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I

K '

Lebt ihr noch, ihr alten grauen Gassen,
Hat der Sommer wieder euch durchglänzt
Und mit Lindenzweigen, süßen, blassen,
Eure müden Stirnen mild bekränzt?

Und der Platz, wo sie an meinem Herzen
Zitternd unterm Sternlicht hat gewacht,
Leuchten ihm noch die Kastanienkerzen
Still und selig wie in jener Nacht?

Rauscht der Brunnen noch voll

Mondenschauer

Leise in den moosbegrünten Trog,

Uber den sich, bleich von weher Trauer,
Weinend einst ihr liebes Antlitz bog?

Mit den Wellen sah ich es verblassen. —
Heute doch ist's lächelnd aufgewacht
Und es spricht mir von den grauen Gassen
llrtb der linddurchblühten Sommernacht.

Franz Langhcinrich

Die Fockfdjot'

Von Hermann Horn (Dachau)

Das Dreiniastvollschiff hatte eben die Anker
gelichtet, nachdem es noch Ladung auf der Elbe
eingenomnien, und ward nun von einem kleinen
Dampfer dem Meere zugeschleppt. Die schwere
Trosse hing in weitem Bogen zu dem Schlepper
hinüber, der von Zeit zu Zeit seine Sirene
heulen ließ, geschäftige Dampfwolken ausstieß
und schon das Topplicht in der Dämmerung an-
gesteckt hatte. Der Segler glitt still dahin und
stieß nur von Zeit zu Zeit stolpernd mit der Nase
nach vorn, wenn der Schlepper ungleichmäßig
anzog. Die Kühle des Abends ging in einen
steifen Zug über, der das Wasser aufblies, daß
es zu zittern begann.

Der Kapitän und der Lotse gingen auf Achter-
deck am Ruder, der eine von dieser der andere
von jener Seite, hin und her.

„Sollen wir nicht das Focksegel beisetzen, daß
das Schiff stetiger liegt?" fragte der Kapitän, der
ein Hochdeutscher war, da sie sich trafen.

„Lot uns noch en beten warten", meinte der
Lotse ohne recht zu wissen warum. Dann gingen
sie weiter hin und her.

Der Kapitän war spät an Bord gekommen
und hatte noch einen jungen Matrosen mitge-
bracht, schlank und braun. Man hatte ihni ge-
holfen, seine Scemannskiste, den Sack und die
Seegrasmatratze aus dem Boote zu hissen. Dann
war er selber im blauen Landgehzeug flink herauf-
geklettert und hatte Hand angelegt, seine Sachen
ins Logis zu tragen.

In die freie Koje hatte er seine Matratze und
den Sack geworfen, die Kiste davor gestellt und
sie geöffnet. Er holte eine Flasche mit Schnaps
und ein Kistchen mit Zigarren heraus. Die stellte
er auf den Tisch, der um den Mast lief mitten
im Mannschaftsraum. „Wer en Zigarr schmoiken
will, man immer to! Da is ok en lütten to trinken!"

Dann hob er seinen Fuß auf die Kiste und
zog sich die Lackschuhe aus, während ein paar,
die da waren, sich bedienten.

Cäc. Schmidt-Goy

„So," sagte er, „nu kan 't ja wieder vor ’rt
Jahr in ’t Joch ringehen! — Is bat en Leben!"

Aber er kleidete sich flink um, leerte den Sack
in die Koje, stopfte einen Kalkstummel aus einem
geschnitzten Tabakskasten und setzte sich auf seine
Kiste. Da saß er eine Weile mit gekrümmtem
Rücken, die schottische Mütze über den Ohren,
rauchte und guckte vor sich hin auf die Lampe,
die leicht schaukelte.

Man frug ihn, wie lange Fahrt er gehabt
habe, wie lange er jetzt an Land gewesen. Vier-
zehn Tage sei er an Land gewesen nach achtzehn
Monaten Reise. Sie hätten ihm sein Geld nicht
lange gelassen. Die andern seufzen leise dazu
als zu einer selbstverständlichen Sache, und er
lacht fröhlich. Wie das Schiff wieder stampft,
horcht er auf und seine Nüstern blähen sich ein
wenig. „Der Kasten stampft," sagt er, „da möt
wi wohl bald de Fock beisetten. — So will ick
nial en beeten an Deck schauen!"

Draußen ist es jetzt völlig dunkel. Man
kommt an einer Bark vorbei, die Anker lichtet,
um in den Hafen geschleppt zu werden. Die
Leute singen, während man sie um das Ankerspill
trampeln hört.

Es wollt ein Mädchen früh aufstehen
Dreiviertel Stund vor Tagen.

Die gehn heim, den Lichtern und Freuden
Hamburgs entgegen.

Der Wind hat Kraft bekommen und schmeißt
Hagelkörner aus der Dunkelheit.

Da hört man des Lotsen Kommando vom
Achterdeck: „Die Raas an de Wind, Grotmars-
seil und Fock bei!"

„Raas an de Wind, Grotmarsseil und Fock
bei!" antwortest s aus allen Ecken und Enden.
Dunkle Gestalten lösen sich aus schwarzen Massen,
trappeln über Deck, verteilen sich: — der zweite
Steuermann kommt gelaufen: „Voran Iungens,
an die Backbordbrassen I"

Die Taue klatschen an Deck, einer „singt aus",
diese wilden Ranbvogelschreie der Matrosen, mit
denen sie an den Tauen ziehen. Oben die Raaen
beginnen an den Stengen zu knirschen, sie drehen
sich schwankend in den Lüften, die Leute laufen
schreiend mit den Tauen über Deck. Alles ist
in Musik erhoben. Der zweite Steuermann, der
ans der anderen Seite die Brassen reguliert,
„singt aus" : „So gut, boy8 — so gut bo^'s —
gif hem noch en — tkst will äc>-"

Dies erste Stück ist zu Ende, man schickt sich
an aus seiner Erregung zum zweiten überzugehen.

Der Steuermann schickt Leute zum Seg^
losmachen in die Wanten. „Ihr zwei," sagtct
zu diesem zuletzt gekommenen Matrosen und
einem schweren, großen Mann im Ölzeug und
Südwester, „mokt man de Fockschoten klar!

Einen Augenblick blicken die beiden nack
der mächtigen untersten Raa des Vorder-
mastes, woran das Focksegel ist. Die Taue, an
denen die Schoten rechts und links feftgeniaA*
werden, hängen wie baumelnde Schlangen
der Dunkelheit. Dann stapfen sie los.

Der Reue hat eben ausgesungen. Sei»r
Sinne haben sich der ersten Musikpiece öe*
öffnet, seine Bewegungen ihr untergeordnete
Es ist etwas Gebücktes, Zurückhaltendes, zu>n
überlegten Sprung Bereites in ihm, während
seine Augen beobachten und wandern.

Der andere ist ein Klotz in seinem schweren
Oelzeug, schweigend und für sich. Er wendet
sich eigensinnig ab, wie der andere den Pl^
der Verhaltung gibt.

Es gilt, die Schoten, die der Kraft dev
Windes wegen aus einer Art Flaschenzütst
bestehen, festzumachen. Ein Tauende außen
an der Schiffswand, das andere innen. So kann
das Tau kunstvoll durch den Flaschenhals taufcl1
und dem geblähten Segel doppelte Kraft eick
gegensetzen.

Jeder sollte ein Ende bedienen. Der Neck
das außen, der Schwere das innen festmacheN.
Während der also über Bord klettert und da
außen arbeitet, reißt der andere wild und
an seinem Teil und macht ihn fest.

Dann stapft er hinüber nach Backbord, 5llt
anderen Schote, ohne nach dem Kommenden S"
sehen.

Wieder zieht er bereits an seineni Ende, da»
auch über rollende Scheiben läuft, aber der flckH
Reue wird mit seinem nicht fertig. Der schwere
eiserne Ring, an den es eingelassen werden smb
ist verrostet und bricht. Das Ende fliegt ihm a»v
der Hand ins Wasser, während von oben sdst"'
die weiße Leinwand des Segels flutet.
rauscht und bläht sich flatternd im Wind. ®elj
schwere, eisengefütterte Zipfel des Segels si»"-l
einmal nach oben, wird nach rückwärts getöOM6'
und strafft das Segel mit donnerndem Knall.

Der Reue ist flink an Bord geklettert.
bebt vor Lust. ...

„Mach dien End fast," schreit er, „wi »w
dat andere ok binnen Bords an de Reeling fe!'
macken!"

Er steht und lauert, um sein Ende zu fasst''
das schwer in der Luft baumelt. ^

„Ach wat," sagt der andere verächtlich 111 ,
holt sein Ende ein, und jetzt, wie der andere
das seine zu fassen kriegt, reißt er's ihm 01
den Fingern. Der Neue schwankt einen Aulst
blick, will noch einmal zugreifen, greift daneck
in die schwarze Luft und fällt mit einem istm
lauten Schrei über Bord.

„Höh —" macht dieser Klotz erstaunt,
dämmt ock!" — Dann zieht er mit riesigen Kra) ^
die Schote an, bis das dicke andere Ende krache'
sich oben am Zipfel des Segels im Flaschend .
verfängt, macht das Tau fest und springt dröhne
das Deck entlang. .

arzesi

Weiter achtern sieht er einen Arm aus

gegen die Außenwand schäumenden, ssh^me
Wasser auftauchen, nach deni wirft er eine Re
Tau.

„Wat is los?" schreit der zweite Steuern»
denn man hißt die Marsraa. ^

„Ick wcet nid)," sagt der Schwere, „der „
da is ja wohl über Bord fallen. — Ick ck>
schon en End toschmeten!"

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Register
Cäcilie Schmidt-Goy: Vignette
Franz Langheinrich: In der Nacht
Hermann Horn: Die Fockschot
 
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