Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Max Feldbauer (München)

Anfeuerung beim Trabrennen in Dagifing

„Bräunderl, -en Schiinini wirst -o net füri lass'n, der wo aus preitz'n stammt!!"

Der Schaffner stand und wartete.

„Also Kinder, laßt mich mal Nachdenken,"
sagte Mamachen. „Nachmittags habe ich die
Gasrechnung bezahlt, sechzehn Mark achtzig. Da
lag das Portemonnaie auf dem Vertikow. Nein,
das war mittags. Dann kam doch noch die Anna,
Trudchen, und wollte Geld haben. Du mußt
Dich doch besinnen, Kind."

„Du hast es wohl liegen lassen, Mama,"
sagte Trudchen phlegmatisch.

„War denn viel drin?" fragten Ellichen und
Merthelchen.

„Mein ganzes Wirtschaftsgeld war drin,"
sagte Mamachen empört. „Es müssen über hun-
dertvierzig Mark gewesen sein. Nein, warte mal.
Da habe ich ja doch Deine Malstunden bezahlt,
Trudchen, dreißig Mark. Und dann die Gas-
rechnung. Und gestern habe ich doch den Fleischer
bezahlt? Ach, ich habe ja überhaupt vorgestern
mit der Anna abgerechnet, oder Sonnabend . ."

Der Schaffner stand und wartete. Trudchen
sah zu ihm herüber. Er tat ganz gleichgültig.

„Ja, . . Ellichen . . hast Du vielleicht einen
Groschen bei Dir?" fragte Mamachen.

Nun kramten Ellichen und Merthelchen in
ihren Pompadours. Nach Meinung des Herrn
kranrten sie nur aus Verlegenheit. Denn es war
deutlich auf ihren Gesichtern zu lesen, daß sie
keinen Pfennig bei sich hatten. Sie mußten denn

auch gleich flüsternd erklären, daß sie leider nichts,
aber auch gar nichts zu sich gesteckt hatten. Nun
war das Entsetzen groß.

„2a, aber was machen wir denn nun eigent-
lich?" Mamachen und die Tanten wurden sich
des Ernstes der Lage bewußt. „Ich sag's ja
immer, wenn man pressiert ist . . . Das ist mir
aber doch noch nie passiert . . Das ist doch ein-
fach . . ."

Trudchen begann mokant zu lächeln. Es ist
jungen Mädchen ja leider häufig eigen, daß sie
sich zu amüsieren anfangen, wenn ehrbare ältere
Leute in eine prekäre Situation geraten.

Mamachen sah schmeichelnd zu dem Schaffner
auf. Doch der Schaffner war kein Kavalier. Es
fiel ihm durchaus nicht ein, sofort zu sagen, daß
die Sache natürlich garnichts auf sich hätte und
daß die Damen ja ruhig auch morgen bezahlen
könnten. Fiel ihm gar nicht ein. Er hielt immer
noch seine Fahrscheine fächerförmig ausgebreitet
in der Hand und ftrengte seine Gedanken nicht
weiter an. Die Billetts waren geknipst, er mußte
am Abend die vierzig Pfennige prompt auf den
Tisch zählen. Man pumpte ihm doch auch nichts,
weshalb sollte er pumpen. Er sah das gar
nicht ein.

„Ja, aber wir können doch hier nicht auf
offener Straße aussteigen," sagte der Karnarien-
vogel erregt. „Das geht doch einfach nicht. Das

junge Mädchen ist in Balltoilette und wir . . .
Das ist doch nicht zu verlangen ..."

„Nein," sagte die Klavierlehrerin, „ich gehe
in diesem Patsch keine drei Schritte. Ich habe
Zeugschuhe an und das Wasser lauft einem ja
gleich in die Galoschen ..."

Mamachen sah scharf zu dem Herrn hinüber.
Der Schaffner stellte sich an die Tür und sah zur
Lampe hinaus.

Endlich stand der Herr auf. „Gnädige Frau,
ich höre leider erst diesen Augenblick von Ihrer
Lage . . ich hatte auf das Gespräch nicht acht
gegeben . . ich bitte mir zu erlauben, daß ich den
Mann entlohne . . Ja, aber natürlich . . das ist
ja doch ganz selbstverständlich. . o bitte nein . .
größtes Vergnügen . . allergrößtes Vergnügen.."

Mamachen und die beiden Tanten überboten
sich in Einwendungen. Das sei ganz ausge-
schlossen . . . das dürfe Lenchen auf keinen Fall
annehmen . . nein, das ginge nicht . .

Der Herr gab dem Schaffner ein Fünfzig-
pfennigstück, winkte ab und sagte: „Es ist gut."

Der Schaffner grüßte militärisch, verteilte die
Fahrscheine und ging auf die Plattform zurück.

Mamachen hatte einen roten Kopf. Trudchen
lächelte nicht mehr. Sie sagte dem Herrn mit einem
langen Blick, daß sie sein Benehmen nett fände.

Dann hielt Mamachen eine lange Rede. Er
könne sich nicht ausmalen, wie peinlich für sie

778
Register
Max Feldbauer: Anfeuerung beim Trabrennen in Daglfing
 
Annotationen