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die Sache gewesen sei. Es hätte ja ganz un-
mögliche Folgen haben können. Nein, zu liebens-
würdig . . nem, wirklich . . Und dann wurde sie
energisch: „Sie haben wohl die Güte, uns Ihre
Karte zu geben, danut wir Ihnen morgen die
vierzig Pfennig zurückerstatten können."

Ellichen sah bewundernd ihre Schwester an,
weil sie eine so schöne Rede gehalten hatte und
so weltgewandt war. Merthelchen dankte mit
einem Augenaufschlag, der ganz Verehrung, ganz
Hingebung war.

Der Herr ärgerte sich, weil Mamachen eine
kleinliche Person war. Sie wollte ihm vierzig
Pfennig zurückgeben und sie wußte, daß er fünf-
zig Pfennig bezahlt hatte. Im Übrigen war er
nicht im Besitz einer Visitenkarte und hatte gar-
nicht die Absicht, den Leuten seinen Namen zu
sagen. Er zog wieder seinen Hut und bat, Ma-
machen möge um Himmelswillen die vierzig
Pfennig einem Bettler schenken. Vierzig Pfennig
seien nicht der Rede wert. Mamachen möge sich
doch um Himmelswillen dieser vierzig Pfennig
wegen nicht aufregen.

Trudchen kam wieder mit einem langen Blick:
„Ich wußte, daß Du Dich anständig benehmen
würdest," sie nannte ihn ganz offen Du mit dieseiu
Blick.

Doch der Herr kam mit seinem Anstand bei
Mamachen schlecht an. Sie wurde sehr energisch.
Alle Gutmütigkeit verlor sich aus ihrem Gesicht.
Der Herr müsse schon ein wenig Rücksicht nehmen.
Es fei ganz unmöglich, daß sie von ihm ein Ge-
schenk, und seien es auch wirklich nur vierzig
Pfennig, annehmen dürfe. Das ginge nicht. Rein,
wenn sie das ihrem Gemahl erzählen würde. .
Sie müsse wirklich dringlichst um seine Karte bitten.

Trudchen lächelte per Du: „Tu 's doch. Wer
weiß, wozu es gut ist."

Der Herr versicherte, daß er keine Karte bei
sich habe. Das wurde vorerst von Mamachen
nicht geglaubt. „Ich bitte Sie", sagte sie mit
liebenswürdigem Achselzucken, „jeder Herr hat
doch Karten bei sich." Run, dann sei er eine
Ausnahme, sagte der Herr.

Der Kanarienvogel hatte einen Einfall. Er-
holte aus seinem Pompadour ein kleines Heft
mit leeren Blättern und einen Bleistift heraus und
gab ihnr das Heft. Er müsse hier Namen und
Adresse aufschreiben.

„Aber bitte auch deutlich", sagte Mamachen.
„Die meisten Herren schreiben so schlecht."

Man war auf der drittletzten Haltestelle. Gleich
nmßten die Damen aussteigen. Der Herr schrieb
mit klaren deutlichen Buchstaben, wie befohlen,
Namen, Straße, Hausnummer und Etage: Dann
reichte er das Heftchen an den Ka-
narienvogel zurück; dieser las, nickte
befriedigt und gab das Heft an Ma-
inachen.

„Nicht wahr, Du bewahrst es auf."

Auch Mamachen las. „Also Pal-
maille 54, 2 Treppen, bei Fräulein
Böttcher. Kenne ich. Das ist das
Fräulein Böttcher, die bei Müllers
früher geplättet hat. Etwas kränklich,
aber ordentlich. Gut. Morgen früh
schicke ich mein Mädchen. Morgen
ganz früh."

Trudchen lächelte kameradschaftlich:

„Siehst Du, nun wissen wir Deine
Adresse. Ich sagte Dir ja, wer weiß,
wozu es gut ist. Wir treffen uns schon
noch einmal."

Nun mußte auch der Kanarienvogel
den Namen lesen, las und strahlte auf:

„Sind Sie mit dem Schriftsteller glei-
chen Namens verwandt?"

„Leider", sagte der Herr. „Ein
entfernter Bruder von mir."

Nun wurde der Kanarienvogel stür-
misch. Nein, das fei aber doch zu inter-
essant. Und wo denn der Bruder
wohne und wie er aussehe und wie
es chm ginge.

„Ach bitte", sagte Mamachen und unterbrach
den Kanarienvogel. „Ich könnte Ihre Adresse
verlieren. Ich könnte ja über Nacht sterben. Oder
ich könnte morgen vergessen. Ihnen das Geld zu
schicken. Also Trudchen, Elli und Merthe: merkt
euch die Adresse: Palmaille 54, 2 Treppen, bei
Fräulein Böttcher. Und erinnert nüch morgen
sofort daran."

„Ja" nickten alle.

Unter vielen Dankesbezeigungen stiegen die
Damen aus, die drei alten sagten noch jede ein
Kompliment und Trudchen nickte vertraulich. Der
Herr war den Damen bis zur Plattform gefolgt,
zog den Hut, verbeugte sich und sagte, daß es ihn,
eine Ehre gewesen sei. Trudchen warf ihm noch
an der Stufe einen Blick zu, den er aber der
Dunkelheit wegen nicht übersetzen konnte.

Dann fuhr er allein weiter und kam zu seinem
Ball genau achtzig Minuten zu spät. Die Haus-
frau sagte liebenswürdig, daß sie auf sein Er-
scheinen kaum noch gehofft hätte.

*

Der Herr, dem diese kleine Geschichte passierte,
hat an sie noch oft denken müssen. Es muß noch
erwähnt werden, daß seine Wirtin, das alte Fräu-
lein Böttcher, am anderen Morgen nicht unge-
fährlich erkrankte, und er, da sie allein auf der
Welt stand, mehrere Tage ihre Pflege selbst über-
nahm und sich nicht aus dem Hause rührte.

Er hat weder das Mamachen, noch den Ka-
narienvogel, noch das Merthelchen und leider auch
nicht das Trudchen jemals im Leben wiedergesehen.

Auf seine vierzig Pfennig wartet er heute noch.

Er meint, das sei weiblich. Denn er ist ein
Junggeselle.

Liebe Jugend!

In meiner Klasse bespreche ich, wie die Obst-
kerne von den vögeln mit der Frucht verzehrt und
dadurch die Gbstbäume sortgepflauzt werden. „Ja",
fragte ich, „wie kommen denn die Kerne aber wieder
zum Vorschein, wenn sie der Vogel verschluckt hat?"
verlegenes Schweigen. — Schließlich sagt eine
Schülerin: „wenn der Vogel austreten muß!"

*

Kominerzienrat Lohns fünfzehnjähriger ge-
taufter Sohn bringt zu den Weihnachtsferien ein
sehr schlechtes Zeugnis heim. Verzweiflung bei
den Litern; die Mutter ruft vorwurfsvoll: „Selbst
in Religion hast Du Mangelhaft!'"

„Ist Dir schon ganz recht, Mutter," erwidert
der Junge, „warum hast Du mich taufen lassen!"

Landsknechtstreu

Der Feind kam mit dem Morgenrot,

Er brachte Blut und Flammen.

Mein Weib starb in der grausen Not;
Die Hütte kracht zusammen. —

Ich lag gebunden wie ein Tier,

Sah schon den Tod vor Augen,

Da trat der Hauptmann rasch zu mir:
„Magst wohl zum Landsknecht taugen!"

„Wohlan, ich sei des Kaisers Knecht,
Lehr mich den Spieß nur führen!

Ich will den Tod mir im Gefecht
Als Kampfgesellen küren!" —

Nun hüte dich, Herr Hauptmann kühn,
Du brachtest bittres Sterben.

Bald soll'n dir rote Röslein blühn,

Bald sollst auch du verderben.

Die Monde eilten durch das Land,

Wir sind herum gezogen.

Es wanderte der Feuerbrand
Mit uns am Himmelsbogen. —

Einst träumte ich im dunklen Zelt,

Im Nachtwind hört ich's klagen:

„Noch lebt, der mich dem Tod gesellt,
Und morgen kommt's zum Schlagen." —

Und als es früh zum Schlagen kam,
Schritt ich an seiner Seite,

Doch war die Hand zum Morde lahm,
Gab brav ihm das Geleite.

Ich Hab ihn aus der Feinde Reih'n
Getreu herausgeschlagen.

Mein totes Weib mag's nur verzeih'n,
Die Hölle soll mich plagen.

Wenngleich er nur mein Liebstes

schlug,

Ich mußt ihm Treue wahren!

Als deutscher Landknecht, frei

von Trug,

Will ich zur Grube fahren!

Otto Rombcrg

*

Liebe Jugend!

Zn einer norddeutschen Universitäts-
Bibliothek, in der die Bücher natürlich
nach Disziplinen geordnet sind, sind junge
Damen der Gesellschaft als lernende
Bibliothekarinnen beschäftigt.

Lines Tages spielt sich zwischen dem
Lhef-Bibliothekar und einer der jungen
Damen folgende Unterhaltung ab:
„Aber, liebes Fräulein X, Sie haben
sich gewiß einen Scherz mit mir machen
wollen!"

„Zch? wieso? Nein, wirklich nicht!"
„O weh! Da haben Sie also im Lrnst
.Frühlings Erwachen' unter .Natur-
wissenschaften' gestellt!?"

Auf der Landstraße

„Ede, ick warne Dir vor Holmbrechtshausen. Da lassen se einem
als Ortsgeschenk vom Bader 'n hohlen Zahn reißen!"

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[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
Monogrammist Pentagramm: Auf der Landstraße
Otto Romberg: Landsknechtstreu
 
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