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Aufenthalt

Die Bremsen knirschen und der

Schnellzug hüll . . .
Aus offnen Fenstern sieht man alle lehnen,
Sie mustern stumpf und mit

verhaltnem Gähnen
Den Nachmittag der kleinen Sonntagswelt:

Das gelbgewellte, erntereife Feld,

Die grünen Kuppen, die sich bergwärts

dehnen,

Die Sonntagstrachten der

Gemeindeschönen

Und einen Köter, der sich heiser bellt;

Die Bauern streiten wegen des Getreides,
Und gehn am Bahnsteig lärmend hin

und wieder,

Nur manchmal fällt ein scheuer Blick

des Neides

Auf Schlafcoupe und Speisewagen

nieder —

2m Mittelfenster des Stationsgebäudes
Putzt eine Drossel emsig ihr Gefieder . .

Beuna Anderstraat

ÜMrebeu8LÜIo88 Feld. Alb. Burger

Das üeben

(Aus dem Georg Hirth-Schrein)

Bon den Alten zu den Jungen muß

das Leben wandern,
Was Du gestern noch bezwungen,
Bezwingen morgen schon die Andern.
Das Lied, das Du gestern gepfiffen

im Weitertraben,

Will schon morgen der Andern Lippen

haben.

Und Dir entschwundene Augenblicke

kannst Du sehen,
Wie sie im Blut der Andern auferstehen.

Darüber, seit ich's erfahre, muß ich

die Hände falten,

Muß leiden, daß ich mich wandle

und laß es walten.

Das Leben '— ach, einst da kam es

umhalsend gesprungen,
Jetzt grüßt es noch im Vorüberschweben
und geht zu den Jungen,

Max Dauthcndey

Der kleine Hans fcknd an der Tür, die zum
Schlafzinnner seiner Eltern führte und spitzte neu-
gierig die Ohren. Hu, da drin gab's wieder mal
Krach. Er hörte, wie der Vater seine Stimme
erbob, bis sie garnicht mehr zu erkennen war,
und wie er auf die Mutter einschrie. Die Stimme
der Mutter hörte er auch, aber schwächer; dann
siel etwas zur Erde, mit schwerem, dumpfem Fall,
uud gleich darauf klirrte es grell. Die Türe öffnete
sich und die Mutter kam mit ganz weißem Gesicht
aus dein Zimmer. Hänschen sah drin den großen
Spiegel zerbrochen an der Erde liegen. Sie nahm
das Kiud an der Hand nick zog es rasch mit sich
fort, dann rief sie nach Fräulein Käthchen, die
aber hatte sich zitternd in einen entlegenen Winkel
der Wohnung versteckt, wie immer, weuu der
Herr „tobte".

Der kleine Hans liebte seinen Vater nicht,
obwohl er ihn mu’ selten strafte und ihm auch
oft gemig etwas Gutes mitbrachte. Dennoch —
hörte man wie der Vater den Schlüssel in die
Korridortür steckte, mittags zur gewohnten Stunde,
(abends gab es keine gewohnte Stunde) so kroch
ein Schreck in das Herz des kleinen Johannes.
Fräulein Käthchen, die im Speisezimmer die letzte
Hand an den gedeckten Tisch legte, wurde noch
um einen Schein bleicher und ihr schmales, blasses
Inngmädchengesicht erschien grünlich. Mama aber
verzog die Lippen in die Mundwinkel, uud es
schien dem kleinen Hans, als hätte sie einen üblen
Bissen verschluckt, der nun durchaus nicht hin-
unter wollte. Dann trat der Vater ein, grüßte
kurz und rief: „Warum ist das Essen noch nicht
auf dem Tisch?"

„Es ist fertig, Herr Jakobsohn," hauchte
Käthchen. Des Vaters rundes, rotes Gesicht mit

Dater eins und üater zwei

Von Grete Meisel-Heß

den eigentümlich scharfen Augen, die so glänzten,
als ob metallene Nadeln in ihnen gu einem
Bündel vereint wären, verzog sich zu einer Gri-
masse, er zeigte die Zähne und verschwand dann,
um sich die Hände zu waschen. Beim Mittag-
essen bestritt er das Gespräch. Er kritisierte die
Speisen und erzählte von geschäftlichem Ärger.
Mama saß ihm still und weiß gegenüber, auf
ihrem schönen Gesicht lag ein dunkler Schatten.
Sie beugte den Kopf tief über den Teller, sodaß
der Glanz des schweren, schwarzen Haares allen
sichtbar war. Hänschen saß mit der Serviette
unter dem Kinn und wünschte sich weit fort.
Fräulein Küthcheir aber huschte herum, wie ein
körperloser Geist. . .

In dem heutigen Streit der Eltern hatte
Hänschen manches gehört, was ihn: viel Kopf-
zerbrechen verursachte. Diesein schlauen kleinen
Kerl entging nichts. Kein neues fremdes Wort
konnte er leichtherzig vergessen, bevor er nicht
wußte, was es bedeutete. Den ganzen Tag
grübelte er über das neue Fremdwort. Endlich,
als ihn abends Fräulein Käthchen entkleidete,
die Mutter ihm schon den Gutenachtskuß ge-
geben hatte und er mit Käthchen, seiner innig
Vertrauten, allein war, faßte er sich ein Herz:
„Du, hör mal, Käthchen?"

..Ja?"

„Hör mal du, was ist das — Scheidung?"

Fräulein Käthchen erschrak.

„Wie kommst du denn darauf, Hans?"

„Ach, geh, Schwindelmeier. Du weißt ganz
gut, daß sie das — sagten — heute — wie der
große Krach war."

„Du mußt nicht an der Türe horchen, Häns-
chen, das habe ich dir schon oft gesagt "

„Also was ist das Käthchen, — Scheidung?"

Fräulein Käthchen seufzte und schlug ihre
himmelblauen Augen zur Decke der Stube empor,
auf die nur ein gedämpfter Schein des verhängten
elektrischen Lichtes fiel.

„Oh Hänschen," sagte sie, — „Scheidung das
ist — etwas — sehr Schlimmes; . . aber eigent-
lich," meinte sie nach einer kleinen gewissenhaften
Pause, „kann es auch etwas Gutes sein. Schei-
dung das ist . . ." da bemerkte sie, daß der kleine
Hans eingeschlafen war.

❖ ❖ ❖

3n nächster Zeit sollte der kleine Hans mehr
erfahren. Er hörte, daß die Eltern sich scheiden
lassen wollten, und daß das bedeutete, daß sie
auseinander gingen. Wohin sie gingen und wie
sie das machen würden, das war ihm freilich
nicht ganz klar. Er lauschte noch öfter an der
Tür, hörte den Vater toben und hörte auch, wie
die Mutter stark und fest sagte:

„Du behältst mein Geld — aber ich behalte
das Kind." Darauf klang die Stimme des Vaters
etwas besänftigt.

„Auf dieser Basis läßt sich die Sache erwägen,"
hörte Hänschen ihn sagen. „Basis," dachte er,
„was ist das nur, diese Basis?" Er hatte wohl
in der Schule von den Zungens der höheren
Klassen etwas von einer Basis des Dreiecks ge-
hört. Aber was war das für eine Basis, die
mit Mamas Geld zusammenhing? Dann sprach
die Mutter weiter: „Aber ich verlange eines: der
Name — jenes Mannes — darf nicht mit hinein-
gezogen werden."

Des Vaters Stimme fuhr wieder kreischend
in die Höhe, aber auch der Mutter Stimme wurde
stark und schaffte sich Raum.

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Register
Ferdinand Albert Burger: Märchenschloss
Grete Meisel-Heß: Vater eins und Vater zwei
Maximilian Dauthendey: Das Leben
Bruno Anderstraat: Aufenthalt
 
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