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Einsame Seele

Verschweige, Seele, hülle deine Schöne!
Nicht du darfst nackt auf ihren Gassen gehn:
Auf trübe Träume traun der Zwietracht Söhne
Und können, was du kündest, nicht verstehn.

Ihr Durst ist nur von dieser dunklen Erde
Und deine Quellen sind dort nicht zu Haus —
Und was sie quält an Bresten und Beschwerde,
Heilt fern nur von der eignen Nähe aus.

Laß Einsamkeit an deine Schleier rühren
Und blüh der Nacht, du helles Königskind —
Sie werden ferne deine Schöne spüren,

Die reich wie du und arm und einsam ftnb.

Victor Hardung

Rosenblätter auf Parkett

Ich bekam zu Weihnachten einen Rosen-
strauß, einen wunderschönen Rosenstrauß.

Als ich ihn von einem Zimmer in das
andere trug, fielen Rosenblätter auf den Par-
kettboden — dahin, dorthin.

Zum ersten Mal in meinem Leben sah der
verflixte gewichste Parkettboden anständig aus.

Aber als ich wieder zurückkam, hatte die
Pauline mit Schäufelchen und Beselein die
süßen welken Blätter gerade aufgekehrt.

„So," sagte sie und stemmte die Arme
in die dicken Hüften und sah mich an, als
ob ich sagen sollte: „So, Pauline, das ist
brav von Ihnen!"

Aber ich sagte nur: „Sie sind ein Rind-
vieh, Pauline."

Und deswegen hat sie jetzt gekündigt.

Wer aber streut mir wieder meine Rosen-
blätter so auf das Parkett, daß sie wieder
grad so liegen, grad so absichtslos verstreut
wie damals?

Fritz Müller (Zürich)

Und eines Tages . . .

Uick eines Tages werd ich's hören müssen:
Daß du zu eigen einem dich gegeben,

Daß fremde Hände deine Schleier heben
Und deine Lippen fremde Lippen küssen.

Zn dieser Stunde werd ich alles büßen,
Was ich an Sünde je beging im Leben,
Und meine starken Hände werden beben
Vor meines Traumes wehen Abschiedsgrüßen.

An diesem Tag werd ich die Wege wandern,
Die stillen Plätze und die alten Gassen
Und unfern seligen Liebesfrühling suchen,

Verwünschen jeden Atemzug des Andern
Und meinen Herrgott tausendmal verfluchen,
Daß er mich nicht hat früher sterben lassen...

Otto Rönig

Die Großmutter und der Tod

Von ppo.'bert Jacques

Großmutter Manz begann ihren Lehnstuhl mehr
zu lieben als früher. Es waren auch Arme genug
im Haus, die ihr die Arbeit abnahmen, seitdem
ihre Tochter mit den drei Mädchen wieder da war.
Die Tochter war Witwe geworden. Sie war einst
als schlanke, junge Ehefrau aus dem Haus der
Großmutter Manz in das eines Arztes gegangen
und war nach dem Tod ihres Mannes als immer
noch stattliche aber etwas zu dick gewordene Frau
zurückgekommen. Sie war nicht die einzige Tochter
von Großmutter Mauz, aber die Großmutter
hatte nur einen Sohn geboren. Dem waren die
Kräfte gekommen, die sie in die sechs Knaben,
welche sie sich immer gewünscht, hineingedacht
hatte. Er war etwas geworden.

Er hatte in der kleinen Heimat die Rechts-
examen gemacht, aber sie und die landesüblichen
Möglichkeiten, die sie ihm boten, spielend in die
Schanze geschlagen. Amerika hatte ihn: mehr ge-
schienen. Das war nach den: Sinn der Groß-
mutter Manz: Aufgeben, um hundertfaches ein-
zuwagen ! Er war ein großer Kaufmann in New
Orleans geworden. Sein Schicksal hatte sich zu
denl vollzogen, wozu Großmutter Mauz einst ihren .
Mann fähig uiachen wollte. Aber ihr Mann hatte
den einfältig gutmütigen Charakter gehabt, den
die Witwe weiter erbte. Großmutter Manz hatte
ihn später, als sie sah, daß er nicht aus den zag-
haften Basteleien mit seinem Hab und Gut heraus-
zubringen war, ein wenig mißachtet. Sie achtete
auch an der Tochter gering, daß in ihr die klein-
mütigen Eigenschaften ihres Vaters immer mehr
lebendig wurden. Wie sie ihr Witwentum trug,
als sei auf der ganzen Welt kein anderer Mann
als der ihrige gewesen! Das reizte die Groß-
mutter Manz. Die Tochter war noch in guten
Zähren. Sie sollte noch einmal heiraten: denn
die alte Frau trug der Witwe zornig nach, daß
ihr Schoß nie fruchtbar an einem Sohn geworden
war. Weshalb hatte sie nur Mädchen geboren?
Es war nicht zuviel Mannsblut in der Fauülie.

Die Großmutter Manz sagte nie ein Wort
über diese Dinge zu der Witwe, konnte es aber
auch nicht über sich bringen, trotzdem sie jetzt das
meiste ihrer Zeit dem Lehnstuhl schenkte und es
aufzugeben begann, sich als repräsentative Kraft
der Familie zu fühlen, der Tochter den Haushalt
ganz in die Hand zu legen. Von ihren: Lehn-
stuhl aus befahl sie. In diesen: alten geschweiften
Möbel, das ihren ganzen kleinen Leib in seine
Polster gebettet hätte, wie ein Adlernest ein
Finkenei, saß Großnmtter Manz. Aber nicht,
wie alte Leute, die ihre müden Glieder den
weichen Federn ergeben überlassen. Ihr fast noch
mädchenhafter grader Körper richtete sich winzig
und steil an der Kante des Sitzes auf, die Füße
in Lederpantoffeln auf den Fußschemel gestemmt,
und schien iiumer bereit zun: Aufflug, wie ein
grimmiger kleiner Falke.

Manchmal unter dem Vorwand, ihr weißes
Haar in die Haube hineinzubändigen, hob sie
den Spiegel von: Fensterkuopf, sah voll Be-
wunderung _ ihre festen gerundeten Bäckchen und
befriedigte sich an dem scharfen Funkeln, das ihre
perlenkleinen, schwarzen Augen nicht verließ.
Wenn daun die Tochter in der Nähe war, konnte
sie zu hören bekommen: „Schau nur, was für
feste Bäckchen ich noch Hab! Und Du!" Dabei
zeichnete die alte Frau entrüstet die hängenden
Backen der Witwe in die Luft. „Ich bin jünger
geblieben!" sagte sie leicht nach einen: Augenblick.

Die Mutter war der Tochter nichts anders
als Gesetz. Halb von den Worten der Groß-
mutter überzeugt und kalb gutmütig nachgebend,

antwortete die Witwe: „Gewiß, Mutter! Aber
was ich mitgemacht Hab!"

Großmutter Manz tat, als hörte sie das nicht.
Sie schaute nicht von: Spiegel auf und strich mit
ihren kleinen Fingern, die ganz braun und spitz
geworden waren, liebevoll über die kreuz und
quer gefaltete runde Stirn. Dann sagte sie, inehr
für sich so leise, aber doch für die Tochter ge-
meint: „Das kommt von: Denken!" Und nach
einer Weile: „Die hat Albert in New Orleans
auch." New Orleans spricht sie schön englisch
aus. Ihre Tochter will sich entfernen. Plötzlich
fragt Großmutter Manz: „Ist denn heut wieder
kein Brief von Albert gekommen?" Die Witwe
sagt nein, n:acht sich besorgt im Nebenzimmer zu
schaffen und verschwindet irgendwohin ins ge-
räumige Haus hinein. Die Großmutter aber
stemmt sich mit ihren zarten Beinen etwas tiefer
in den Lehnstuhl hinein. Das tut sie, um un-
gestörter an ihren starken Sohn zu denken.

Seit kurzen: ging sie nüt den: Gedanken um,
ihm feierlich die Hegenwnie der Familie in die
Hand zu legen. Sie fühlte, wie ihr Lebensweg
sich dem äußersten Rand entgegenneigte und sah
keine Kraft, die berufener für die Ehrenstelle ge-
wesen wäre, welche sie bis dahin eingenommen
hatte, als die ihres amerikanischen Bären. Sie
konnte ihre Gedanken wie ruhige tiefe Inseln
um sich legen, ihre fröhlich alten Gedanken an
ihn. Eigentlich hatte sie ja in:mer dieses kleine
europäische Nest verlassen wollen, un: den Rest
ihres Lebens im stolzen Kreis seiner Existenz zu
beschließen. Das wäre ihr wie eine Krönung
ihres Erdenlaufs vorgekommen. Denn er hatte
mit seiner unbändigen Kraft die Familie in die
Welt verpflanzt und drüben dem alten Namen
einen neuen Glanz gegeben, der zu halten ver-
sprach. Großmutter Manz hätte die lange Reise
auch nicht gescheut. Aber sie sah den Sohn, wie
eine der machtvollen Eichen am Waldsaum hinter
ihren: alten Garten, in der Ferne gedeihen und
die Wurzelkraft seiner Abstammung von ihr in
dem größeren Erdreich drüben neu und bedeuten-
der fruchtbar machen. Was sollte ihr altes Ge-
hölz neben seiner jungen Waldkraft! Großnmtter
Manz war alt geworden, sich mit solchen Vor-
stellungen zu ihm zu sehnen und sich zu trösten!

Mitten aus ihren Gedankeninseln heraus er-
hob sie sich eininal, als ein Plan in ihr besonders
ausgereift erschien, und ging, klein und scharf,
wie eine Katze auf den: Raubzug, ihre Tochter
aufzusuchen.

„Du mußt dann den Brüdern und dem Onkel
schreiben!" sagte sie bestimmt, wie von etwas lang
Beschlossenem, und wollte wieder gehn. Die
Tochter hielt sie fragend an. Großmutter Manz
hob ungeduldig den Kopf zu der Witwe: „Sie
sollen ein Dokument aufsetzen, daß der Albert
jetzt die Führung der Familie hat. Wir schicken
es ihm zu Weihnachten." Die Witwe wagte
einen leisen, erschrockenen Einspruch, ob das nicht
die alten Herren, die Brüder und Schwäger der
Großmutter verletzen könne? Da wurde die Groß-
mutter bös, ging ohne Antwort zurück und zu
ihren: Tisch und kritzelte den Entwurf des Doku-
ments. Sie schrieb drüber: Den: Stärksten die
Zügel! Dann schickte sie das Schreiben ab, ohne
den andern Familienmitgliedern ein Wort davon
zu sagen.

Aber es war ein Gespenst in: Haus. Der starke
Mann aus New Orleans, der amerikanische Bär
der Großmutter Manz, war nämlich tot. Er war
so heimtückisch und rasch gestorben, daß seine Frau
nicht einmal Zeit gefunden hatte, der Mutter nach
Europa hinüber zu melden, er sei krank geworden.
Als aber der entsetzliche Brief mit der so uner-
warteten Todesnachricht kan:, da war die Witwe
nicht so kühn, der Großmutter den Brief zu geben.
Mit der Güte ihrer sanften Seele en:pfand die
Witwe dunkel, daß die Großnmtter in ihren: Sohn
etwas erlebte, wie die fruchtbare Anknüpfung ihres
Erdenlaufs an die Zukunft, etwas wie eine Fort-
setzung ihres Daseins. _ Sie brachte es nicht über
sich ihr zu melden, daß er dahingemäht sei, und
sie faßte den heldenmütigen Entschluß, nnt ihren
Kindern und der ganzen Familie den Sohn für
die Großnuttter an: Leben zu lassen. Nach vielen
durchquälten Stunden und Tagen schrieb sie der

W. Krain
Register
Willibald Krain: Das gefallene Mädchen
Otto König: Und eines Tages...
Fritz Müller: Rosenblätter auf Parkett
Norbert Jacques: Die Großmutter und der Tod
Victor Hardung: Einsame Seele
 
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