Aeußerst charakteristisch für diese nur Extreme
kennende Gesinnung ist ein viel zu wenig beach-
tetes kleines Wunderwerk seiner Hand über
das Marionettentheater (man findet es in Bd. IV
der ausgezeichnet geschmackvollen Ausgabe des
Tempel-Berlages). Marionetten oder Götter
— beide tanzen graziös: Die Marionette, weil
alle Reflexion (Kritik) ihr abgeht; der Gott,

(Schluß auf Seite 1235)
Index
Alfred v. Ehrmann: Wildsteller, Bändiger, Poet
Salomo Friedlaender (Friedländer): Marionetten, Menschen, Götter
 
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