m
Nr. 2
JUGIiND
1912
Konkurrcnj H- Bing
„Jeyta Ham mir scho a schlecht'« G'schäft, ws uns die Gerichts-
verhandlungen so a Konkurrenz mach'»!"
Leids. Was zwangt ihr mich, die
Aschermittwochsonne, die mich töten
sollte, zu überleben und die Maske-
rade eurer feigen Eitelkeiten wie ein
lächerlicher Prophet euch voran durchs
Leben zu tragen. Oh, es ist trost-
los, ein Kind der Literatur zu sein!
Ihr gabt mir alle destillierten Klug-
heiten und eitlen Torheiten mit auf
den Weg. Lehrtet mich den Mond
austauuen, den Mund weit offen wie
eine große Null. Habt mir aus
Mondschein ein seiden Kleid ge-
tvoben und hießet mich mein blu-
tendes Herz, das euer eigenes war,
durch schlaflos weiße Nächte tragen
wie einen knallroten Lampion. —
Bis ihr mich eines Morgens
zu Tode berauscht auf der Schwelle
eurer Schenke liegen ließet, wie
einen, dessen Schicksal erfüllt ist.
Da fanden mich die Straßenkehrer
im Morgengraun und schleiften mich
hohnlachend von dannen.
Und seither ist Pierrot tot. Nur
sein Haß ist noch lebendig und
spricht zu euch und streift wie ein
Schatten der Rache durch die Ascher-
mittwochfrühe seines entfremdeten
Reiches. Und sein hilfloser Haß ist
ewig wie seine Lächerlichkeit. Ewig
durch das Lied Berlaines wie durch
den Pinsel Meister Willettes. —
Ja, jetzt erkenn' ich dich, Pierrot!
Du bist es, Hausgeist des alten
»Chat-Noir«, den sie jüngst mit
deinem tollen Gefolge von schwarzen
Katern und bunten, lustigen Pier-
retten in den Louvre gehenkt haben, damit
das vergeßliche Paris seinem toten Narren-
und Dichterkönig noch einmal huldige.
Und alle kamen und lächelten dir zu.
Halb wohlwollend, halb spöttisch. Und da
hast du unter ihnen Harlekin erspäht, deinen
Feind voll buntscheckiger Tücke. Und an
seinem Arni hing Columbine. Du erkanntest
sie an ihrem Lachen, das wie lauter Leben
klingt. Denn Columbine lebt und du bist
tot, Pierrot. Und Harlekin heißt der neue
König von Paris! Oh, der hat nie umsonst
geschmachtet. Der fährt Automobil und läßt
in Longchamps die feinsten Stuten rennen,
und wenn's ihm Spaß macht, kauft er seiner
Columbine dein weinerliches Konterfei zuni
Spottspiel ihrer Laune.
Armer Pierrot, horch nur, wie Colum-
binens Lachen gellt!--
Und als zerplatzte Kristall an granitener
Wand, klirrt es wie Echo zurück. Ich weiß,
es ist Pierrots armes, gläsernes Herz.-
Da fahre ich auf. Auf der Marmorplatje
dicht an meinem Ohr rasselt sich die Weck-
uhr aus.
Bergstock und Nagelschuhe stehn bereit.
Durchs offne Fenster bläht, der Föhn die
flatternden Gardinen. Endlos weit und offen
liegt die wartende Welt. — — —
Und seltsam verflogen ist die Seele meines
wirren Traums, — meine kleine weiße
Pierrotseele ans Jugendzeit.
Ae»ä prevüt
Ci—o
Bei der Nummernansage werden im telepho-
nischen Verkehr die Zahlen zwei und drei oft
verwechselt. Deshalb geht man mit dem Plan um,
im Fernsprechbetrieb statt zwei künftig zwo zu
sagen.
Besser wäre es noch, wenn man die Endung
ei allgemein in o verwandelte und künftig fol-
gendermaßen telephonierte: Zwo Gesellen taten
sich zu einer fröhlichen Kumpano zusammen, der
eine blies die Schalmo, während der andere ein-
mal über das andere Mal juchho rief. Den bei-
den war alles einerlo; sie fühlten sich so froh und
löffelten zu Mittag zufrieden ihren Bro aus. Aber
durch ihren Schro angelockt, erschien plötzlich die
Polizo und verhaftete sie. Da wurden ihnen ihre
Glieder schwer wie Blo i mit Lust und Freude
war es vorbo. Sie seufzten: „O wo!"
.11 ax
Das Zeitalter des Rindes
Unweit meinem Fenster zieht sich der
Weg durch die Wiesen zur schmalen
Holzbrücke mit dem einfachen Geländer.
Der Wind steht heute herüber und id>
belausche die Gespräche der Spazier-
gänger. Hinter der Hausecke hervor
kommt nun eine Gruppe von 3 und
Menschen, Großmutter, Mutter,
Fräulein und Bubi. Bubi ist etwa
drei Zahre. Fräulein zerrt den wider-
strebenden, strampelnden, nach Freiheit
ringenden kleinen Körper vorauf, Groß-
mutter und Mutter wandeln gesittet
hinterdrein. Da hat sich Bubi losge-
rissen, jauchzend eilt er rückwärts.
Wie bald hindert ihn Großmutters
untere Breite und Mutters vorge-
haltenes Knie auf der Flucht in die
Freiheit! Kreischend vor Lust an der
Hetz' greift er in Mutters Eoliennerock.
„Bubi, Du sollst mich nicht immer
mit Deinen schmutzigen Händen an- 1
fassen."
Mutter sagt es so ganz —, ganz
oben und Bubi ist noch ganz, ganz —
unten.
So ist der Pfad nach rückwärts ver-
sperrt. Borne aber hockt, mitten im
Weg, Fräulein wie eine Klucke und
lockt mit ihrer häßlichen Stimme: „Bubi,
Bubi, Bubi..." Großmutter droht
mitten im Erzählen:
„Bubi, Du sollst doch gehorchen."
Und noch höher oben sagt Mutter:
„Bubi, wirst Du jetzt ordentlich gehen.
— Ach, es ist schrecklich mit dem Kind!" s
Bubi möchte um sein Leben gern in
die Wiese, aber Fräulein hält ihn schon
wieder an der Hand und zerrt den
Strampelnden über die Brücke.
Da — ein Schrei aus drei Kehlen, Bubi hat
sich wieder losgerissen, springt, da er den Rückweg
versperrt weiß, zur Seite, wo eben noch die Wiese
war, und purzelt unter dem Geländer hindurch
in den Bach. Sofort eilen alle drei, Großniutter,
Mutter und Fräulein hilfeschreiend den Weg
zurück, der Stadt zu. Fast überrennen sie die
hagere Arbeiterfrau, die eben ihren Karren an
der Brücke niedersetzt. Mit drei langen Schritten
läuft die hinunter zuin Bach, watet bis an die
Hüften hinein, und während ihr eigenes Bürschcl
— er ist vielleicht drei Zahre alt — mit unver- 1
dorbenem Instinkt und neugierig der Mutter zu-
schauend bei der Karre stehen bleibt, zieht sie
Bubi wohlbehalten aus dem Wasser, setzt ihn
aufs Trockene und läßt ihn, während sie mit
langen Schritten wieder der Brücke zueilt, schreiend
hinterdrein laufen.
Aber Bubi hat Furcht bekommen, er ruht nicht, >
bis er die Frau eingeholt hat, dann faßt er ihren
Rock, hört im Gefiihl der Sicherheit zu schreien
auf und sucht mit der Fremden gleicheir Schritt .
zu halten. Großmutter, Mutter und Fräulein!
kommen der Retterin strahlend entgegen. Man ;
dankt überschwenglich, drückt ihr Geld in die Hand !
und drängt dann irach Hause. Alle drei tragen j
Bubi abwechselnd auf dem Arm. Bon der Brücke i
ruft die Knrrenfrau noch hinterdrein:
„Lassen's ihn doch laufen, daß er warm wird!" '
Die drei hören nicht mehr, nur Bubi antwortet
mit einem sonderbaren Kreischen Olsc»
Z8
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Konkurrcnj H- Bing
„Jeyta Ham mir scho a schlecht'« G'schäft, ws uns die Gerichts-
verhandlungen so a Konkurrenz mach'»!"
Leids. Was zwangt ihr mich, die
Aschermittwochsonne, die mich töten
sollte, zu überleben und die Maske-
rade eurer feigen Eitelkeiten wie ein
lächerlicher Prophet euch voran durchs
Leben zu tragen. Oh, es ist trost-
los, ein Kind der Literatur zu sein!
Ihr gabt mir alle destillierten Klug-
heiten und eitlen Torheiten mit auf
den Weg. Lehrtet mich den Mond
austauuen, den Mund weit offen wie
eine große Null. Habt mir aus
Mondschein ein seiden Kleid ge-
tvoben und hießet mich mein blu-
tendes Herz, das euer eigenes war,
durch schlaflos weiße Nächte tragen
wie einen knallroten Lampion. —
Bis ihr mich eines Morgens
zu Tode berauscht auf der Schwelle
eurer Schenke liegen ließet, wie
einen, dessen Schicksal erfüllt ist.
Da fanden mich die Straßenkehrer
im Morgengraun und schleiften mich
hohnlachend von dannen.
Und seither ist Pierrot tot. Nur
sein Haß ist noch lebendig und
spricht zu euch und streift wie ein
Schatten der Rache durch die Ascher-
mittwochfrühe seines entfremdeten
Reiches. Und sein hilfloser Haß ist
ewig wie seine Lächerlichkeit. Ewig
durch das Lied Berlaines wie durch
den Pinsel Meister Willettes. —
Ja, jetzt erkenn' ich dich, Pierrot!
Du bist es, Hausgeist des alten
»Chat-Noir«, den sie jüngst mit
deinem tollen Gefolge von schwarzen
Katern und bunten, lustigen Pier-
retten in den Louvre gehenkt haben, damit
das vergeßliche Paris seinem toten Narren-
und Dichterkönig noch einmal huldige.
Und alle kamen und lächelten dir zu.
Halb wohlwollend, halb spöttisch. Und da
hast du unter ihnen Harlekin erspäht, deinen
Feind voll buntscheckiger Tücke. Und an
seinem Arni hing Columbine. Du erkanntest
sie an ihrem Lachen, das wie lauter Leben
klingt. Denn Columbine lebt und du bist
tot, Pierrot. Und Harlekin heißt der neue
König von Paris! Oh, der hat nie umsonst
geschmachtet. Der fährt Automobil und läßt
in Longchamps die feinsten Stuten rennen,
und wenn's ihm Spaß macht, kauft er seiner
Columbine dein weinerliches Konterfei zuni
Spottspiel ihrer Laune.
Armer Pierrot, horch nur, wie Colum-
binens Lachen gellt!--
Und als zerplatzte Kristall an granitener
Wand, klirrt es wie Echo zurück. Ich weiß,
es ist Pierrots armes, gläsernes Herz.-
Da fahre ich auf. Auf der Marmorplatje
dicht an meinem Ohr rasselt sich die Weck-
uhr aus.
Bergstock und Nagelschuhe stehn bereit.
Durchs offne Fenster bläht, der Föhn die
flatternden Gardinen. Endlos weit und offen
liegt die wartende Welt. — — —
Und seltsam verflogen ist die Seele meines
wirren Traums, — meine kleine weiße
Pierrotseele ans Jugendzeit.
Ae»ä prevüt
Ci—o
Bei der Nummernansage werden im telepho-
nischen Verkehr die Zahlen zwei und drei oft
verwechselt. Deshalb geht man mit dem Plan um,
im Fernsprechbetrieb statt zwei künftig zwo zu
sagen.
Besser wäre es noch, wenn man die Endung
ei allgemein in o verwandelte und künftig fol-
gendermaßen telephonierte: Zwo Gesellen taten
sich zu einer fröhlichen Kumpano zusammen, der
eine blies die Schalmo, während der andere ein-
mal über das andere Mal juchho rief. Den bei-
den war alles einerlo; sie fühlten sich so froh und
löffelten zu Mittag zufrieden ihren Bro aus. Aber
durch ihren Schro angelockt, erschien plötzlich die
Polizo und verhaftete sie. Da wurden ihnen ihre
Glieder schwer wie Blo i mit Lust und Freude
war es vorbo. Sie seufzten: „O wo!"
.11 ax
Das Zeitalter des Rindes
Unweit meinem Fenster zieht sich der
Weg durch die Wiesen zur schmalen
Holzbrücke mit dem einfachen Geländer.
Der Wind steht heute herüber und id>
belausche die Gespräche der Spazier-
gänger. Hinter der Hausecke hervor
kommt nun eine Gruppe von 3 und
Menschen, Großmutter, Mutter,
Fräulein und Bubi. Bubi ist etwa
drei Zahre. Fräulein zerrt den wider-
strebenden, strampelnden, nach Freiheit
ringenden kleinen Körper vorauf, Groß-
mutter und Mutter wandeln gesittet
hinterdrein. Da hat sich Bubi losge-
rissen, jauchzend eilt er rückwärts.
Wie bald hindert ihn Großmutters
untere Breite und Mutters vorge-
haltenes Knie auf der Flucht in die
Freiheit! Kreischend vor Lust an der
Hetz' greift er in Mutters Eoliennerock.
„Bubi, Du sollst mich nicht immer
mit Deinen schmutzigen Händen an- 1
fassen."
Mutter sagt es so ganz —, ganz
oben und Bubi ist noch ganz, ganz —
unten.
So ist der Pfad nach rückwärts ver-
sperrt. Borne aber hockt, mitten im
Weg, Fräulein wie eine Klucke und
lockt mit ihrer häßlichen Stimme: „Bubi,
Bubi, Bubi..." Großmutter droht
mitten im Erzählen:
„Bubi, Du sollst doch gehorchen."
Und noch höher oben sagt Mutter:
„Bubi, wirst Du jetzt ordentlich gehen.
— Ach, es ist schrecklich mit dem Kind!" s
Bubi möchte um sein Leben gern in
die Wiese, aber Fräulein hält ihn schon
wieder an der Hand und zerrt den
Strampelnden über die Brücke.
Da — ein Schrei aus drei Kehlen, Bubi hat
sich wieder losgerissen, springt, da er den Rückweg
versperrt weiß, zur Seite, wo eben noch die Wiese
war, und purzelt unter dem Geländer hindurch
in den Bach. Sofort eilen alle drei, Großniutter,
Mutter und Fräulein hilfeschreiend den Weg
zurück, der Stadt zu. Fast überrennen sie die
hagere Arbeiterfrau, die eben ihren Karren an
der Brücke niedersetzt. Mit drei langen Schritten
läuft die hinunter zuin Bach, watet bis an die
Hüften hinein, und während ihr eigenes Bürschcl
— er ist vielleicht drei Zahre alt — mit unver- 1
dorbenem Instinkt und neugierig der Mutter zu-
schauend bei der Karre stehen bleibt, zieht sie
Bubi wohlbehalten aus dem Wasser, setzt ihn
aufs Trockene und läßt ihn, während sie mit
langen Schritten wieder der Brücke zueilt, schreiend
hinterdrein laufen.
Aber Bubi hat Furcht bekommen, er ruht nicht, >
bis er die Frau eingeholt hat, dann faßt er ihren
Rock, hört im Gefiihl der Sicherheit zu schreien
auf und sucht mit der Fremden gleicheir Schritt .
zu halten. Großmutter, Mutter und Fräulein!
kommen der Retterin strahlend entgegen. Man ;
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ruft die Knrrenfrau noch hinterdrein:
„Lassen's ihn doch laufen, daß er warm wird!" '
Die drei hören nicht mehr, nur Bubi antwortet
mit einem sonderbaren Kreischen Olsc»
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