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Der f(ihrer L. O. Naegele (München)

„Steig'n können S', gna' frau, als ob bkana!)err Vater a Oamsbocfe g'wen war/*

und der Existenz einer Rivalin, die sich keiner
andern Pflicht widmet, als dem Vergnügen und
der Verführung, und die sie darum natürlicher-
weise an äußerem Glanz und Kraft der Ver-
suchung überstrahlt.

Anderseits war aber Marie Anne so sehr
Pariserin, daß sie in diesem einen, von ihr kon-
statierbaren Fall der Untreue kein unheilbares
Vergehen und Verbrechen sah und da sie außerdem
eine kluge Frau war, beschloß sie still und tapfer
den Kampf aufzunehmen, gegen all das Fremde
und Schreckliche, das sich in ihre Ehe einzu-
drängen suchte. Sie wäre vielleicht auch geneigt
gewesen. Martin Huet diese oder jene Passade
zu verzeihen: wovor sie aber eine unsägliche
Angst empfand, war dies: daß er sich dauernd
in eine solche Person verlieben könnte, welche
Beziehung für sie nicht nur der Anfang tiefer
seelischer Qualen, sondern auch ein Grund zu
großen Befürchtungen für die äußere glückliche
Fortdauer ihrer Ehe geworden wäre.

Zunächst versuchte sie Martin maßlos zu ver-
wöhnen. um ihm so den Unterschied zu zeigen,
zwischen ihr, die sich in Liebe und Selbstlosigkeit
um ihn bemühte, und einer Frau, die nur darauf
bedacht war, seine Schwäche zu materiellen For-

derungen auszunützen. Sie war aber auf dem
ganz falschen Wege, da sie nicht erwog, daß der
Mann aus Veranlagung undankbar und bei
großem Behagen des Körpers noch eher zu Aben-
teuern geneigt ist. Da wandte sie ein anderes
Mittel an. Sie begann mit Martins Freunden
zu kokettieren, um seine Eifersucht zu reizen. Er
war darüber wohl zuerst erstaunt, beruhigte sich
aber bald, denn Marie Anne gehörte zu jenen
Frauen von so augenscheinlich bravem Gemüt,
daß es ihr einfach unmöglich war, ein Laster
glaubhaft zu machen.

Schließlich dachte sie an allerlei Künste der
Verführung. Sie wollte für ihren Gatten reiz-
voller, verlockender werden: sie wollte selbst die
Allüren eines Weibes bekommen, das anzieht,
umgarnt, verführt und bezaubert. Aber trotzdem
sie darin nicht wenig Talent zeigte, stand sie
doch bald vor einem unbesiegbaren Hindernis.
Sie sah ein, daß ohne irgend einen Aufwand
von Luxus das Ziel nicht zu erreichen war, da
die Schönheit und jeder Schmuck des Körpers
vor allem auch aus einer Fülle materieller Mög-
lichkeiten und Freiheiten existiert, kurz: es war
ihr aus ihren monatlichen Einkünften einfach
nicht möglich, so elegant zu sein, um den Unter*

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schied zwischen einer elegant gekleideten Frau und
einer Kokotte zu zeigen. Das schmerzte sie un-
säglich, da sie zugleich wohl bedachte, daß Martin,
je mehr ihm das Abenteuerliche und Extravagante
zur Gewohnheit würde, um so schwerer zurück-
zugewinnen wäre.

Aber es mußte um jeden Breis Rat ge-
schaffen werden. Tage und Wochen zermarterte
sie sich das Gehirn, ohne einen Ausweg zu finden.
Denn die Quellen, woraus sich die Frau eines
Bankbeamten, der doch ein wenig zur Gesellschaft
gehört, ohne sich herabzusetzen Einkünfte ver-
schaffen kann, sind leider nicht sehr groß. Vor
allem sah Martin die Nötigung für verschiedene
solcher Vorschläge nicht ein, und Marie Anne
begriff auch, daß irgend eine anstrengende Tätig-
keit ihrem Aussehn schaden und den Erfolg ihres
Unterfangens völlig vereiteln würde.

Sich einen Liebhaber zu nehmen, daran dachte sie
lange nicht. Als ihr aber der Gedanke auf-
tauchte, hatte sie vorher schon alle andern Aus-
wege als derart unmöglich eingesehn, daß dieser
eine für sie der einzige blieb. Trotzdem ihr die
Idee auch anfänglich als ungeheuer merkwürdig er-
schien, befreundete sie sich doch bald mit ihr und sie
empfand nicht einmal erhebliche Gewissensbisse,
da sie die ganze Situation ja gar nicht vom
Standpunkt der Leidenschaft aus betrachtete, son-
dern rein aus dem Eifer ihren Mann zurückzu-
erobern.

Als sie jedoch zur Ausführung ihrer Absicht
kommen wollte, fand sie ihre Situation plötzlich
doch sehr schwierig. Wenn es nämlich in Paris
für eine Dame der Aristokratie oder für eine ganz
gewöhnliche Person auch nicht schwer ist, einen
Geliebten zu finden, war es doch für Marie Anne,
und besonders bei dem vorgesteckten Ziele unge-
heuer kompliziert, zu einem Ziele zu kommen. Sie
mußte sich ganz auf den Zufall verlassen.

Da es ihr nur nachmittags möglich war, von
Hause abwesend zu sein, versuchte sie es mit
Promenaden in den Warenhäufern. Das führte zu
keinem Resultat, denn in Paris gehen Kavaliere
seltener in Warenhäusern spazieren. Zu den Rennen
oder an andere Bergnügungsorte allein zu gehn,
war für sie unmöglich. Eine Zeitlang besuchte
sie die Museen. Aber da traf sie nur sum-
marisch genießende Fremde, armselige Kopisten
und zu oft einen Bettler oder Invaliden, der auf
einein rotgepolsterten Divan seinen Mittagsschlaf
hielt. Darüber war ein ganzer Sommer ver-
gangen. Sehr oft versuchte natürlich irgend ein Herr,
sie auf der Straße anzureden, wobei sie sich jeweils
m einem großen Schreck abwandte und flüchtete.

Ihr Gram wuchs von Woche zu Woche.
Martin Huet schien sich mit einem Ladenfräulein
liiert zu haben, war zwar stets gütig und um
Marie Anne besorgt, aber sichtbar nicht mehr im
Banne ihrer Sinne.

Da geschah ihr eines Tages ein Zufall. Sie
wollte eben an einem Novembertag bei dem Post-
bureau gegenüber dem Senatspalais einen Brief
einwerfen, als ein Fremder sie nach dem Weg
fragte oder so tat, als ob er eine Auskunft nötig
hätte. Er war leidlich elegant, und sicher allem
Anschein nach von anständigem Gemüt. Die beiden
kamen ins Gespräch, und Marie Anne wagte es,
mit ihm in eine nahe Konfiserie zu gehn, wo sie
eine Chokolade tranken. Nachher trafen sie sich
noch wiederholt zur Chokolade, ohne daß sich
irgend etwas verändert hätte.

Eines Tages aber lud sie der junge Herr zu
sich ein in seine Wohnung, die aber in einem ganz
andern Quartier lag. Es was ein Rez-de-chaussee
Avenue Marceau in der Gegend nach dem ?ont
de l'AIma hin.

Marie Anne empfand seltsamerweise keine be-
sonderen Herzensbeklemmungen, als sie eines
Nachmittags an der Türe der kleinen Iungesellen-
wohnung läutete. Als ihr der junge Herr selbst
öffnete, trat sie lächelnd in einen etwas schmalen
aber behaglich warmen Korridor, der nach vorn
in ein schönes weites Schlafzimmer mit einem
breiten Himmelbett, nach hinten in einen eben-
so schön möblierten Salon mündete. In der
Mitte dieser beiden Räume lag ein kleines Bade-


»*>», Adolf,
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Otto Ludwig Naegele: Der Führer
 
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