Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gertrud KleinhempeJ

»M

Die 6ebeugten

Was Maria und Lukas so zueinanderzoc>,
war, daß jeder von ihnen am anderen sah, wie
er unglücklich war. Das wirkliche Gefühl der
Unglücklichen bedarf keiner heftigen Äußerungen.
Maria war ihrem Mann zugetan, weil sie genau
einfehen gelernt hatte, daß er an ihrem Unglück
nicht die Schuld, sondern daß er nur eine von
dessen Ursachen war. Und die beiden Kinder,
Lila und Fredi, die konnten ja noch weniger
etwas dafür, daß sie oft weinte oder trüb und
hoffnungslos aus dem Fenster blickte. Das
Schwere, das lag wohl in ihr selber; früher Un-
verstand, jugendliche Blindheit, unwissende Wal-
lung des sehnsüchtigen Herzens hatten sie einem
unlöslichen Lebenskreis vermählt, ehe sie zuni
klaren Erkennen ihrer einzigen Lebensmöglichkeit
gekommen war.

Das Alles verstand Lukas, wenn er je und
je mit ihr zusammenkam. Es waren niemals
bequeme, sorgsam ausgewählte Stunden, die sie
einander näherten, Maria kam mit ihrem Mann
in Lukas' Haus, oder Lukas mit Ellen in Pauls
Haus, oder sie nahmen zusammen eine Loge im
Theater, oder machten Sonntags vereint einen
Spaziergang über Land. Allein zusammen waren
sie also höchstens für Minuten. Aber Unglück-
liche verstehen einander nicht nur leichter als Glück-
liche, Unglückliche, deren tiefstes Leid Ketten sind,
gegen die nur die Uberkraft der freiheitsfordernden
Jugend noch kämpfen könnte, verstehen einander
in den banalsten Situationen, weil gerade diese die
wahrheitsgetreuesten Schilderer ihrer Ketten sind.

Solche Menschen haben auch die größte Scheu
davor, andere unglücklich zu machen, und die
volle Überzeugung von der Nutzlosigkeit solchen
Beginnens. Wer weiß, daß nur ein Anderer
seinem Glück im Weg steht, der kommt nicht zur
letzten Weisheit der Unglücklichen: der Ergebung,
sondern dem ist der gegenwärtige Zustand nur
deshalb so düster geschwärzt, weil er stets die
Helle vor sich sieht, die Selbstbefreiung noch
schaffen könnte. Diese Helle aber sahen Maria
und Lukas nimmer vor sich.

Lukas hatte Ellen geheiratet, als das Feuer
seiner Künstlertalente daran gewesen war, ihn zu
verzehren. Vielleicht hatte er vom gesitteten Vater-
hause die Angst vor jeder Bohöme, ja schon vor
dem vollen Ausleben des eigenen Ich, vor dem
Begriff „Künstlernatur" mitgenommen. Ellen
war, als seine Bilder zum wilden Spiegel seiner
erotischen und großzügig-phantastischen Abirrungen
und seiner souverän sich gehenlassenden Undis-
zipliniertheit geworden waren, wie ein Gegengift
vor seiner Seele erschienen, die davor zurück-
schreckte, die rechte Grenze zwischen dem Priester-
tum und der Teufelsfreiheit der Kunst zu ziehen.
Und tatsächlich bekamen seine Bilder nach mehr-
jähriger Ehe etwas Gegliedertes, Erwogenes,
etwas Sauberes, das nur der Ausstrahl von
Ellens charakterfester, gerader und blanker Natur
ihnen angehaucht haben konnte. Und ebenso, wie
Maria, die in ihrer vorehelichen Zeit an Träumen
nach fernen Himmeln und Erden, nach der Samm-
lung all ihrer vagen Gefühle in den schöpferischen
Kern einer Idee schwer getragen hatte, bereits

Der heihe Lsg ift nun herum

lloll Blut und 8chlachtengrauen,

Wir knleen und wir beten stumm
Zu 0ott und Untrer Trauen.

Der lserre stand uns mächtig bei
Und schuf vom fremden 3oche frei
Das heilige Land Tirol!

Wir haben Knochen fellenfest
Und eisenharte Pratzen,
greift einer uns in's Ädlernest,

Dem hau'n wir auf die Tatzen!

Das ist der alte Bauerntrutz,

Der reckt sich auf ;u Wehr' und ächutz
Tür's heilige Land Tirol!

0 3efu, lad' den Nutzen gut,

Wir wollen Dir drum dienen;

Was Pulver und was Blei nit tut,

Das tun die Zteinlawinen!

Wenn es auf Teindesschädel kracht,

Dann wünlchen wir recht gute Dacht
3m heiligen Land Tirol!

Das war ein graufer stirchweihtan;

Beim yeul'n der Nurinesglocken,

Wir schlugen für den Kaifer Tran;

Den frechen Teind ;u Brocken!

Die Nrbeit ist setzt gar getan,
hebt hoch die treue Zchützenfahn'

3m heiligen Land Tirol!

Rudolf Grein;

nach dem ersten Kind ihrem Paul dafür dankte,
ihr anstatt der Träume Wirklichkeiten gegeben
zu haben, die nun wie ragende Pfeiler zu Seiten
ihres Weges standen und diesen wiesen, küßte
Lukas oft die feine Hand seiner Frau, die seine
unverkäuflichen Kompositionen zu verkäuflichen
Bildern gemacht hatte.

Aber noch ein paar Jahre .... und diese
Illusion war erkannt! Sahen es Maria und
Lukas zuerst mit Entsetzen, daß aus der schein-
baren Fülle greifbaren Gatten- und Familien-
glücks untödbar wieder ihre, jedweder Begrenzung
feindliche Künstlersehnsucht emporgctaucht war uud
nun weder von der schlafzimmerlichen Bestimmt-
heit dieses Glücks, noch von den mutigsten Ver-
suchen, es sich als endgiltigen Rahmen ihrer Leben
einzureden, weiter unterdrückt werden konnte .. .
zuletzt fügten sie sich willig darein, diese unbeug-
bare Macht als das Einzige zu lieben, was sie
ganz noch lieben konnten, . . . vielleicht weil sie
sie instinktiv als ihr Eigenstes erkannten, als das,
was nur zu ihnen allein verwandt sein konnte
und wollte. Die Tage ihres Unglücks aber be-

gannen erst mit jenem Augenblick, in dem sie das
nimmer nur instinktiv, sondern bewußt feststellten,
und sich trotzdem nicht mehr von ihren Kreisen
abkehrten.

Jeder, der seine Heimat verloren hat, sucht
zuerst eine neue. Wer geirrt hat, will zuerst den
Irrtum ausbessern. Denn die Erkenntnis, daß
wirklich Verlorenes niemals wieder ganz ersetzt,
und einmal gegossene Form nicht beliebig zer-
trümmert und neu gegossen werden kann, rückt
erst viel später an. Und so war es zu erklären,
daß, wenn Lukas seine Einsamkeit als Ausschluß
von jeglicher Freude, Maria, die ihre als langsam
niederfallenden Tod empfand, sie einander suchten.
Die Liebesbeziehungen zwischen Menschen ver-
schiedener Eben haben, wenn diese Menschen mit
ihrem anforoernden Alltag in der Ehe stehen,
nicht dieselben Ausdrucksmittel und Entwickelungs-
zeiten, wie die Verliebtheiten aller Episodensucher.

Lukas und Maria war mit einem verstohlenen
Händedruck, einem kühn wagenden Blick, oder
einem günstig gefügten Alleinsein in sicherem Zim-
mer nicht zu helfen. Sie hätten ohnweiters den
lächerlichen Kontrast zwischen solchen Lappalien
und dem in ihrer Ehe verankerten Pflichtzwang
gewittert. Aber wenn Maria in Lukas' Atelier
stand und weder lobte noch tadelte, aber mit ent-
schleiernden Augen den Kampf erkannte, den hier
Genie gegen Verflachung ausrang, oder wenn
Lukas sie von seinem Fenster aus im Garten
unter der Febersonne gehen sah, füll und gefaßt,
und wußte, daß der Herzschlag der Unausge-
füllten weit hinausdrang in die stummen Gesetze
der Natur, die Blumen und Frühling ebenso
werden läßt wie Leid und Zorn, dann mod)te es
sein, daß beide ahnten und dachten, sie könnten
sich gegenseitig erlösen.

Der März kommt aus tiefster Erde, aus
tiefstem Wasser und aus tiefster Luft, sprunghaft
mitten aus glatt sich abwickelndem Winter, und
wirft zu plötzlichem Chaos Stillstand, Entwicklung
und Zukunft durcheinander. Nicht nur sensible
Naturen folgen dem Ruf vorzeitig drängender
Knospen, verfrühter Sommerhimmel und vor-
österlicher Schwalben. Auch Lukas und Maria
wurden von diesen sturmfreudigen Tagen un-
versehens aus dem Gleichgewicht gehoben, das
ihnen die beharrliche Stählung der Treue gegen
ihr Leben geschaffen hatte. Plötzlich sahen sie
das Gesicht ihres Lebens häßlich, und so ängst-
lich sie nun nach etwas suchten, was es ver-
schönen sollte, ... sie fanden nichts mehr. Bisher
war Ellens klare Stimme, die fast zweckmäßige
Geradheit ihrer Gedanken und ihre blonde Mutter-
schaft für Lukas der Arm gewesen, der jeden jähen
Drang der Empörung kraftvoll am Aufstehen ge-
hindert hatte. Paul, Marias Gatte, hatte ii’
seiner angestrengten Sorgfalt, ihr ein behagliches
Heim zu sichern, und seine trockene, grundehr-
liche Seele ihr unentbehrlich zu machen, immer
eine Besonnenheit auf sie gelegt, die den Glanz
ihrer werbenden Persönlichkeitsträume zweifelhaft
machte. — Jetzt war von all diesen Hemmungen
nichts mehr zu spüren! Die Wände des eigenen
Hauses, der eintönige Schritt des eigenen Tags
wurden in beiden Seelen zu Unerträglichkeiten-
Die Worte der Güte und Tapferkeit kamen nief)1
Register
Albert v. Trentini: Die Gebeugten
Rudolf Greinz: Gebet nach der Schlacht am Berg Isel
Gertrud Kleinhempel: Kopfleiste
 
Annotationen