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'912

Der Storch

bin der Storch; auf meinen breiten

Schwingen

Ilieg' ich, ci„ Vogel, durch die Lüfte hin
Und freu' mich doppelt, das; ich's wirklich bin,
Verlernt' ich auch zu zwitschern und zu singen.

^Uie könnt' mir auch solch Tändeln noch

gelingen!

Der Menschheit, dieser Werteprägerin,

Ä>ard ich doch längst Symbol nur, Nebensinn,
Vkein Eigendasein schwand: muh Kinder

bringen!

Do flieg' ich mystisch durch den Weltenraum,
Ersehnt, verflucht, erfleht, gelockt, verscheucht,
Frauenglück — und -schreck; ein

Kindertraum;

Und bin just drum so ganz vom Herzen heiter,
^U'il all die Mystik nur mein Kleid bestreicht:
Uch bin doch nur ein Vogel und nichts weiter!

Hugo Salus

Der Junggefell

Bon EI sc Franken

Karl Winterberg sah zwischen den Freunden
in seinem Stammcafe und feierte vierzigsten Ge-
burtstag. Karl Winterberg ist Bankbeamter der
gewaltigen Germaniabank und hat es bereits
zum Gehalte eines Reichsgerichtsrnts gebracht.
Er ist ein straffer, schlanker Herr, mittelgroß, der
sich vorzüglich kleidet. Sein Gesicht ist scharf und
seine klugen, dunklen Augen sehen durch eine gold-
gefaßte Brille. Den mageren Händen sieht man
Kultur und Willensenergie an. Hände sagen dem
Berstehendeit immer sehr viel. 3m ganzen Be-
zirke seiner Bank ist Winterberg hoch geachtet, und
i» seinem Umgangskreise ist er überaus beliebt.
Litt anständiger Charakter, sagen die Leute von
ihni, ein völlig objektiver Mensch.

Er ist Gargon geblieben: einer jener Jungge-
sellen, denen die unbedingte Freiheit ein Glau-
benssatz ist.

„Sehen Sie" — sagt er gelegentlich mit seiner
angenehm ruhigen Stimme: „Ehe halbiert die
-rechte und verdoppelt die Pflichten." Das sagt
er, wenn er interpelliert wird. Aber Junggesellen
werden unausgesetzt über ihren einschichtigen Zu-
mnd interpelliert, sogar von denen, die sie ge-
legentlich beneiden. Sie stehen eben außerhalb
er Regel. Winterberg gibt dann stets mit höf-
uchein Ernst Bescheid, nur seine linke Augenbraue
^ ?tQ)as nervös in die Höhe. Er begreift
^ u ^"biskretion gar nicht. Fragt er etwa den
allegen Hübner, warum der sich diese dicke, phleg-
matische Dame aufgesackt hat, die dem Manne
keine erfreuliche Gefährtiit und den Kindern keiiie
warmherzige Mutter sein kann? Und hat Leh-
nicht gesehen, daß Malvine säuerlich und
unzufrieden werden würde? Eie hatten sich vcr-
lc™> blind gegen die Zukunft.

V, f.lln et- Winterberg, gehört zu den Scharfen,

>e sich Keine Illusionen machen. Gott ja — da-
i über versäumt man vielleicht wirklich das Gute.

Ob er ein Weiberfeind sei, — fragt Kalzer ganz
wekt. Aber nein, Gott bewahre, er hat doch solche
6ute Mutter gehabt, und seine Schwestern sind
Vrachtfrauen geworden. Endlich rettet er sich in

JUGEND

bie Phrase: er hätte wirklich keine Zeit gehabt.
Er hat doch seinen Beruf: hat draußen auf der
Spree sein Segelboot: er spielt Cello —

„Und er arbeitet auch an seiner Monographie
über die Girobanken, unser Winterberg," sagt der
Kollege Hübner, „nee wirklich, riesig interessantes
Thema —"

„Ueber die Girobanken?" fragt Einer am Tisch
verwundert.

„Tja — da gab es doch ganz hoch berühmte.
Die " Banca di Rialto in Florenz, so um die
Reformationszeit, nicht viel später die von Amster-
dam — und dann die große Hamburger von 1609,
die volle 270 Jahre bestanden hat."

„Na, trotz dieses Methusalems von einer Giro-
bank hält' doch der Winterberg sich beweiben
können?"

So. Da saß man wieder drin, hob die Römer
rind trank denr Geburtstagskind in denr edlen
Förster zu, von dem schon eine hübsche Batterie
Flaschen auf dem Tische stand. Winterberg dankte
mit einer netten kleinen Rundverbeugung und gab
seinen Speech zum besten, verwundert, daß dies
Kapitel noch immer seinen stillen Reiz für diese
Herren hatte.

„Sehen Sie," — sagte er mit leisem Lächeln —
„es gibt solche Fundamentalunterschiede, über die
ich nicht weg kann. Die Frau langweilt sich ohne
Gesellschaft, und ich mich mit Gesellschaft — un-
sern famosen Stammtisch natürlich ausgenommen.
Zch bin für alles Kapitalistische, kurz gesagt für
die Börse begeistert, weil ich ihren gewaltigen
Einfluß auf die Dölkergeschicke doch wohl richtig
einschätze. Frauen sind in allen ihren Geldge-
schäften entweder borniert oder extravagant."

Das vielstimmige „Oho" beirrte Karl Winter-
berg nicht, er fuhr fort: „und dann, meine Herren
— ich wünsche bei allem, was ich betreibe, das
Ende zu sehen, bei Geschäften lind bei Liebhabe-
reien. Zch setze Kräfte ein und bezwecke damit
ein Resultat. Das Ende einer Ehe — sehen wir
mal von, Schlußpunkt ab, den der Tod setzt —
ja, das andere Ende ist eine Tragödie — oder,
was schlimmer noch — eine Frail. Und dafür
danke ich."

Sie protestierten alle, auch die in ihrer Ehe
nicht auf Rosen gebettet waren: die Kinder, die
Kinder!

Winterberg lächelte. Er dachte an alle die
Puppen, Schaukelpferde und Zuckerdüten, die er

A. Schmidhammer

Die enge ltlode

„was haben Sie denn da für ein apartes
Regenschirm-Futteral?"

„Ja, das ist ein abgelegter Hu inpcIrock
meiner Frau."

Nr. 3

als honoriger Allerweltsonkel in allen befreundeten
Häusern schon abgeladem hatte. Er fragte dann:
„Lieber Hübiter, wie gefallen Ihnen Lehmanns
Kinder — und bester Lehmann, möchten Sie die
Hübnerschen haben?"

Sie lachten. Nö, allerhand Wertschätzung der
fremden Gören — jeder wollte natürlich seine be-
halten. Vielleicht ist man für die liebe» Seimgen
wirklich bisher verblendet — na schön, dann hat
das der liebe Herrgott verflixt gescheit eingerichtet.

„Eros, der Allerweltspeiniger wird Ihnen schon
auch zugesetzt haben —" sagte der blonde, zierliche
Herr Hübner, der Obergewaltige einer Depositen-
kasse.

War es nun doch etwas Geburtstagsstimmung,
oder mochte Winterberg nicht als trockener Son-
derling dastehen, er rückte etwas aus der Strahlen-
helle des Krönchens mit seinen fünf Glühbirnen
fort und sagte: „Mir ist sogar prophezeit wordeii,
ich würde mich besonders früh biirden. Sie wissen
ja. ich bin da im Osten zuhause, und eine gute
Bekannte des Elternhaiises meinte, id> werd' da
zweiundzwanzig gewesen sein:

„Basier Winterbarch, Sie warben alle Ihre
dree Kusinen nach der Reehe lieben lind bee der
Jüngsten warden Sie hangen bleeben."

Die Kusinen waren Schwestern, Königsberger
Professorentöchter. Aber ein kleiner Bankmensch
— Bismarck hat sich bekanntlich einen Korb ge-
holt von einer schönen Dante, ,weil sie in sich die
Gaben zur Repräsentation im großen Stil fühlte?
Damals war der Riese jawohl noch nicht mal
Deichhauptmann. Na — und nun ein schweig-
samer, junger Bankmensch, der eben seinen Beruf
damit begann, am Schalter so das kleine Publi-
kum abzufertigen, und der die Börse einstweilen
nur von oben, von der Galerie aus bestaunte!

Röse, Rieke, Helene waren allerliebste Durch-
schnittmädel: hübsch, frisch, praktisch erzogen.
Klug: den jungen Dozenten, Assessoren, Ober-
leutnants boten sie, wie man so sagt, goldene
Früchte in silbernen Schalen — ich bekam nichts
ab. Oood heaven, in diesem Alter liebt man
die Liebe. Die Gefühle rühren sich mit Macht,
der ganze Seelenüberschwang — auch das Bliit
bleibt nicht stumm. Aber als sich die Röse ander-
weit ganz geschickt verlobte, da raste ich nicht etwa,
ich lachte: lachte über den ganzen Rumor in mir,
und ich sagte nur: o unglückseliges Flötenspiel!

Ja, ich weiß noch ganz genau, als ich die so innig
angeschwärmte Zweite zur Verlobung beglück-
wünschen durfte, da sagte diese unartig respekt-
lose Stimme in mir: kurz ist der Schmerz und
— ewig ist die Freude. Der Eine ist so, der
andere so — man kann selber nidjts dazu tun.
Bald kam ich zu früh, bald habe ich zu lange ge-
zögert. Versorgten sie sich dann anderweit —
dann hat in allen Lagen der Ironiker in mir die
Oberhand gehabt. Stärke? Schwäche? Man
ist wie man ist, da ist nichts zu wollen."

Damit stand Winterberg auf, ließ sich nid)t
zurückhalten und verabschiedete sich mit seiner
netten, zurückhaltenden Liebenswürdigkeit.

Als er außer Sicht war, sagte Hübner nach-
denklich: „Da war noch die Kusine Helene, von
der hat er gar nichts gesagt —" und Schräder
beeilte sich: „Die hat sich doch nach Berlin ver-
heiratet. das ist doch die schöne Frau, die Witwe
vom Bankdirektor Schmieding."

An diese Kusine dachte Winterberg eben auch,
während er gemächlich die belebte Straße entlang
schritt, die Augen über alle das Gewusel eilfertiger
Menschen fort, geradeaus auf den Himmel ge-

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Register
Else Franken: Der Junggesell
Arpad Schmidhammer: Die enge Mode
Hugo Salus: Der Storch
 
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