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Gespräch

Noch spiegelte sich in der Flut,

Die um die Erde Kühle Arme schlingt,

Das Firmament mit seinen Bildern;

Da Hub in Gärten, die verwildern,

Ein Brunnen an: Ich bin das Blut,

Das Starrheit lösend Sinn und Sein

durchdringt,

Bin Urgestalt von allen Dingen.

Ihm gab mit leisem Wipfelschwingen
Ein Baum Bescheid, des lichtgezeugte Säule
Sich wie ein Lebensobelisk erhob:

Du heiteres Geschöpf des Dunkels heile
Die Schwermut, die im Hellen mich umwob.
Rührt auch als Gottes Atemzug der Wind
An meine Wange, daß ich selig zitier',

Und rieselt Regen, der aus Höhen quillt;
Das Brot der Scholleneinsamkeit ist bitter,
Zumal, wenn Saft in jedem Samen schwillt
Und Licht in Bächen durch die Räume rinnt.
Gib mir dein Blut zu kühlem Angebind!

Der Brunnen sprach: Du schenkst mir

deinen Schatten.
Laß meine Wellenhand die Stirne Kühlen,
Der sich der Schöpfung Kümmernisse gatten.
Denn ahnungsfreudig sollst du fühlen,

Daß es ein Glück ist: Ausgegossen sein,
Verschüttet in die Welt der Kräfte,

In der die ewig unerschöpften Säfte
Am Werke sind.

Leis fiel ein Rauschen ein:
Du saftvoll Gütige, die glüht und kühlt,
Du lichte Gottesahnung in der Scholle,

Zu der sich dürstend meine Wurzel wühlt,
Umarme mich, Geliebte, Gnadenvolle!

Da sprach die Stimme in dem Wasserschwall:
Sieh! Ich umarm' in deinem Ast das All!

Der Brunnen sprach: Du liebes Bäumchen hebe
Die ewigen Gedanken aus dem Schoß
Der mütterlichen Erde! Webe, webe!

Der Baum sprach, leuchtend durch

sein Schöpferlos:
Erfüll mich, daß ich steigend mich vertiefe,
Quill auf in mir, du sonniges Geblüt!

Mir ist im Glanz, als ob ich lächelnd schliefe,
An deiner Klarheit keuschem Kuß erglüht.

Max Fleischer

Sonnenstrahlen

Frühling ist's, und mein Kindchen springt
Lustig umher im Grünen,

Will einen huschenden Sonnenstrahl
Sich zu fangen erkühnen.

Hüpft und gleitet, bald hier, bald da,.
Nutzlos, daß ich ihm wehre,

Hascht und greift mit zuckender Hand,

Greift doch immer ins Leere.

Lachend fang ich mein Kind mir ein,

Hilft ihm kein Sträuben und Klagen,

Aus dem Arm meinen Sonnenstrahl
Hab ich ins Haus getragen.

Lerkha Llcuinann

Ich und ich

Von \V>. v. der Schulenburg

Ich ging in meinem Zimmer auf und ab und
betrachtete die Teppiche, die ich im vorigen Herbst
von Ibrahim-Pascha gekauft habe. Es sind
Teppiche von traumhafter Schönheit, Kunstwerke,
Gedichte in Seide, Farbenharmonien, wie ich sie
sonst nur am Abendhinnnel der Sahara kenne.
Ibrahim-Pascha hat mich nicht übermäßig be-
trogen. Außerdem hat man ihm jetzt in Teheran
den Kopf abgeschlagen, und zwar mit einem
krummen, merkwürdigen Messer. Das Messer
hat der kleine Plessow von der Botschaft für viel
Geld von dem Henker gekauft — und mir auf
niein Bitten niitgebracht. Es interessierte mich
außerordentlich, wie das Messer beschaffen sein
mußte, das den dicken Hals von Ibrahim-Pascha
mit einem Zuge durchschneiden konnte. Und ein
einziger Zug sei es gewesen, sagte mir der kleine
Plessow, der sich zu der Feier einen Parkettplatz
besorgt hatte, rasche, aber saubere Arbeit.

Das Messer ist in der Tat ein Prachtwerk.
Die Klinge hat die Form einer stark verbreiterten
Sichel mit leicht nach innen gebogener Spitze.
Der kurze Griff besteht aus Ebenholz, und ist
geriefelt. Ein Haar, das man an der Wurzel
anfaßt und auf die Schneide schlägt, wird zer-
schnitten. Meines Erachtens muß also der Hen-
ker das Messer durch den dicken Hals von Ibra-
him-Pascha gerissen haben. Eine außerordent-
liche Technik gehörte freilich doch dazu, denn
Ibrahim-Paschas Hals war, wie gesagt, von
übernatürlichem Uinsang.

Das Messer hatte ich an den Spiegel gelehnt,
meinen großen Empirespiegel, neben dem der
schönste der Seidenteppiche hängt. Als ich nun
zufällig den Blick in den Spiegel warf, sah ich,
daß eine weiße Gestalt mit einem Fez hinter mir
vorbei glitt. Ibrahim-Pascha? Ich drehte mich
um — aber es war niemand im Zimmer.

Sollte ich an Halluzinationen leiden? Unfug,
ich hatte doch genau gesehen, wie dieser Kerl
hinter mir vorbei schlich. Eine Lichttüuschung war
ausgeschlossen. Ich sah also noch einmal in den
Spiegel.

Ich saß zehn Sekunden hinein.

Zwanzig.

Das Blut erstarrte mir. Mir wurde heiß
und kalt. Ich trat zur Seite — vorwärts —
rückwärts.

Die Beobachtung, die ich machte, war zu selt-
sam, als daß ich sie für richtig halten konnte. Ich
sah nämlich mein eignes Spiegelbild nicht mehr.

Wieder trat ich rechts und links. Der Spiegel
zeigte meine Möbel, mein Zimmer — nur mein
Bild nicht.

Ich zitterte, ergriff ein Buch und hielt das
Buch gegen den Spiegel.

;6r

Der Spiegel zeigte das in der Luft schwebende
Buch. — Ich habe mich zu viel mit der Natur
beschäftigt, als daß ich an Wunder glaube. Aber
ich habe mich auch zu viel mit der Natur be-
schäftigt, als daß ich nicht die allerseltensten Offen-
barungen von ihrer Seite für möglich halten
könnte. Und ich versuchte, dieses Phänomen zu
ergründe».

War es möglich, daß durch bestimmte Licht-
wirkungen mein Körper durchsichtig wurde? War
es eine sonderbare Strahlenerscheinung, in der
Art der Röntgenstrahlen? Aber warum sah ich
dann meine Kleider nicht im Spiegel, meine Ringe,
meine Kette?

Wieder trat ich vor das Glas. Mein Bild
war nicht zu sehen. Ich nahm einen Aschbecher
und preßte ihn. an mich. Der Aschbecher schwebte
iit freier Luft.

Eine eiserne Anspannung des Willens durch-
schoß mich. ,Ich will die Ursache ergründen/ sagte
ich mir. Ich nahm das Messer in die Hand,
mit dem Ibrahim-Pascha der Kopf abgeschlagen
worden war. Das Messer schwebte ebenso wie
Buch und Aschbecher im Spiegelbild in freier Luft.

Meine Kniee zitterten. Als ich das Messer
an seinen Platz stellte, klopfte es scharf und heftig
an meine Tür.

,Was für ein unverschämter Klopfer/ dachte
ich und rief herein.

Die Tür öffnete sich und in das Zimmer trat
ein großer gesund aussehender Mann. Er war
mir zu robust gebaut. Der Kopf war rund, das
Gesicht ebenfalls rundlich, die Rase viel zu klein.
Der Fremde verbeugte sich lässig und nannte einen
Rainen, den ich nicht verstand.

Ich war noch außerordentlich erregt von den
seltsamen Beobachtungen, die ich eben gemach!
hatte. Ich zwang mich jedoch zur Ruhe und bot
dem Fremden, der mir zwar unsympathisch, aber
ohne Zweifel ein „komme äe äcktinckioa" war,
einen Stuhl an.

Der Mann nickte kurz, lehnte sich tief in den
Stuhl zurück, stützte die Ellbogen auf die Arm-
lehnen des Sessels und spielte mit seinen großen,
weißen Frauenhänden.

,Was der Kerl für eine Menge von Ringen
am kleinen Finger trügt/ dachte ich. Dabei siel
mir ein, daß ich selbst eine Goldsäule an dem
selben Finger trage. ,Aber meine Ringe sind ja
iauter Erinnerungen/ sagte ich mir. Daß die
Ringe des Fremden auch Erinnerungen sein könn-
ten, ging mir in diesem Augenblick nicht durch
den Kopf. Ich sah , daß der Herr genau so
einen Anzug trug wie ich, daß er eine ebensolche
lange Uhrkette hatte, wie ich sie schon seit Jahren
trage. Ob er sich absichtlich so angezogen hatte,
um mich zu ärgern? Das war kaum anzuneh-
men. Es war vielleicht ein Zufall.

Ich schlug die Beine übereinander und fragte
verbindlich: „Was wünschen Sie?"

„Mich führt eine besondere Bitte hierher. Ich
weiß, daß Sie im Besitze außerordentlich schöner
persischer Teppiche sind, die Sie von Ibrahim-
Pascha erstanden haben."

„Freilich, dort hängen sie."

Mein Gegenüber warf einen nachlässigen Blick
auf die Teppiche. Dieser Blick ärgerte mich. Da
er mich um eine Liebenswürdigkeit in Bezug auf
die Teppiche bitten wollte, so konnte er wenigstens
ein paar zuvorkommende Worte sagen. Er sah
aber wie gelangweilt auf seine Hände und meinte:
„Ich möchte Ihnen diese Teppiche gern abkaufen."

,Unverschämt/ dachte ich.

Laut sagte ich jedoch: „Ich bedaure, die Tep-
piche sind mir nicht feil."

Der Fremde zog die Mundwinkel herunter,
daß der Mund die Forni eines Biertelmondes
bekam. Die grauen, tiefliegenden Augen blitzten
unter den Augengläsern.

Durch meinen Körper ging ein Ameisenkribbeln.
Ich trommelte nervös auf deni Tisch. Der Lieb-
haber meiner Teppiche ließ sich nicht stören. Er
spreizte die Finger, preßte die Spitzen seiner
langen Nägel aneinander, sah niich wieder rasch
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Bertha Neumann: Sonnenstrahlen
Cäcilie Schmidt-Goy: Vignette
Max Fleischer: Gespräch
Werner von der Schulenburg: Ich und ich
 
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