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Spruch

zum Gedenktage eines Meisters

Feiert nicht ihn und seine hohle Gruft:

Die Stimme hört, die aus der Sphäre ruft.

Sucht nicht sein Haus, bekränzt sein Bildnis nicht:
Der Geist ist Sturm und führt kein Angesicht.

Umrätselt und bejammert nicht sein Los:

Wer eine Flamme trägt, ist heimatlos.

Der Meister ging. Sein Weg war schwarz und weit.
Vergeßt und schaut! Sein Werk ist Herrlichkeit.

Ernst Bertram

Heimgegangen

Auf diesen weichen, blumenreichen Heiden
Wall ich umher, wie selig heimgegangen,

Erlöst von Schmerz, von Hoffnung und Verlangen,
Nur willig, immer tiefer abzuscheiden.

Das Innere der Welt hat mich empfangen,
Ich darf wie Bienen in den Kelchen weiden,
Darf in den kühlen, schwankenden Geschmeiden
Des Tau's als ein verzücktes Funkeln hangen.

Ich bin der Käfer, der im Moose kreist,

Und ich, indes die Hand sie träumend psiückt,
Bin Blatt und Blüte, bräutlich ausgeschmückt.

Ich bin des dichten Rasens sel'ger Geist;

Was war und wird, verscholl wie Windesrauuen,
Nur Stille blüht in mir und lichtes Staunen.

Erika Rheinsch

Die Gratifikation

Bon Wilhelm Scharrelmann

Olsen war der pflichttreueste Beamte, der sich
denken ließ. Wer ihn nur einmal im Büro über
eine Kopierarbeit gebeugt sitzen sah und seine
eifrig gleitende Hand und bie gespannt auf die
Arbeit niederblickenden Augen beobachtete, mußte
davon überzeugt sein. Auch sein neuer Chef er-
kannte bald, welchen Schatz er an Olsen besaß.

„Olsen!" sagte er eines Tages. „Ich habe
hier eine Extra-Arbeit, sie verlangt eine sichere
und feine Hand, wissen Sie, eine akkurate Hand."

Olsens Augen glänzten. Er fühlte die An-
erkennung, die in den Worten seines Vorgesetzten
lag, und verbeugte sich devot.

„Zu dienen, zu dienen!" sagte er mit seinem
freundlichsten Lächeln.

„Es wäre mir am liebsten, Olsen, wenn Sie
die Arbeit nach Schluß der Bürozeit fertigstellten.
Dann brauchten die übrigen Arbeiten deswegen
nicht liegen zu bleiben, nicht wahr? Selbst-
verständlich werde ich eine Gratifikation für Sie
beantragen, sobald Sie damit zu Ende sind! —"

Olsen summte es bei diesen Worten in den
Ohren, als würden auf sämtlichen Kirchtürmen
der Stadt die Glocken geläutet.

Mit einem abermaligen Bückling nahm er
die Arbeit entgegen und kehrte an seinen Platz
zurück. Rein wunderlich war ihm zu Sinn.

Das Wort „Gratifikation" hatte ihn in einen
Taumel des Entzückens versetzt. So etwas hatte
es noch nicht gegeben, so lange er im Büro tätig
war, und das wurden doch nun bald 25 Jahre.
Der frühere Bürochef hätte dergleichen nie be-
fürwortet I

EUROPA

Otto Obermeier

Noch an demselben Abend begann er voll
Eifer die Arbeit. Es war ein umfangreicher Akt,
und Olfen rechnete aus, daß er in einem Monat
fertig fein könne, wenn er sich daran hielt und
jeden Abend drei Stunden daran schrieb.

Nun, an seinem Fleiß sollte es nicht liegen!

Allzuviel Eile aber würde auch keinen guten
Eindruck machen! Und an der Schrift durfte
auch nichts zu tadeln fein.

Mit gebeugtem Rücken faß er in dem stillen
Büro und schrieb, den Kopf mit dem bereits
spärlich gewordenen Haare tief über die Arbeit
gesenkt . . .

Erst nach zehn Uhr machte er Schluß.

„Mein Gott, Herr Olsen!" sagte seine Wirtin,
als er eine halbe Stunde später in seine Wohnung
trat. „Das ist man ja rein gar nicht gewohnt
bei Ihnen?!"

„Glaube ich wohl!" kicherte Olsen.

„So unsolid zu werden!"

„Nicht wahr, nicht wahr?" kicherte Olsen
von neuem.

„Na, ja!" meinte Frau Rüschmann zuletzt.
„Vielleicht haben Sie ein Geheimnis. Da will
ich nicht zudringlich sein!"

„Ein Geheimnis!" lachte Olsen, seine schad-
haften Zähne zeigend. „Ich sage Ihnen, Frau
Rüschmann, Sie haben einen Scharfblick, — un-
glaublich ! Einfach unglaublich!"

Er lachte noch, als seine Wirtin das Zimmer
bereits verlassen hatte. —

An den nächsten Abenden wiederholte sich das-
selbe Spiel. Frau Rüschmann wurde innner ver-
wunderter, ihre Fragen immer dringender. Aber
Olsen blieb so zugeknöpft wie am ersten Abend . .

Das war doch wirklich, um nachdenklich zu
werden! —

Am Tage, nach dem Olsen seine Arbeit fertig-
gestellt hatte, legte er sie seinem Chef vor.

„Wenn Herr Kanzleidirektor die Güte haben
möchten . . . ."

Der Herr Kanzleidirektor hatte die Güte,
blätterte die Arbeit durch und klopfte Olsen wohl-
wollend auf die Schulter.

„Famos, das nmß man sagen! Einfach tadel-
los ! Man sieht, Sie verstehen die Geschichte!"

Olsen schwamm in Wonne. Er verbeugte
sich und kehrte voll inneren Stolzes an sein Pult
zurück. Von der Gratifikation erwähnte er nichts.
Die würde schon kommen! Die Sache mußte
auch erst „oben" beantragt werden. Das war
nicht so einfach. —

Geduldig wartete Olsen. Aber mit den Wochen
wurde er doch ein wenig nervös, wenn er an
die Gratifikation dachte. Daß sie kommen würde,
war ja sicher, und jedesmal, wenn am Ersten das
Gehalt ausgezahlt wurde, erwartete Olsen, daß
man ihn zurückrufen würde: „Warten Sie, Olsen.
Es ist noch eine besondere Summe für Sie an-

gewiesen. Sie, wissen ja die Schreibarbeit, die
^iben!"M—s U' 3t)ren Überstunden angefertigt

„Ach so richtig!" würde er sagen und mit
ernein gleichgültigen Gesicht über die Summe
quittieren ....

Seine Gedulo wurde freilich etwas reicklick
hart auf die Probe gestellt.

„Aber sie ist in Aussicht!" sagte er sich. „Sie
kommt sicher! Eines Tages wird sie da sein!"

Und wirklich, sie Kain. Fünf Wochen später
klingelte ihn die Glocke des Kanzleidirektors eines
Abends in das Privat-Büro.

„Olsen!" sagte der, sein glattrasiertes Gesicht in
freundliche Falten legend, „in Anerkennung der
von Ihnen seinerzeit besorgten Arbeit ist Ihnen
eine Gratifikation von 50 Mark bewilligt worden
Hier ist die Anweisung. Sie können zur Kasse
gehen imd sich die Summe auszahlen lassen!"

Olsen war halb von Sinnen vor Seligkeit.
Aber er wußte sich zu beherrschen. Mit non-
chalanter Geringschätzung quittierte er an der Kasse
über den angewiesenen Betrag und strich das
Geld ein, als sei es eine Bagatelle für ihn.

Aber auf dem Nachhausewege kam es wie
ein Rausch über ihn. Ganze fünfzig Mark besaß
er mehr als sonst! Fünfzig Mark! Das war
keine Kleinigkeit! So ein Freudentag! Heute
wollte er sich nun einmal ordentlich etwas gönnen.
Zeit seines Lebens war er ein Hungerleider ge-
wesen — heute Abend wollte er einmal schlenniien
— schwelgen — prassen!

Unerhörte Genüsse sollten den Tag krönen!
In seine Gedanken versunken, griff er nach seinem
Zigarren - Etuis! Nein! Heute wollte er sich
etwas Feineres gönnen als seine gewöhnliche
Sechspfenniger. Er trat in einen Laden und
forderte echte Havanna!

In seinem Leben hatte er noch keine Importen
geraucht. Der heutige Abend sollte das Uner-
hörte zum Ereignis machen!

Es gab ihm doch einen heimlichen Stich
durchs Herz, als man ihm 30 Pfennig für das
Stück abforderte. Eigentlich war es ja sündhaft
viel Geld! Aber was tat's? Heute konnte es
wohl mal drausgehen!

Ob er eine anzünde?

„Nein, danke. Jetzt nicht."

Den Genuß wollte er sich für nachher sparen.
Lächelnd ging er weiter und trat mit heimlicher
Aufregung in eine Weinstube. Umständlich stu-
dierte er die Karte.

Aber er kannte sich zwischen den Speisen, die
darauf verzeichnet waren, nicht aus. Es standen
allerhand französische Gerichte darauf, und es
war wohl nicht zu empfehlen, etwas aufs Ge-
ratewohl zu bestellen. Da entschied er sich lieber
für ein Schnitzel mit Ei und Salat.

Er fand das Essen und den Wein vorzüglich,
und seine Stimmung war die göttlichste, die es
geben konnte. Und als er nach dem Essen gar
seine Importeii herauszog, eine wählte und an-
zündete, kam er sich wie ins Schlaraffenland
versetzt vor. So eine Zigarre hatte einen Duft,
das mußte man sagen! Das war ja köstlich!
Dagegen waren die Fünf- und Sechspfenniger,
die er an anderen Tagen rauchte, elende Stinka-
dores! Und jede Zigarre hatte eine Leibbinde,
daß jeder bereits von weiteni sah, was für eine
kostbare Marke man rauchte!

Er trank und rauchte, und rauchte und trank,
und merkte kaum, daß der Wein sich allniähtich
wie ein Nebel über seine Gedanken legte.

Vielleicht war eine ganze Flasche doch ein
wenig viel für eineii Abend. Er hätte vielleicht
vorsichtiger eine halbe bestellen sollen. Aber nun
er sie einmal vor sich hatte, würde er sie auch
trinken.

Daß ihn der Wein etwas mitnahm, war ja
schließlich kein Wunder. Die Sorte war gut,
und wer so selten Wein genoß wie er, mußte
darauf gefaßt sein, ein wenig schwer im Kopfe
zii werden.

Auch die Zigarre war nicht leicht zu vertrageii.
Er hatte allerdings absichtlich eine schwere Sorte



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Saas-Fee

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Ernst August Bertram: Spruch
Erika Spann-Rheinsch: Heimgegangen
Wilhelm Scharrelmann: Die Gratifikation
Otto Obermeier: Europa
 
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