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1912

Nr. 1

JUGEND

Dame ein paar Worte zu. Die nickte und lachte.
Teilnahmlos, mit starrer Miene ging er weiter,
langsam Schritt für Schritt, grübelnd, hoffnungs-
los, verzweifelnd. Er sah nicht, daß sich ein,
kleiner Schwarm von Gaffern um ihn sammelte,
um sich an seinem Anblick zu weiden.

Plötzlich fühlte er einen Blick auf sich ruhen.
Ein elegantes Dämchen ging am Arm eines
Herrn an ihm vorüber und nickte ihm flüchtig
und fast verlegen zu. Alle Wetter — die kleine
Grisette hatte sich verteufelt herausgemacht, seit
ne ihm davongelaufen war! Recht hatte sie,
daß sie ihren süßen Körper nicht mehr für die
armseligen Mahlzeiten in einer dumpfen engen
Stube hergab und langsam verkümmerte!

Seine Gedanken wurden zu einem kaum
hörbaren Murmeln, das seinen verkniffenen
Sippen entglitt. Er folgte den beiden in eine
Seitenstraße, wo sie einem großem, grell be-
leuchteten Hause zugingen. „Pkeatre electrique,
Mieen die glitzernden Leuchtkörper in die
Dämmerung. Auf der Eingangstreppc drehte
stck die Kleine noch einmal um, sie wußte
fuohl, daß er ihr gefolgt war und ihr nachsah.

kindlicher Triumph lag in ihren Augen,
^ee gebannt blieb er stehen und starrte immer-
auf das leuchtende Portal, in dem die
beiden verschwunden waren.

- Der Schwarm um ihn verdichtete sich, alles
lo>gte gespannt und belustigt seinem Blich. Er
werkte es nicht.

irr :TOan kann es also doch zu etwas bringen
n dieser Stadt, dachte er, man muß es nur
-"^ufangen wissen. Man darf nur nicht wie
Kind in den Tag leben und auf das große
Zunder hoffen, auf den Goldregen, der plötzlich
om Himmel fallen soll! Man kann es zu etwas
*»gen, wenn man die Augen aufmacht und
'c ein Spürhund auf die Gelegenheiten lauert
aem- es nur anzufangen wissen! Sonst
lle b bergab, und wenn man so dumm ist,
so ^ i?0* voll Hoffnungen mit sich zu schleppen,
Keht der einen nur um so schneller hinunter.

Portal, von dem er seinen Blick nicht
der "tt^en konnte, erschien ihm wie ein Tempel
war Lebensweisheit. Ein wahres Gedränge
lhn entstanden, die neu Hinzukom-
w,ff?en fragten, was da geschehen sei, und aller
an„f?e wandcrten zwischen ihm und dem Ein-
ll des „g'böätrs electrique“ hin und her.
dir Göhlich legte ihm jemand die Hand auf
G„f,^ehultcr. Ein dicker beweglicher Herr in
tra-w? Zylinder stand vor ihm und be-
riete ihn aufmerksam.

wu«'?'°bartigl" sagte er mit aufrichtiger Be-
in-,. m">9- „Endlich mal was Neues! Wirk-
Au„°»^??rtig I Kommen Sie nur für einen
£cmnr tck mit mir, ich muß mit Ihnen sprechen,
ml,, , wandte er dem dicken Herrn sein Ge-
abi„ef3Us.llnk starrte ihn nun ebenso geistes-
lend an wie vorher das Portal.

Me-f,I/?bht wohlhabend und wohlgenährt ans —
mlv sog ich mit ihm gehen, dachte er.

Diek„ "b bekommen Sie hier?" belferte der
feit .^traulich und hielt ihn am Rockknopf
war„° b sie aus der Menge herausgekommen
Rov"Ich bin der Besitzer des „Kinema
am Boulevard Montmartre; wollen Sie
MehA? kommen, ich gebe Ihnen die Hälfte

- He?

tuieh rof!Qrtifl! Großartig!!" feixte der Andere
Und rieb sich vor Vergnügen die Hände.
Iirh otete Ihnen hundertfünfzig Francs monat-
tJfrirf,I°enn Sie sich für ein Vierteljahr fest
>»_.chten. Schlagen Sie ein!? Wie —

ver-
weil • begingen eie enur Lv»- — Sie
befen«; "^l? Gut, Sie sollen zweihundert
»°Mmen. Sind wir einig?"
den zweihundert Francs — klang es ihm in
nickt „ r,n, sonst waren es leere Worte, die er
gesga„ ^stand. Er fühlte sich wie vor den Kopf
Sebtin,f!Ln' bas Brausen des lauten Lebens klang
pst wie ein fernes leises Rauschen.

„Sagen Sie mir nur, was ich tun soll,"
stotterte er.

„Was — Sie — tun — sollen??" Das ver-
gnügt bewegliche Gesicht des dicken Herrn ver-
steinerte zu einer Maske, die ein fassungsloses
Staunen spiegelte. Einen Augenblick verharrte
er so mit offenem Munde, dann lachte er wieder
wie erlöst ein glucksendes Lachen. „Bravo!
Sie sind nicht aus der Rolle zu bringen! Sie
sind doch vom,Theätre electrique1 engagiert?"

„Enga-?"

Die Beiden starrten sich an. Jeder arg-
wöhnte, daß der Andere einen schlechten Scherz
mache und ihn zum besten halten wolle. Schließ-
lich begriff der Dicke. Er nahm eine selbstge-
fällige Haltung an, steckte zwei Finger der
rechten Hand in den Ausschnitt seines Geh-
rocks und sagte in herablassend belehrendem
Tone: „Sie haben also keine Ahnung, daß Sie
da einen ausgezeichneten Trick kreiert haben?
Hat wieder mal ein blindes Huhn ein Korn
gefunden?! Paffen Sie auf, junger Mann!
Sie haben nichts anderes zu tun, als in diesem,
übrigens großartig znsammengestellten Anzug
täglich in gemessenem Schritt und mit tief-
ernstem Gesicht über den Boulevard zu gehen
— genau so, wie Sie es eben getan haben.
Das erregt Aufsehen, Sie werden das bemerkt
haben. Dann biegen Sie plötzlich in die Straße
ein, in der mein Kinema liegt, bleiben vor dem
Eingang stehen und starren ebenso entgeistert,
wie Sie es eben getan haben, auf das Portal.
Das sammelt Neugierige an — haben Sie das
Gedränge um Sie nicht gesehen? Gibt es eine
bessere Reklame? Begreifen Sie nun? Also
topp, nicht wahr? Sie bekommen dafür —
hundert Franks monatlich, sagte ich, nicht wahr?"

Er begriff. Auch, daß er durch sein törichtes
Benehmen hundert Francs monatlich verloren
hatte. Aber endlich wollte er das Leben richtig
anfassen! Er versuchte krampfhaft, ein über-
legenes geschäftsmännisches Lächeln in seine
Mienen zu bringen.

„Mein Herr, ich habe Sie wohl überzeugt,
daß ich wie kein Zweiter die Fähigkeiten be-
sitze, meinen neuen Trick, verstehen Sie —
meinen Trick zu kreiren. Allerdings bin ich
nicht vom „Theätre electrique“ engagiert, aber
ich habe bereits Verhandlungen angeknüpft
und es handelte sich gerade jetzt um ein kleines
Debüt, um dem Direktor die Zugkraft dieser
Reklame zu beweisen. Ich darf wohl sagen,
daß mir dieser Beweis glänzend gelungen ist.
Hundertfünfzig Francs sind mir sicher. Wollen
Sie zweihundert geben, gehe ich mit Ihnen.
Allerdings muß ich Sie bitten, sich rasch zu
entscheiden."

H. Bing

Der Münchner im .Huslande

„wos, dös soll dös berühmteste Restaurant
in Paris sei', und net amal a Ralbshax'n
steht auf der Rart'nl"

Nach einer Viertelstunde war man handels-
einig: hundertachzig Francs bei achtstündiger
Arbeitszeit. Er ließ sich sogleich seine Wirkungs-
stätte zeigen und begann seine neue Tätigkeit,
die er noch heute zur vollen Zufriedenheit seines
Brotherrn ausübt. Er hat ordentliche Kummer-
falten um den Mund bekommen, weil er den
ganzen Tag ein tiefernstes Gesicht machen muß —
ganz ähnliche Falten, wie die kleine Blanche
sie hat, weil sie immer lächeln muß.

Der Beruf bringt das mit sich.

Die Allzuvielen

Und ich weiß ja, ihr habt mit Fleiß

und Bedacht

Es bis zum Geheimrat und Krämer gebracht!
Ihr schneidet den Käse für Kirche und Staat,
Sagt, was man per Kilo zu zahlen hat?!

Ihr preßt siistentatisch den lebten Saft
Aus Kunst und Bildung und Wissenschaft,
Ihr seid im Trocknen, ihr sitzt im Warmen
Und habt — nach dem Kaffee — ein

christlich Erbarmen.

Wir stehen hungernd und sehen euch zu:

Uns fehlte der „Fleiß" und die „innere Ruh",
Die „Ordnung", die euer Element,
„Bescheidenheit", die nur der Strebsame

kennt.— —

Doch, käme mir einer von eurem Verein
Und sagte: Bruder, komm mit herein —

Ich sehlüg ihm die geifernde Fresse wund,

Und müßt ich verhungern zur selben Stund!

Jul. Franz Schütz

Marquis Bonvivant

von Rarl Ettlinger

Karl Ettlinger läßt demnächst ein neues
Buch unter deni Titel „Marquis Bonvivant" im
Verlag von Georg Müller, München, erscheinen. Wir
sind in der Lage, einige Proben daraus veröffent-
lichen zu können. Weitere Abschnitte werden folgen.

Der Marquis über Frauennerven

Zu Zeiten des Marquis war es Sitte, daß
die Damen der vornehmen Kreise ihr Bestreben
darein setzten, jeder Sensation beizuwohnen,
dermaßen, daß ein Kavalier gewaltig in der
Gunst seiner Angebeteten zu steigen Aussicht
hatte, wenn er ihr ein Eintrittsbillett zu einem
Mordprozesse präsentieren konnte. Und es fehlte
wahrlich nicht viel, daß im Vestibül des Baiais
de ^ustlee wären Lorgnetten und Operngläser
beim Portier leihweise zu haben gewesen.

In der ruc des Invalides hemmte einmal
ein Menschenauflauf die Schritte des Marquis:
eine vornehme Dame war mit dem Schrei „Oh,
meine Nerven! Meine Nerven!" in Ohnmacht
gefallen, da sie hatte mit ansehen müssen, wie
eine herrenlose Katze ihrem Hündchen mit der
Tatze einen harmlosen Schlag versetzt hatte.

„Holt einen Arzt!" tobte der Marquis, der
die vornehme Dame erkannte. „Schnell einen
Arzt! Die Aermste muß ihre zarten Nerven
schonen! Muß sie doch morgen Vormittag der
Verhandlung gegen den Lustmörder Rcmouald
beiwohnen, Nachmittags den Löwenbändiger
Ecsar sehen und Abends im Hippodrome bei
der Todesfahrt des Artisten Diabolo dabei
sein!"
Register
Karl Ettlinger: Marquis Bonvivant
Julius Franz Schütz: Die Allzuvielen
Henry Bing: Der Münchner im Auslande
 
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