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Requiescat in pace! - Richard Rost

Unverblümte Rirornelle

O Sittenreinheit! —

Man ist so prüde, denn man ist so — müde,
Und Lärm erregt fast immer die „Gemeinheit".

Du Erzkokotte! —

Obwohl allstündlich feindlich, bist du gründlich
Und tanzest Cancan so wie die Gavotte.

O petites Arnes! —

Ihr seid die Würger vieler braver Bürger.
Der Staat erlaubt es — : trottez dans les rues!

Du gehst zur Freite? —

Daß deine Keusche dich nicht sehr enttäusche! —
Der erste ist doch bestenfalls — der zweite. . . !

Prädestinierte I —

Ihr mögt wie Drachen EuerWeib bewachen —
Der Minotauros kommt, Ihr seid Blamierte!

O du Barbare! —

Ich soll nicht lügen und mit Worten trügen? —
Das Wahre ist doch keine Handelsware!

Man hört zuzeiten:

Klaus liebt das Klärchen „rein" und wie

im Märchen —
Und später kommt's zu Pubertätlichkeiten . . .

Kurt Haucliwitz

Aus Dem

§cben und vom Tode eines schuhpuhers

Von Dora Hohlfeld

Als die armselige Nina Loretto sich in den
Massimo Balaperta verliebte, zeigte Abbazia
keineswegs seine schöne Frühjahrspracht. Ver-
staubt trauerte der Lorbeer, Palmen erschienen
ergraut. Wie erschrocken fielen alte Rosen zu-
sammen: in frechem Rot, die Augen verletzend,
glühten Berbenen auf den Beeten des Kurgartens,
den wenig Gäste mißmutig durchschritten.

Unweit des Hafens von Boloska saß eine
Anzahl Arbeiter und verzehrte ihr Mittagbrot,
zu ihnen gesellte sich Nina und dachte daran,
daß sie nun bald Keine Früchte mehr verkatifen
würde. — Da näherte sich Balaperta, der Schwach-
sinnige, mit seinem Wichskasten und lächelte. Cr
war so schön. Vornehme Damen trieben ihren
Scherz mit ihm, feine Herren beehrten ihn mit
Spottworten. Doch niemand weiß, wo sein ab-
wesender Geist gefangen sitzt, der in diese glän-
zenden schwarzen Augen blickt. Nina errötete
über ihr welkes Gesicht und forderte de» Schuh-
putzer auf, neben ihr Platz zu nehmen. Da lachten
bie_ Arbeiter am Strande gutntütig über das un-
gleiche Paar, das sich hier zusammenfand.

Abends suchte Nina ihre Schlafstelle auf und
konnte keinen Schlaf finden. Sie wußte, der
Balaperta übernachtete schutzlos im Boskett ober-
halb des Kurgartens. Nina Loretto erhob sich
und suchte Massiino Balaperta. Sie fand ihn
auf einem freien Grasplatze. Lächelnd lag er
hier, vom Mond beleuchtet, und spielte mit einem
Seidentuch, das ihm int Sommer eine junge
Dante mit Kupfermünzen zugeworfen hatte.

„Mafstmo," schrie die arme Nina, „Du wirst
Dich zu Tode erkälten, wirf Dein dünnes Tuch
fort. Komm', ach komm', ich habe eine Decke
aus guter Schafwolle." Seit jener Nacht ge-
hörte» diese beiden zusantmen, ohne daß ein
Priester sie gesegnet hätte.

*

„Singe Nina," sagte Massitno. Er fühlte
sich gesättigt und legte ben Kopf an ihre Schulter.
Die Sonne stand hoch. Das Meer spottete und
scherzte auf seine ganz besondere Weise, warf
zischend kühle Wellen um große Steine an ihre
Füße.

Nina sang:

Heho, Heho, wo komnit ihr denn her?

Warum greift ihr nach unsren Füßen,

Ihr weißen Wellen aus dem tiefen Meer?

„Nina ist gut, Nina ist gut," flüsterte Massimo
an ihrer Schulter. Der Wohllaut ihrer Stinnne
war rein und zart. Das Mädchen verhüllte sein
verwelktes Gesicht vor der Sonne und sang und
sang. Leise zischten die Wellen.

Leise entwich der Balaperta uitd lachte. Nina
tastete nach ihrem jungen Manne, da fiel ihr das
Tuch von> Gesichte und sie erblickte ihn glücklich
spielend. Er küßte eine Kette aus bunten Glas-
perlen, er herzte eilt kleines Seidentuch.

„Du bist zu kindisch, Massimo," sagte die arme
Nina, zitternd und erbleichend, „Du hast zu wenig
Beschäftigung und die feinen Damen verdreh'»
Dir den Kopf. Gut, Du sollst Dein lockeres
Gewerbe aufgeben, ich habe Kraft, ich will eine
Arbeit finden, die lins beide ernährt. Du sollst
nicht länger der Narr der reicheit Leute sei» und
Geschenke junger Damen annehmen."

Anfangs begriff er nicht, was das Mädchen
verlangte, dann verstand er, er sollte keinen feinen
Damenschuh mehr säubern. Nina führte ihn fort
von dem Leben des Strandes lind sperrte ihn,
wentl sie der Arbeit nachging, oben anl Berge in
ihre kleine Stube, wo dichter Lorbeer die Sonne
hinderte, einzutreten. Bisweilen kam Nina, küßte
Massimo und versorgte ihn mit Speise, Trank
und Spielzeug.

Einmal überraschte ihn das Mädchen, als er
ein zerfetztes Seidentuch, glücklich lachend, an sein
Gesicht drückte. Wo hatte er das Tuch wieder-
gefunden? Es lag wohlgeborgen und gehörte zu
Ninas schmerzlichsten Erinnerungen. Plötzlich
überkam sie rasender Zorn über die Trübsal ihres
Lebens. Sie schlug nach dem schönen Jüngling,
warf Stühle zu Boden, tobte und schrie.

Massimo weinte laut und haßte Nina. Nun
mußte sie sich alle Mühe geben, ihn wieder zu

gewinnen. Sie öffnete die Tür und führte ihn
durch grüne Wälder den Berg hiliauf ulid sang.
Doch der Balaperta blickte scheu >md trotzig !ü-
nunter nach den> Meere.

Kurz darauf änderte sich die Schönheit der
Tage. Tag nnb Nacht plätscherte mißtönend der
Regen auf Bäumen, Dächern und in das graue
Meer. Da erschien Nina glücklich in der nbge-
lcgeiren Stube und sagte: „Massimo, ich habe ehr-
liche Arbeit für Dich gefunden. Verstehe, ich bin
als Wäscherin im Palasthotel angestellt. Run
gut, Du sollst Herrn Anton, beni ersten Lahn-
diener dort, der sich früh morgens etwas Ruhe
gönnt, beim Schuhputzen behilflich fein. Wir
können gemeinschaftlich unsere Arbeit aufsuchen."

„Begreife, Massimo," sagte Nina eines grauen
Morgens auf dem Weg nach bei» großen Hotel,
„alle die schönen Damen anr Strande hielten Dich
zum Narren, aber ich liebe Dich. Tausendmal lieber
will ich Dich tot sehen, als zum Narr des Reich-
tums entwürdigt."

Sie ergriff des Jünglings Arm und sang leise
auf dem Strandwege:

Welle, weiße Welle
Was bist du heut' so dreist?

Weißt nicht, was Menschenehre
Gewinnen und verlieren heißt.

Dann huschte sie in die feuchte Waschküche,
während der Balaperta die dunkelste, kleinste Ecke
des Palasthotels für seine gewissenhafte Arbeit
aufsuchte. Hier saß er, umgeben von gelben,
braunen und schwarzen Stiefeln, unter welche sich
hie und da ein Paar rote kleine Iuchtenstiefel
mischten, die mit Seide gefüttert waren. Sehr
schwer trennte sich Massimo von diesen zierlichen
Stiefeln, wenn der Lohndiener sie zurückverlangte.
*

Es war dem Balaperta gelungen, die Tür
ausfindig zu machen, vor welche diese roten Stiefel-
chen gehörten. Er stand dort zwischen Doppel-
türen und wußte in seinenr Dunkel nicht, was er
erhoffte und ersehnte.

„Wer ist da?" rief eine Stimme im Zimmer,
die Bedienung erwartete, „herein!"

Ninas Gatte trat unbekümmert lächelnd in
das helle Zimmer, das von Luft und Sonne
flimmerte, denn hinter der geöffneten Balkontür
glänzte schwer und breit das Meer.

„Nina ist gut, Nina ist gut," sagte Massimo.

Auf dem Sofa lag eine bleiche schöne Dame,
die mühsam atmete. Staunend erblickte sie den
lebensvollen, blendend hübschen Jüngling vor

sich- ~ ,

„Mein Himmel," sagte die Todkranke lächelnd
und atmete gierig, „schickst Dtt mir noch einmal
als Traum das volle Leben?"

Prüfend betrachtete sie Massimo Balaperta.

„Komm' näher, Leben," sagte sie, „setze Dich
zu mir. Wer sendet Dich? Ach, wenn ein Hauch
von solch rotem Munde Gesundheit brächte! Biele
Perlen und Diamanten solltest Du haben."

Massimo setzte sich lächelnd, ohne Scheu,
neben die Sterbende und griff nach den glitzern-
den Perlengehängen an ihrem Halse und an ihren

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Register
Dora Hohlfeld: Aus dem Leben und vom Tode eines Schuhputzers
Richard Rost: Requiescat in pace!
Kurt Bauchwitz: Unverblümte Ritornelle
 
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