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Leutnant Buonaparte

Ein junger Leutnant von der Artillerie
Sitzt zu Valence im Park; es ist noch früh.
Weiß liegt das Licht auf seiner weißen Hand,
Die halt den schmalen, schon gepreßten Band,
Das deutsche Buch, das alle Welt jetzt liest ^
Und ihre beste» Tränen drüber gießt. i

Und auch der Blick des jungen Leutnants schwimmt,
Sein Sinn ist ganz auf Werthers Leid gestimmt,
Er fühlt den Rausch, de» Wahn, den Todesbrand
Des vollen Herzens. Und er schließt den Band.

Sein Degen zieht im Kies verträumten Strich-

Und plötzlich fährt er auf: er sieht vor sich

Das Tal der Rhone, das er jüngst durchfuhr-

Wie hieß die Stadt?-Der Strich

dort gibt die Spur

Des Flußbetts gut-so zog

der Waldsaum quer — —

Da lag die Mühle.-Ah!! Hier kann ein Heer

Vernichtet werden von drei Bataillonen!! — —
Nun westlich durch die Schlucht

zum Sturm auf sie-

Da liegt das Dorf-das Dorf

kann man nicht schonen!

Und dann-mehr Artillerie!

Mehr Artillerie!!
Julius Vab

Brücke und Abgrund

Ueber den Abgrund führte ein Baumstamm
Mit Rattenschwanz -Aesten, ein

schlüpfriger Steg:

Seiltänzer vielleicht vermögen zu wandeln
Auf irdischen Füßen den furchtbaren Weg.
Doch magst du rittlings hinübergelangen,
Wofern du ein Turner und schwindelfrei:

Die meisten rutschten am Bauche hinüber
Und rissen sich Hülle und Haut entzwei.

Wem dies zu würdelos oder beschwerlich,

Der klettert in seinem stolzen Wahn
Den steilen Absturz hinab in die Tiefe
Und dann auf der anderen Seite bergan.

Es blieb noch keinem der irdischen Wandrer
Auf einsamer Höhe der Abgrund erspart —
Rückwärts ging keiner, doch viele schon stürzten
Hinab in die Nacht, die das Grauen bewahrt.
Wer nicht ein Gaukler, ein Turner und Tänzer,
Wer nicht gleich Schnecken hingleitet den Steg,
Der muß in die Tiefe und wieder zur Höhe —
Ich wünsche dir Glück und Heil auf den Weg! . .

Ludwig Schars

Glück-Sucher

von Erna cheinemann-Grautoff
Der Geschickte

Ein mächtiger Würdenträger des Landes
hatte einen wichtigen Posten ini Ausland zu
besetzen, und er hielt Umschau unter den jungen
Beamten des Reiches. Viele Bewerber kamen
herbeigereist, um sich persönlich bei dem Minister
vorzustellen, denn man sagte von diesem, daß
er sich Großes aus seine Menschenkenntnis zu
Gute halte und seine Bestimmungen fast immer
von dem persönlichen Eindruck abhängig mache,
den einer seiner Untergebenen bei ihm hervor-
rufe. Es war dayer natürlich, daß sich ihm

KcheronlNche Zahrt

Nur nicht lo ichnell! Zch habe wohl noch Leit.
Luch Bettlern mag die Zache festlich dünken,
Zur mich ift’s leider eine Kleinigkeit
Nach Tanz und Kleibern und etjampagnertrinken.

Gin wenig nur! Man will doch stilvoll lein. —
vielleicht, dah Lolo mir indessen schriebe,

Sie lei vor (Treu verrückt und ich gemein.
Vielleicht, daß ich auf dieser Grde bliebe. . .

grunzt nicht, ihr Hundepack! Den Teufel auch!
THelnt nicht, ich lei der Gure, weil ich heute
Zur Hölle fahre nach dem alten Brauch
Me Hinz und Kunz, — ihr ekelhafte (Heute!

Naht auf, ich bin dort unten adoptiert,

Bin forsch und schlank und ganz passabel.

Zhr aber leid altjungsernhaft geniert
Und Zünden stehn euch wahrlich miserabel.

Zhr wollt mit diesem kläglichen gepäck
Bon mühevoll erhaschten Zklavenlünden,

Mit diesem halbverrührten Keuedreck
geraden Wege; in die Hölle finden?

Mein Bah ist der: Zch Hab in dunkler Ztunde
Lin göttliche; au; meiner Brust gegeben
Zur eine Torheit, eine lichte Kunde
Der Schönheit schnöd verbannt au; meinem Leben.

3ul. franz Schütz

jeder der Bewerber mit der lebhaften Absicht
näherte, den besten Anschein von Intelligenz,
Weitblick und Tatkraft hervorzurufen, und daß
ihm manch Einer so schnell wie möglich ein
paar wohlüberlegte und durchdachte Vorschläge
oder eine scharfe Kritik unterbreitete.

Der hohe Staatsmann aber liebte es, seine
Leute gerade im zwanglosen gesellschaftlichen
Gegenüber zu beobachten und im Beisein Vieler
den Maßstab an den Einzelnen zu legen. Nir-
gends, so sagte er sich, verrät sich der Mensch
eher, als wenn er sich unbeobachtet, in einem
Kreise verschwindend glaubt. So lud er denn
die jungen Beamten zu sich ins Haus, wo er
inmitten einer größeren Anzahl von Menschen
die Sonde seiner tiefgehenden Psychologie ein-
zuführen gedachte. Es war ihm im Grunde
ein Genuß, die Verschiedenen zu beobachten:
wie sie zagend oder selbstsicher eintraten, wie
der Eine sich mühte, ein geistvolles Gespräch
vor ihm zu eröffnen, der Andre versuchte, den
Damen des Hauses zu gefallen; — noch einer
redete beständig von seiner bisherigen Tätigkeit,
seinen Erfolgen, ein Vierter näherte sich dem

Vorgesetzten, seinen Rat erheischend und er-
gebungsvoll lauschend, und so hatte Jeder
seinen eignen Weg, sich angenehm zu machen.

Die Aufmerksamkeit des Staatsmannes
wurde auf einen Neucintretenden gezogen.
Er war ein blasser junger Manu, mit ernsten
und beherrschten Zügen; einer der Bewerber
um die Stellung, den er schon in-einer
kurzen Audienz kennen gelernt hatte, und
dessen lakonische Antworten, dessen kalte,
doch ausgesuchte Höflichkeit ihm ausgefallen
waren. Auch jetzt näherte sich der junge
Mann mit einer ganz besonderen, gleichsam
leichten Haltung. Er war gewählt gekleidet,
doch schien er es nicht zu wissen. Er begrüßte
die Anwesenden zeremoniell, doch ohne eine
gewisse Gleichgültigkeit zu verbergen. Von den
Gleichaltrigen hielt er sich völlig fern, und
bald sah man ihn ein wenig abseits in einem
Sessel sitzen, nachlässig, — doch ohne die auf-
fällige Prätention der Blasiertheit. Seine Augen
hafteten am Boden, während eine nachdenkliche
Falte zwischen seinen Brauen stand; ab und zu
aber erhob er einen langen und prüfenden Blick,
um ihn geraume Zeit auf einem der Anwesenden
ruhen zu lassen.

Der Minister fühlte diesen Blick wie ein
geheimes Vorwegnehmen seines Seelenkenner-
Amtes, und gleichzeitig auch wie ein Abwägcn,
eine stumme Kritik seines etwaigen Urteils über
die Anwesenden. Er fühlte sich beunruhigt und
dennoch nicht verletzt, denn das Wesen des
Jüngeren gab nicht den geringsten Anlaß zu
einem, wenn auch nur innerem Vorwurf. Ohne
daß er es wollte, glitten seine Augen öfter und
öfter zu dem Schweigsamen, ohne daß es ihm
doch gelungen wäre, einen andern als einen
völlig teilnahmslosen Blick zu bannen. —

Ein allgemeines Gespräch zog eine Anzahl
der Anwesenden in einen Kreis; man sprach
von der kulturellen Zukunft der Kambodschaner,
und die Meinungen stritten bald lebhaft wider
einander. Jeder beleuchtete die Frage von einer
neuen Seite, keiner konnte sich mit dem anderen
einigen, — um so weniger als es ja einem
jedem darauf ankam, möglichst der tiefsinnigste
oder der belesenste oder der gründlichste zu
sein. Die Gemüter erregten sich und man schalt
schon im Geheimen seinen Widersacher einen
Ignoranten oder einen verbohrten Eigensinn.
Und nun geschah, was bei dergleichen Streit-
gesprächen öfters zu geschehen pflegt, — der
Mißmut oder der Eifer war auf allen Seiten
so angeschwollen, daß er in Ueberdruß umschlug;
man ward sich plötzlich bewußt, daß man mit
allem guten Willen doch am Nachbar vorbei-
geredet hatte, daß man aber den Eifer reichlich
weit getrieben — und in dieser Stimmung, ge-
mischt aus Aerger und Resignation, schwieg
einen Augenblick alles.

In dieses Schweigen hinein aber tönte plötz-
lich eine ungehörte Stimme, die des jungen
Mannes, der noch immer etwas abseits im
Sessel saß. Er hatte kein Wort in den Streit
geworfen; er hatte die ganze Zeit mit nach-
denklichen Augen zu Boden geschaut, während
ein leises Zucken um seine Mundwinkel, —
ein überlegenes, manchmal fast spöttisches Lächeln
einem Beobachter verriet, daß seine Aufmerk-
samkeit dennoch bet dem Gespräche war. Und
jetzt klang es mit einer leisen, unendlich stillen
Stimme in die völlige Stille:

„Als ich im vorigen Jahr bei dem König
der Kambodschaner speiste, sagte er mir: wir
find Asiaten. — Ich muß gestehen, daß ich
Register
Ferdinand Staeger: Charon
Julius Bab: Leutnant Buonaparte
Julius Franz Schütz: Acherontische Fahrt
Erna Heinemann-Grautoff: Glück-Sucher
Ludwig Scharf: Brücke und Abgrund
 
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