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Septembet

Septembersonne reift die satten Farben,

So daß der Herbst in Wald und Fluren glänzt,
Wenn man den letzten Wagen mit den Garben,
Den letzten hohen Erntewagen kränzt.

Der Drescher Takt hallt aus den vollen

Scheunen.

Die Sonnenblumen und die wilden Reben,
Um die die letzten Wespen summend schweben,
Glühn gelb und purpurrot an Haus

und Zäunen.

Aus roten Sträuchern schimmern rote Beeren
Zn schweren Dolden und vom Nebel naß.
Auf gelben Wiesen flimmern wie in Meeren
Die Herbstzeitlosen, violett und blaß.

Kartoffelrauch qualmt von der Stoppelerde.
Der Föhnwind wühlt in. Birkenzweigen
Und hetzt — — die kreischen und die

schweigen — —
Der Raben und der Wolken düstere Herde.

Peter Asam

Die getrübten Spiegel

Bon Binet-Valmer

Heute Abend kehrte sie früher heim, als es
sonst ihre Gewohnheit war. Sie fand keinen
Reiz mehr an ihren üblichen Beschäftigungen. Die
Anproben bei der Modistin und der Schneiderin
und die Schmeicheleien ihrer schwatzhaften Freun-
dinnen hatten sie gelangweilt. Die Erinnerung
an ihren Triumph trennte sie von der Welt. Unb
sie hatte Eile, wieder mit dem, welchen sie so
vollkommen besiegt, zusalnmenzutreffen.

Seit Monaten wartete sie auf die Gelegen-
heit, ^ dem Gefährten ihres Lebens die Gründe
auseinanderzusetzen, aus welchen sie ihn nicht be-
wunderte. Aber sie hatte eine so gute Erziehung
genossen, daß sie im letzten Augenblicke immer
noch davor zurückgeschreckt war. Sie zeigte ihm
ihre Verachtung nur durch sarkastische Bemer-
kungen, die Blei in feine schwungbereiten Flügel
sandten und ihn doch nicht zur Strecke brachten.
Heute endlich hatte sie zur Zeit ihrer täglichen
Szene, während er mit beleidigender Gelassenheit
seine Zigarre rauchte, Mut in sich gefühlt und
die Entscheidung herbeigeführt. Und er hatte nur
bm Kopf senken und schweigen können, während
sie ihm mit unerbittlicher Logik durch die genaueste
Analyse seines Charakters bewies,, daß er in
Wahrheit nur ein kläglicher Mann war. Sie
hatte mit dem Anfang begonnen. Sie hatte die
Ereignisse ihres gemeinsamen Lebens, eines nach
dem andern beleuchtet. Sie hatte jede ihrer Be-
schwerden ^ einzeln hergezählt. Sie hatte dieses
Herz studiert und diese Seele bloßgelegt. Sie
hatte sein Leben vor ihm aufgerollt in all seiner
Unnatur und Mittelmäßigkeit. Sie hatte die
Handlungen, ^ auf die er stolz war und die man
bewunderte, ihrer Schönheit beraubt, indem sie
ihm ihre Ursachen und ihr wirkliches Ziel zeigte,
mit all dem bösen Genie, welches von ihrem
Irrtum zurückgekommene Verliebte besitzen. Was

blieb von ihm übrig, als sie schwieg?. Er

fa& zu einem Haufen zusammengekauert auf dem
Divan und schien seinen völligen Bankrott ein-
zugestehen. Da war sie befriedigt, mit verächtlich
verzogenem Munde, hoch erhobenem Kinn, mit
einem leisen, beleidigenden Lachen leichtfüßig

Der frohe König Rudolf Hesse

hinausgeeilt. Und jetzt kam sie mit dem Wunsche,
ihn noch weiter leiden zu sehen, zurück. Trotzdem
war sie nicht bösartig. Aber sie hatte ihn geliebt, —
und das war nun zu Ende.

Als sie die Schwelle ihres Hauses überschritt,
achtete sie nicht auf das häniische Gesicht des Dieners
und eilte schnell nach ihrem Ankleidezimmer. Sie
bemerkte dort einen auffällig auf den Spiegel ge-
legten Brief, der ihren Namen trug. Sie zuckte
die Achseln und dachte spöttisch: natürlich hat er
da eine ganze Verteidigungsrede zusammengesetzt.
Sie nahm sich ruhig die Zeit, ihr Kleid zu wechseln,
ihr hübsches kluges Gesicht und ihre geistreichen
Augen zu bewundern. Sie rieb ihre Nase, die
der kalte Wind gerötet, mit Puder ein, setzte sich
dann in einen Lehnstuhl vor den brennenden Kamin,
erbrach die Siegel und verzog ein wenig ihr Gesicht.
Aber sie las folgendes:

„Ich gehe, Marie, und werde niemals wieder-
kehren. Ich schwöre Dir, daß ich nicht zornig bin
und daß mein Entschluß unwiderruflich ist. Ich
schwöre Dir auch, daß ich Dich nicht verlasse, weil
ich eine andere Frau liebe, oder weil ich Dich der
Koketterie anklage: ich weiß, daß Du mir treu
bist. Dennoch müssen wir uns trennen. Wir
kennen uns zu genau. Seit acht Jahren sind wir
unausgesetzt einander gegenüber und sehen gegen-
seitig unserm Leben zu. Und wenn ich Dir in
diesem Abschiedsbriefe nicht sagen will, was ich
in Deinem Leben sehe, so muß ich Dir doch ge-
stehen, daß Du das meinige richtig gesehen hast,
daß Du Dich nicht getäuscht, daß Du heute Nach-
niittag zu mir gesprochen, wie ich in ernsten Stunden
selbst zu mir spreche. Ja, Marie, Du hast recht:
ich bin ein kläglicher Mann. Aber glaubst Du
nicht, daß alle Menschen sich gleich sind, alle gleich
klein, wenn man sie mit bloßem Auge betrachtet?
Ich wenigstens zweifle nicht daran. t Und ich würde
trotz meines Kummers bei Dir bleiben, ich würde
nicht den Rat geben, den ich im Begriff bin Dir
zu erteilen, wenn ich nicht davon überzeugt wäre,
daß wir uns gegenseitig Uebles tun, seitdem wir
keine Illusionen mehr haben. Sieh, ich war besser,
als Du Dir einbildetest, daß ich vollkommen sei,
und Du warst vollkommen, solange ich mir ein-
bildete, daß Du etwas Erhabenes seist. Denke ein-
mal nach! Selbst Deiner harten Kritik gegenüber
bleiben die Handlungen, welche wir während der
ersten Monate unserer Liebe begingen, wenn

auch nicht sehr schön, so doch wenigstens ziem-
lich edel.

Damals versuchte ich es, dem Menschen an-
nähernd zu gleichen, dem Dein leuchtender Blick
folgte, versuchtest Du es, so zu werden, wie meine
zärtlichen Blicke Dich sahen. Um uns zu gefallen,
strebten wir der Vollkommenheit, deren wir fähig
waren, zu. Jetzt schleppen wir uns noch dahin, —
aber der Häßlichkeit entgegen. Und doch sind wir
weniger niedrig, als wir glauben, Marie. Wenn
man einen Gegenstand oder ein Wesen aus zu
großer Entfernung oder zu großer Nähe betrachtet,
so nimmt es eine Mißgestalt an. Nur die richtige
Distanee verschönt. Wenn wir uns noch liebten,
so würde unsere Liebe den richtigen Abstand für
die andauernde Unruhe schaffen. Ach, ich gelange
dazu, den nachzuahmen, welchen ich in Deinen
verächtlichen Blicken sehe, wenn mein entstelltes
Bild wie aus einem schlechten Spiegel mir aus
ihnen entgegenstrahlt. Wir kennen uns zu gut. —
--Erkenne dich selbst!* — Welch' eine Torheit ist
dies Wort. Man muß der Phantasie Spielraum
lassen. . . . Und wenn man nicht die genügende
Kraft in sich hat, so muß man jemand finden,
der sie in uns zu sehen glaubt .... Wir beide,
liebe Freundin, besitzen diese Kraft nicht. Und aus
diesem Grunde gehe ich. So wollen wir denn beide,
jeder nach einer anderen Seite, eine neue Liebe
suchen, die uns verschont. Wenn wir ein Kind
hätten, würde ich nicht so zu Dir sprechen. Es
wäre zwischen uns und wir würden uns weniger
klar sehen. ^ Aber wir sind allein und weder ich,
noch Du, die Du Lüge und Hinterlist im Prinzip
verabscheust, wollen, daß der Liebhaber oder die
Geliebte zwischen uns tritt. Beide würden uns
durch ihre Gegenwart mit der wiedererwachten
Hoffnung Schmerzen geben. Da wir also den
Ehebruch und seine Feigheiten hassen, so leb' denn
wohl, Marie! Wir wollen ohne böse Worte und
ohne ein Rachegefühl auseinandergehen, bevor
wir zu tief hinabgestiegen sind."

Und der Brief änderte plötzlich den Ton und
bestinunte in klaren Ausdrücken über ihre beider-
seitige Zukunft.

Als die junge Frau zu Ende gelesen, überkam
sie ein Kältegefühl. Sie beugte sich über das
Feuer. Hatte sie verstanden?. . . Sie murmelte:
„Er ist wahnsinnig geworden! . . .." Sie schellte
nach dem Diener, um ihn auszufragen, und erfuhr,
daß man die Koffer des Mannes, der sie verließ,
nach dem Nordbahnhof befördert hatte.

Sie speiste allein. Als sie sich zu Bett legte,
dachte sie: „Morgen wird er zurückkehren." Doch
er kam nicht zurück. Sie sagte sich: „Er erwartet,
daß ich ihm schreibe!" Sie schrieb ihm nicht, aus
Stolz. Sie flüchtete sich zu ihren Eltern. Freunde
mischten sich in den Streit. Es kam zur Scheidung.

Die Zeit ging dahin. Eines Tages erfuhr sie,
daß er sich wieder verheiratet hatte. Da auch sie
verlobt war, so verursachte ihr das nicht die ge-
ringste Erregung. Neue Jahre schwanden. Sie
verloren beide ihre Jugend.

Und doch war sie an diesem Septernberabend,
an dem sie sich in einem Restaurant des Bois
begegneten, immernoch sehr hübsch und er immer
noch sehr schlank.

Sie dinierte mit ihrem Manne und er mit seiner
Frau. Ihre Tische standen nahe zusammen.

Er sah sie an. Sie sah ihn an. Dann richteten
sich ihre Blicke, aus Furcht sich gegenseitig zu be-
gegnen, mit großer Traurigkeit auf den Gegen-
stand ihrer zweiten und bereits alten Lieben und
blieben darauf haften.

Und er dachte:

„Ach! weshalb bin ich fortgegangen!"

Und sie grübelte:

„Ach, weshalb habe ich ihn nicht zurückgerufen!"

Und ihre entmutigten Seelen, die es müde
waren, wieder ein neues Leben zu beginnen, ihre
wissenden, kalten Seelen, die keines neuen Auf-
schwungs mehr fähig waren, hatten nur noch den
einen Wunsch: zu sterben.

(Autorisierte Uebersetzung von Gutti Alsen.)

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Register
Jean Auguste Gustave Binet-Valmer: Die getrübten Spiegel
Rudolf Hesse: Der frohe König
Peter Asam: September
 
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