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Durch!

Zum Titelbilde von Paul Rieth

Diese, die mit hundert Pferdestärken
In des Morgens Rosenhimmel schwirrt,
Froh, von Angst und Schwindel nicht beirrt,
Diese Jungfrau, möcht' ich gleich bemerken,
Ist nicht einfach eine Fliegerin —
Tiefsymbolisch ist ihr Sinn!

Ein Symbol der Zukunftshoffnung nämlich
Sei das Mädel, das ein kühner Flug
Schwerkraftledig in den Aether trug,

Los von allem, was da trüb und grämlich:
Und dies Sinnbild paßt zum neuen Jahr
Für uns Deutsche wunderbar!

Grade, weil sich nicht behaupten ließe,

Unsre Zukunft jetzt im deutschen Reich
Scheine diesen Rosenwölkchen gleich
Und dem zarten Lichtblau der Türkise —
Nein: für's Erste sieht es eher noch
Aus, als wie ein schwarzes Loch!

Darum ziemt es eben unserm Volke,

Daß es alle Wetterangst besiegt,

Schneidig los auf jenes Dunkel fliegt
Im Bewußtsein: hinter solcher Wolke,
Hinter einer Wand von Sorge loht
Helles heitres Morgenrot!

Aus Verbittrung, Lähmung und Erschlaffung
Rett' es sich zu Kampf und Zuversicht,
Daß ihm wieder lacht der Freiheit Licht,
Aus Verjunkerung und aus Derpfaffung!
Dann schickt Michel kräftig einmal bome
Das zu frech gewordene Rom!

Er besinnt sich seiner Rechte endlich
Gegen öden Bürokratensinn,

Wie auch gegen jene Seite hin,

Die ihn schützen sollte parlamentlich
Und die leider manchmal gar vergißt,
Wessen Mandatar sie ist!

Er besinnt sich, daß er längst schon mündig,
Mitzureden, wenn es allenfalls
Wieder einmal geht um seinen Hals;

Daß er auch, was sittlich und was sündig,
Ohne Vormundschaft der Polizei
Zu verstehn im Stande sei!

Nebel steigen, vorvorvorvormärzlich
Jetzt an allen Enden auf im Land
Und von ihnen stammt die Wolkenwand,
Stickig, trübe, unheilvoll und schwärzlich —
Aus dem Nebel, Michel, altes Haus,

Mußt du endlich wieder raus!

Draußen auch in jeder Himmelsrichtung
Wetterleuchtens oft unheimlich grell
Und tagtäglich droht uns eventuell
Im Gewölk noch weitere Verdichtung —
Ueberall umgrollt uns Neid und Haß,
Torheit nur bezweifelt das!

Aber weh, wer da den Mut verlöre!
Hoffnung ist der einzige Motor,

Der uns führt zu jenem Rosenflor,

Trotz dem Iammerruf der Unkenchöre I
Lass' die Unke schrei'n, den bösen Lurch —
Durch! heißt die Devise — durch!

Biedermeier mit s—>

In der Münchner Au E. Enzler

„Das Unentbehrlichste"

Eine Flitterwochengeschichte von Geete Meisel-Heß

Ueber die Helgoländer Düne eilten zwei ver
spätete Nachzügler eilig zum Anlegeplatz der
Segelboote, die die Badegäste von der Düne
zur Insel bringen. Das letzte Glockensignal
hatte ihre Schritte beschleunigt. Sie liefen. In
einen leidenschaftlichen Disput vertieft, hatten
sie die früheren Signale wohl gehört, aber
nicht beachtet, hatten sie mit jenem Willen zur
Selbsttäuschung von Menschen, die von einem
Gespräch lebhaft bewegt sind, beinahe überhören
wollen. Der Mann hatte endlich zur Rückkehr
gemahnt, und da war es auch schon höchste
Zeit, denn sie waren nahezu an der Spitze der
steinigen Landzunge, die sich als äußerster Aus-
läufer der Düne ins Meer hineinschiebt, wie
die längste und spitzeste Zacke eines riesigen
Seesternes. Und schon kam hinter ihnen die
Flut und überschwemmte die schmale, steinige
Landspitze mit weißlichem Gischt. Sie waren
gut zu Fuß, die beiden, dennoch mäßigte der
Mann rücksichtsvoll seine Schritte und half der
jungen Frau so gut er konnte über die flachen
Steine, von denen der Fuß abglitt, und dann
über den Sand, durch den man nur mühsam
durchstapfte, bis sie den hölzernen Steg erreichten
und im Laufschritt weiter konnten. Als sie
endlich an das Boot kamen, hielten die sechs
Seeleute schon den Rand umklammert, um es
herauszustoßen. Der magere Jan streifte das
Paar mit einem mißbilligenden Blick, aber der
dicke Pitt mit dem hummerroten Gesicht zwischen
dem weißen stoppligen Bart, der sich von einem
Ohr zum andern hinzog, nickte ihnen nach-
sichtig zu.

Und dann machten sie zum letzten Mal die
Segelfahrt, die ihnen hier zur größten Freude
geworden war. Zwischen den halbgeschlossenen
Lidern blinzelte man hinüber auf die Wunder-
insel, wie sie versponnen im silberigen Gold
der Nachmittagssonne als roter Felsen aus dem
Meer stieg mit ihren zusammengedrängten
Spielzeughäuschen, deren Giebel sich dicht und
quer ineinander schoben. Und der Wind blies
ins Segel und wölbte es hohl, und die ge-
schwellten Wogen trugen das Schifflein über
ihre grünen Glasberge und ließen es tief in
ihre Täler gleiten.

Aber Or. Petcrsen und seine junge Frau
waren nicht wie sonst ganz und gar dieser

Seglerstimmung hingegeben. Sie sprachen nicht
miteinander und blickten mit ernsten, beinah
betrübten Gesichtern, vor sich hin. In derselben
Stimmung durcheilten sie die kurze lebhafte
Straße, die von der Dampferbrücke zum Auf-
zug führt, der das Unterland mit dem Ober-
land verbindet; ganz still standen sie in dem
dumpfen Kasten. Und auf dem schmalen Weg,
dicht am Geländer des Oberlandes, gingen sie,
einer hinter dem andern, ihrer Wohnung zu.
War es der Abschied von der gelobten Insel, —
dem Ziel ihrer Sehnsucht und ihrer Hochzeits-
reise, — der sie so wortkarg und traurig machte?

Es war nicht nur das. Es war ein neues,
sonderbares, gefährliches Etwas, das sich in den
letzten Tagen zwischen ihnen aufgerichtet hatte.
Keines von ihnen hätte sagen können, was es
eigentlich war. Aber die fröhliche und doch
so friedliche Fülle, die in ihren Seelen gewesen
war, schien getrübt, gestört. Ohne daß sie es
recht gemerkt hatten, war es in den letzten Tagen
öfter und öfter zu kleinen Reibereien zwischen
ihnen gekommen, die dann schwer auf ihren
Herzen lasteten. Niemals hätte Dr. Friedrich
Petersen es für möglich gehalten, daß er seiner
jungen Frau böse werden könnte. Niemals
hatte Ilse gedacht, daß irgend etwas, das Fritz
sagte oder tat, Geister des Widerspruchs und
des Unmuts in ihr aufrufen könnte. Hatten sie
sich denn nicht auf schönere und wunderbarere
Weise gefunden, als sonst zwei Menschen?

Monatelang waren diese feinen und un-
nahbaren kleinen Briefe an den Dozenten ge-
kommen, unterzeichnet: „Ihre Hörerin." Nach
jeder Vorlesung hatte sie etwas zu sagen oder
zu fragen gehabt und trotz der Anonymität,
trotz der Gefahr, sich durch diese Korrespondenz
mit einer Unbekannten zu kompromittieren, hatte
Dozent Dr. Petersen immer geantwortet. Wer
mochte sie sein? Unter der Fülle der Hörerinnen
der Damenakademie konnte er sie nicht erraten,
bis er endlich den Entschluß gefaßt und ihr
geschrieben hatte: „Dies ist mein letzter Brief
an Sie, wenn Sie mir nicht erlauben. Sie zu
kennen." Lange war die Antwort ausgebliebcn,
aber eines Tages kam das heißerwartete Brief-
chen doch: „Ich kann es nicht ertragen, Ihnen
nicht mehr schreiben zu dürfen. Ich werde heute
nach der Vorlesung auf Sie warten. . ." Und
dann war das Weitere so schnell, so ganz von
selbst gekommen, und sie hatten nicht gewußt,
wie sie all ihr Glück ertragen sollten.

* * *

Während jetzt jedes in seinem Zimmer den
Koffer packte, war in Frau Ilses Herzen eine
dumpfe Traurigkeit. Auch Friedrich Petersen
war in gedrückter Stimmung, aber als Psycho-
loge von Fach unterließ er es nicht, über die
Gründe dieses seelischen Zustandes zu grübeln.
Es kam ihm in den Sinn, was er von andern
Ursachen ungewöhnlicher menschlicher Reizbar-
keit gehört hatte, z. B. vom Tropenkoller, dem
auf der südlichen Ozeanfahrt alle die verfallen,
die noch nie die Tropen gekreuzt hatten ...
Ungreifbar war, was zwischen ihnen stand. . .
Alle diese kleinen Szenen hatten keinen rechten
Grund. Aber so sehr er sich mühte, konnte er
keine ausreichende Erklärung finden. In den
Tropen waren sie ja nicht. — Ob das tägliche
Seebad sie so reizbar machte? Möglich. Man
schlief auch schlecht. Jeden Morgen erwachten
sie schon bei Sonnenaufgang. Vielleicht lag
hier der Grund? Mit einem Stoßseufzer auf
die „Freiheit" des menschlichen Willens packte
er traurig seinen Koffer.

Ilse kam herein. Gleich erschien ihm sein
Zimmer heller und freundlicher. Wie schön sie
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E. Enzler: In der Münchner Au
Biedermeier mit ei: Durch!
Grete Meisel-Heß: Das Unentbehrlichste
 
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