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Kinbermaskenball

Von Roderich Nlüllce

„Reizend, ganz reizend diese hüpfen-
den Kleinen," sagte Dr. Andreas und
beschrieb mit dem Finger einen Kreis,
der wohl den Rahmen vorstellte, in
dem er das Bild der tanzenden Paare
sah.

„Ich sehe nichts als Affen, ange-
putzte Affen," erwiderte Leonhard,

„Zwerge, denen man Liebessehnsucht
gewaltsam einimpft. Das rächt sich.

Diese Mädels, wie sie die Augen
schmeißen. Man sollte sie ohrfeigen."

„Ach geh," meinte Andreas, „laß
dich nicht auslachen. Naive, fröhliche
Kinder, die an nichts denken, als daß
es recht lustig sei."

„Schau die beiden da drüben, sie
gehen noch kaum in die Schule,"
fuhr Leonhard fort, „die Japanerin
und die Vig6e le Brun. Wie sie die
Köpfe zusammenstecken, sie schielen immer zu uns
herüber. Freilich, wir sind ja etwas, die einzigen
erwachsenen Herren von der ganzen Gesellschaft.
Einfach widerwärtig."

„Mein Lieber, ein harmloses Fest ist nur für
harmlose Leute. Du solltest nach Hause gehen."

„Ich werde die zwei fragen, warum sie uns
so anglotzen."

„Was habt ihr mit uns, heraus mit der
Sprache," wandte er sich an die kleine Butterfly.
Die senkte ihren niedlichen Kopf, wurde unter
leisem Lächeln rot und spielte verlegen mit ihrem
Gürtelband.

„Vorwärts, ich will es wissen."

Er hob ihr Kinn in die Höhe, und während
sie ihn mit reinen, klaren Kinderaugen anblickte,
fragte ihr feines Sümmchen:

„Sind Sie nicht der Verkäufer beim Tietz,
der die Bleistifte verbaust?"

„Donnerwetter," meinte Leonhard und sah
etwas betroffen aus.

Andreas schlug ihn auf die Schulter.

„Wahrhaftig, du hast recht. Die Gespräche
dieser Kleinen sind nicht so unverfänglich."

„Diesmal war es nichts, ich gebe das zu. An
meiner prinzipiellen Stellung zu solchem Kinder-
liebesgetändel ändert das gar nichts." —

Dr. Andreas zuckle die Achseln.

Seine Schwägerin Ena war alte Jungfer,
war Kinderfreundin, war Malerin. Sie hatte
in ihrem Atelier dieses Fest arrangiert. Das
war doch famos von ihr. Ihre Liebe zu den
Kindern war überhaupt ihre prächtigste Eigenschaft.
Dr. Andreas hatte zwei kleine Mädchen. Diese
Tante Ena war ein wahrer Schatz, bildlich und
im eigentlichen Sinne. Tante Ena schenkte den
beiden Kindern, was sie nur schenken konnte,
und Enas Testament, nun, in dem steckte ein
großer Teil der Mitgift für die Töchter von
Dr. Andreas. Leonhard war ein Querkopf, er
verstand nichts von Kinderseelen und nichts von
Tantenglück.

Andreas klaschte iir die Hände.

„Bravo," rief er den Tanzenden zu, „bravo,
ihr Kleinen, alleweil fidel, so ist es recht!"

Leonhard war inzwischen im Atelier und in
den Zimmern herumgeschlendcrt und trat von
neuem zu ihm.

„Nun, hast du wieder etwas?" fragte Andreas.

„Jawohl ich habe etwas," erwiderte Leonhard.
„Siehst du dort den verhungerten Klavierspieler,
der auf sein Instrument einhaut, als sei es ei»
Kalbsbraten?"

Bildnis eines jungen Mädchens

(Altdeutscher Meister)

Die Blicke scheu gesenkt, in züchtigem Fliehn,
Sittsam geschlossen vor dem sündigen Leben,
Ihr Gang kein Gehn, ein rührend

zages Schweben,
Wie durch ein Blumenmärchen Lilien zieh»,

Strebt sie zur Kirche mit geschloff'nen Knien.
Die schlanken Beine, Kcuschheitswächter, heben
Die Füße kaum und flehn doch um Vergeben,
Weil sie ein Männcrblick zu streifen schien.

Nun vor der Jungfrau-Mutter Angesicht
Fühlt sie, den Beterinnen fromm geschart,
Ihr Herz erlöst von ungekannten Schrecken.

Sie kniet auf ihr Brevier; sie betet nicht.
Und ihre Knie' sind also schmal und zart,
Daß sie noch nicht einmal das Büchlein

deckcir . . .
Hugo Salus

Der Dichter und du

Das reichste, was ein Dichter dir verkündet,
Ist nur der Reichtum deiner eig'nen Gaben.
Ein Flammcnlicht, das er dir jäh entzündet,
Muß weckungsfroh in dir geschlummert haben.
Noch eh' er spricht, bist du ihm schon

verbündet!

All seine Süße quillt aus deinen Waben,
Wie deine Sehnsucht in die seine mündet,
Wenn eure Kräfte gleiche Wege haben.

Das ist, wie wenn auf unsichtbarer Brücke
Sich Freunde suchte» und sich staunend

fänden —

Die Träne langer Trennung noch im Blicke,
Und aller Schmerz auflachend müßte enden
Und Freude sein im wechselseitigen Glücke!

Max Bayck

„Freilich sehe ich ihn. Der arme
Kerl ist engagiert, daß er für eine
Mark pro Stunde sich die Finger
wundhämmert."

„Weißt du wer das ist?" fragte
Leonhard weiter.

„Nein, ich weiß eg nicht, es inter-
essiert mich auch gar nicht."

„Das sollte es doch ein wenig,
denn wenn der Mann klug ist, kann
er über Nacht dein Schwager sein."
„Wie meinst du das?"

„Wie ich eben gehört habe, übt er
seit längerem mit Ena Klavier zu vier
Händen. Wie ich gesehen habe, wirft
Ena, die kühle, unnahbare Ena ihm
schmachtende Blicke zu; wie ich ge-
fühlt habe, hat dieser ungarische Draht-
schläger weit mehr Glück in der Liebe
als im Klavierspiel. Unser maskier-
ter Kinderball, den du so herrlich fin-
dest, kann dich viel Geld kosten, mein
Freund!"

Andreas hustete.

„Das ist ja Unsinn," erwiderte er. „Außer
allem anderen, Ena ist zwölf Jahr älter als meine
Frau, also 42, dieser Mensch da ist höchstens 25.
Schon das spricht dagegen."

„Ena hat 300000 Mark," entgegncte Leon-
hard, „er hat keine» Pfennig, das spricht dafür.
Da - da sieh —"

Ena legte ihre Hand auf die Schulter des
Pianisten und blickte über seine Löwenmähne
hinweg in die Noten.

„Sakrament," murmelte Andreas, „ich bin
dir dankbar. Du hast recht, hier muß etwas
geschehen."

Er stand wieder allein.

Sein Töchterchen tanzte vorüber, sie mar die
schönste von allen. Dieses schmale, zarte Gesicht
zwischen zwei glänzenden, goldenen Locken. Sonst
sah er auf sie mit Stolz, jetzt sah er sie inst
Wehmut. So jung sie war, sie wurde schon
betrogen.

Da packte ihn eine furchtbare Wut auf diese
Ena, auf diesen Maskenball, auf diese unnoble,
niederträchtige Tücke, zur Freude der Kinder z»
einem Fest zu laden und die gleichen Kinder auf
diesem gleichen Fest um 300 000 Mark zu prellen

Diese Ena, sie hatte alles, was sie brauchte,
man las ihr jeden Wunsch an den Augen ab,
die Kinder vergötterten sie. Sie hatte ihre Kunst,
man ließ sie inalen, was und so viel sie wollte,
man nannte sie Ena, obschon sie eigentlich Emm»
hieß, weil sie meinte, das sei ihrer kllnstlerischet'
Reputation dienlich. Alles tat man ihr zuliebe,
sie konnte sich über nichts beklagen, zuni Teufel,
warum also gab sie keine Ruhe, warum mußte
sie heiraten? Weil sie falsch erzogen war, s»
falsch wie alle diese Kinder hier, die in das
Bett gehörten, aber nicht auf einen Maskenball-
Leonhard hatte Vernunft, Leonhard war der
einzig Kluge in dieser ganzen Gesellschaft. M»»
impfte durch diesen verdammten Unsinn de»
Kindern die Liebessehnsucht gewaltsam ein, da»
war sehr richtig, und sie wurden dieses Sehne»
ihr Leben lang nicht wieder los. Hier wurde
der Keim gelegt zu der ewigen, jämmerlichen Jagd
nach dem Mann, die selbst eine alte Schraube
von 42 Jahren noch nicht zur Ruhe kommen liest-

Ganz tiefsinnig saß Andreas auf einem Schemel
Er blickte über das Atelier, hinauf auf die kleine
Galerie. Dort in der dunkelsten Ecke sah er ein pack
Buben hocken. Zwischeti ihnen stiegen schwache
Wölkchen auf. Natürlich, die Bursche» rauchte»
So ist es recht, dachte er, man sollte ihnen »och

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Register
Roderich Müller-Guttenbrunn: Kindermaskenball
Max Hayek: Der Dichter und Du
Max Heilmann: Interieur
Hugo Salus: Bildnis eines jungen Mädchens
 
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