Per dem Abschied
Die so warm auf dieser Mondnacht ruhn,
Liebevolle Schatten alter Bäume
Und den letzten Duft der Sommerträume
Will ich dir in deinen Weinkrug tun.
Und nun wart ich dein und stimm
die Laute leise,
Präludierend deine Abschiedsweise.
Bald werd ich dir selbst ins Auge sehn, <
Deine Hand wirst du mir lächelnd geben;
Daß wir unser Glas ins Mondlicht heben,
Heute soll's zum letzten Mal geschehn.
Ach, wie mag der Wein so
wundersam erblinken,
Wenn wir Lebewohl auf ewig trinken.
Und das Lied, das unsre Liebe sang,
Soll noch einmal durch die Saiten rauschen,
Dir allein! Nie wird noch einmal lauschen
Eines Menschen Seele seinem Klang.
Wir nur haben es dem Leben froh gesungen,
Sei's wie unser Glas am Baum zersprungen!
Dämmernd glänzt der Fluh im dunklen Tal,
Goldne Wölkchen fliehen vor den Sternen,
Und ein sanftes Wort aus seligen Fernen
Weht auf Erden und im Himmelssaal.
Kraft, Licht, Ewigkeit, erhöre meine Bitte —
Horch, schon klingen leichte, liebe Schritte.
Franz Langhctnnch
Bas Telegramm
Bon Norbert Jacques
Was stellte der alte kleine und etwas schmutzige
Mensch am Schreibpult des Telegraphenamtes an?
Er schrieb ein Formular nach dem andern, schob
eins zerknüllt weg und nahm ein neues anderes,
biß die Spitze des Federkiels zu einem Pinsel und
schluchzte dazwischen einmal auf, als ob er eine
Kugel aus den Lungen heraufatmen müßte. Rund
um ihn breitete sich eine Flut von beschriebenen
und zerballten Telegraphenformularen aus, eine
wahre Papierschlacht, und der kleine grauhaarige
Alte setzte sein merkwürdiges und unverständliches
Werk fort.
Das ging soweit, daß der Hausknecht, der mit
einem Formular inmitten des Rudels der Warten-
den bislang vergebens am Schalter gestanden hatte,
zaghaft an die Scheibe pochte. Der Beamte fuhr
hinter einem dicken Journal auf, wie aus einer
andern Welt heraus, raste mit dem Schiebefenster
in die Höh und schnauzte: „Was wollen Sie?"
Statt zu antworten: „Ein Telegramm auf-
geben!" zeigte der Knecht auf den sonderbaren
Alten und sagte: „Er hat schon wenigstens dreißig
Depeschen so zerknüllt!" Der Beamte bemerkte
kurz angebunden: „Es steht nicht in meinen In-
struktionen ihm das zu verbieten!" Das Fenster
schnob wieder zu, wie ein griesgrämiges Maul,
Arnold Haag
das einmal heftig gegähnt hat, der Beamte, der
Knecht, das Rudel der mit den Depeschenforinu-
laren in der Hand Wartenden, der ganze Raum
fielen wieder in die träge Erstarrung, die von
dem leeren Sonntagnachmittag-Platz vor den
Fenstern, um den räudige Kasernenbauten und
dirnenhaft herausgeputzte Lokale sich aufreihten,
in den Telegraphenraum strömte. Es war ein
drückender Augusttag ohne die geringste Be-
wegung in der Luft.
Rur der grauhaarige Alte schrieb mitten in
dem verschlafenen Brüten fieberhaft neue For-
mulare, lehnte sich tief nieder, zerbiß den Feder-
kiel und fraß ihn immer weiter auf, las und
schluchzte einmal hart auf, wie ein
Tier, das einen Fußtritt bekam, knüllte das For-
mular zusammen und schob es weg. Seine Hand
bebte sofort über einem neuen. Sie bedeckte es
langsam mit steifen Zeichen, immer nur eine Reihe,
die von den Wartenden mit dösiger Neugier als
eine unordentlich aufgereihte Kette von verschmier-
ten Tintenklexen angesehen wurde. Der Haus-
knecht gab feine Vorzugsstelle auf, die bisher
freilich illusorisch gewesen, weil der Beamte noch
immer hinter seinem großen Buch saß und den
Telegraphendraht seines Zwecks entzog; er näherte
sich behutsam dem Alten, als ob er ihn ertappen
wollte. Aber der merkte die Neugier. Er schob
seinen breiten Buckel weit über das Pult und
rundete ihn wie das Schild einer Schildkröte ab-
wehrend vor dem Fremden über das Geheimnis
seiner Schreiberei. Ängstlich raffte er die zer-
knitterten Fornnüare zusanunen und schichtete sie
in eineni Haufen auf, der wie ein Wall das
Formular umgab, das er eben beschrieb.
Da kam ein Offizier herein. Er wollte sich
hinten anstellen. Aber das Schalterfenster schnaubte
wie auf ein Kommando in die Höhe, eine Hand
griff heftig draus hervor und entzog der Hand
des Majors das beschriebene und mit Marken
beklebte Formular. Das Fenster klappte zu.
Dieser Laut zog den Hausknecht mit einem Sprung
wieder an seine Vorzugsstelle am Schalter zurück.
Der Offizier entfernte sich. Es entstand eine Be-
wegung in der träg erhitzten Schar der War-
tenden. Einige äußerten Ungeduld. Man klopfte
ans Fenster, machte heftige, mißbilligende Be-
merkungen, und der Beamte war gezwungen,
sich seinem Amt, dem Publikum und dem
Weltverkehr zu überliefern, was er ohne Gra-
zie tat.
Darob vergaß man den Alten. Doch der
hatte mit einem plötzlichen Entschluß das letzte
Formular, das er grade beschrieben, vom
Pult gezogen, drückte sich heimlich und scheu
in die Menge hinein und zwängte sich durch,
bis er am Schalter stand. Alle waren neu-
gierig auf das, was er bringen sollte, und
duldeten, daß der Sonderliche sich vordrängte.
Als er am Schalter stand, war er derart
aufgeregt, daß er sein Formular, das er so
sorgsam vor dem Hausknecht geheim gehalten
hatte, ganz vergaß und es allen Blicken und
der Neugier offen zur Verfügung stellte, in-
dem er es auf das Brett vor sich legte und
in seiner Börse nach Geld suchte.
Da lasen die, welche um ihn standen, das
Telegramm. Es stand drauf: „Geschwister
Zaberle, Saargemünd. Kommt gleich. Mutter
hat sich"
Dann folgten sieben schreckhaft plumpe Striche,
die sich jedesmal halb aus der Wagerechten ver-
zweifelt aufrichteten. Zum Schluß stand als Unter-
schrift: „Vater."
Aber es war solch eine heiße träge Sommer-
stunde, in der man zu allen andern Dingen, als
zu tragischen Kombinationen aufgelegt war. Nur
der Hausknecht, der inzwischen sein Telegramm
aufgegeben hatte, faltete lre zusammengeballten
Formulare am Pult des Alten auf, während der
Mann in die Schar eingeschlossen war. Die
andern aber lachten nur über die ruhelose Hast,
mit der der Alte dem Beamten statt des For-
mulars ein Fünfzigpfennigstück hinschob, als vor
ihm das Fenster aufgegangen war und dieses
plötzliche Gesicht in dem Loch ihn wie eine ver-
hängnisvolle Macht vor die entsetzliche Entschei-
dung stellte. Denn der Alte mußte doch seinen
Kindern das furchtbare Geheimnis mitteilen, ohne
es der entweihenden Fremdheit des Telegraphen-
amtes preiszugeben. Er hatte sein Hirn zer-
mahlen lassen von seinen kleinen wehen Gedanken,
um die Form zu finden, durch die er dies Dop-
pelte erreichen könnte. So hatte er Formular
über Formular beschrieben und war zuni Schluß
auf die Fassung zurückgekonrmen, auf die er zu-
erst gefallen war, auf diese einfache, schwerfällige
Fassung, in der sein stunrpfes Leid menschlich zu
erkennen stand, wie eine nackte Seele, die nicht
nrehr zu sprechen braucht, um sich zu verraten.
Der Beamte griff rasch und ungeduldig über
das Fünfzigpfennigstück hinweg zu dem Papier
und riß es zu sich hinein. Das Papier knitterte
ein wenig. Er legte es vor sich und schlug es
mit dem Rücken der Hand glatt. — Der Alte
erschrak. Mit fiebrigen Augen folgte er dem Ge-
bühren des Beamten. Der schaute streng auf
das Papier, hob dann den Kopf und sagte, in-
dem er auf das Geschriebene zeigte: „Was wollen
Sie denn damit? Das kann ich doch nicht weiter
telegraphieren! Was sollen diese Striche?"
Der Alte stammelte. Er brachte den Satz
nicht zusammen. Er wollte doch nichts verraten
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Die so warm auf dieser Mondnacht ruhn,
Liebevolle Schatten alter Bäume
Und den letzten Duft der Sommerträume
Will ich dir in deinen Weinkrug tun.
Und nun wart ich dein und stimm
die Laute leise,
Präludierend deine Abschiedsweise.
Bald werd ich dir selbst ins Auge sehn, <
Deine Hand wirst du mir lächelnd geben;
Daß wir unser Glas ins Mondlicht heben,
Heute soll's zum letzten Mal geschehn.
Ach, wie mag der Wein so
wundersam erblinken,
Wenn wir Lebewohl auf ewig trinken.
Und das Lied, das unsre Liebe sang,
Soll noch einmal durch die Saiten rauschen,
Dir allein! Nie wird noch einmal lauschen
Eines Menschen Seele seinem Klang.
Wir nur haben es dem Leben froh gesungen,
Sei's wie unser Glas am Baum zersprungen!
Dämmernd glänzt der Fluh im dunklen Tal,
Goldne Wölkchen fliehen vor den Sternen,
Und ein sanftes Wort aus seligen Fernen
Weht auf Erden und im Himmelssaal.
Kraft, Licht, Ewigkeit, erhöre meine Bitte —
Horch, schon klingen leichte, liebe Schritte.
Franz Langhctnnch
Bas Telegramm
Bon Norbert Jacques
Was stellte der alte kleine und etwas schmutzige
Mensch am Schreibpult des Telegraphenamtes an?
Er schrieb ein Formular nach dem andern, schob
eins zerknüllt weg und nahm ein neues anderes,
biß die Spitze des Federkiels zu einem Pinsel und
schluchzte dazwischen einmal auf, als ob er eine
Kugel aus den Lungen heraufatmen müßte. Rund
um ihn breitete sich eine Flut von beschriebenen
und zerballten Telegraphenformularen aus, eine
wahre Papierschlacht, und der kleine grauhaarige
Alte setzte sein merkwürdiges und unverständliches
Werk fort.
Das ging soweit, daß der Hausknecht, der mit
einem Formular inmitten des Rudels der Warten-
den bislang vergebens am Schalter gestanden hatte,
zaghaft an die Scheibe pochte. Der Beamte fuhr
hinter einem dicken Journal auf, wie aus einer
andern Welt heraus, raste mit dem Schiebefenster
in die Höh und schnauzte: „Was wollen Sie?"
Statt zu antworten: „Ein Telegramm auf-
geben!" zeigte der Knecht auf den sonderbaren
Alten und sagte: „Er hat schon wenigstens dreißig
Depeschen so zerknüllt!" Der Beamte bemerkte
kurz angebunden: „Es steht nicht in meinen In-
struktionen ihm das zu verbieten!" Das Fenster
schnob wieder zu, wie ein griesgrämiges Maul,
Arnold Haag
das einmal heftig gegähnt hat, der Beamte, der
Knecht, das Rudel der mit den Depeschenforinu-
laren in der Hand Wartenden, der ganze Raum
fielen wieder in die träge Erstarrung, die von
dem leeren Sonntagnachmittag-Platz vor den
Fenstern, um den räudige Kasernenbauten und
dirnenhaft herausgeputzte Lokale sich aufreihten,
in den Telegraphenraum strömte. Es war ein
drückender Augusttag ohne die geringste Be-
wegung in der Luft.
Rur der grauhaarige Alte schrieb mitten in
dem verschlafenen Brüten fieberhaft neue For-
mulare, lehnte sich tief nieder, zerbiß den Feder-
kiel und fraß ihn immer weiter auf, las und
schluchzte einmal hart auf, wie ein
Tier, das einen Fußtritt bekam, knüllte das For-
mular zusammen und schob es weg. Seine Hand
bebte sofort über einem neuen. Sie bedeckte es
langsam mit steifen Zeichen, immer nur eine Reihe,
die von den Wartenden mit dösiger Neugier als
eine unordentlich aufgereihte Kette von verschmier-
ten Tintenklexen angesehen wurde. Der Haus-
knecht gab feine Vorzugsstelle auf, die bisher
freilich illusorisch gewesen, weil der Beamte noch
immer hinter seinem großen Buch saß und den
Telegraphendraht seines Zwecks entzog; er näherte
sich behutsam dem Alten, als ob er ihn ertappen
wollte. Aber der merkte die Neugier. Er schob
seinen breiten Buckel weit über das Pult und
rundete ihn wie das Schild einer Schildkröte ab-
wehrend vor dem Fremden über das Geheimnis
seiner Schreiberei. Ängstlich raffte er die zer-
knitterten Fornnüare zusanunen und schichtete sie
in eineni Haufen auf, der wie ein Wall das
Formular umgab, das er eben beschrieb.
Da kam ein Offizier herein. Er wollte sich
hinten anstellen. Aber das Schalterfenster schnaubte
wie auf ein Kommando in die Höhe, eine Hand
griff heftig draus hervor und entzog der Hand
des Majors das beschriebene und mit Marken
beklebte Formular. Das Fenster klappte zu.
Dieser Laut zog den Hausknecht mit einem Sprung
wieder an seine Vorzugsstelle am Schalter zurück.
Der Offizier entfernte sich. Es entstand eine Be-
wegung in der träg erhitzten Schar der War-
tenden. Einige äußerten Ungeduld. Man klopfte
ans Fenster, machte heftige, mißbilligende Be-
merkungen, und der Beamte war gezwungen,
sich seinem Amt, dem Publikum und dem
Weltverkehr zu überliefern, was er ohne Gra-
zie tat.
Darob vergaß man den Alten. Doch der
hatte mit einem plötzlichen Entschluß das letzte
Formular, das er grade beschrieben, vom
Pult gezogen, drückte sich heimlich und scheu
in die Menge hinein und zwängte sich durch,
bis er am Schalter stand. Alle waren neu-
gierig auf das, was er bringen sollte, und
duldeten, daß der Sonderliche sich vordrängte.
Als er am Schalter stand, war er derart
aufgeregt, daß er sein Formular, das er so
sorgsam vor dem Hausknecht geheim gehalten
hatte, ganz vergaß und es allen Blicken und
der Neugier offen zur Verfügung stellte, in-
dem er es auf das Brett vor sich legte und
in seiner Börse nach Geld suchte.
Da lasen die, welche um ihn standen, das
Telegramm. Es stand drauf: „Geschwister
Zaberle, Saargemünd. Kommt gleich. Mutter
hat sich"
Dann folgten sieben schreckhaft plumpe Striche,
die sich jedesmal halb aus der Wagerechten ver-
zweifelt aufrichteten. Zum Schluß stand als Unter-
schrift: „Vater."
Aber es war solch eine heiße träge Sommer-
stunde, in der man zu allen andern Dingen, als
zu tragischen Kombinationen aufgelegt war. Nur
der Hausknecht, der inzwischen sein Telegramm
aufgegeben hatte, faltete lre zusammengeballten
Formulare am Pult des Alten auf, während der
Mann in die Schar eingeschlossen war. Die
andern aber lachten nur über die ruhelose Hast,
mit der der Alte dem Beamten statt des For-
mulars ein Fünfzigpfennigstück hinschob, als vor
ihm das Fenster aufgegangen war und dieses
plötzliche Gesicht in dem Loch ihn wie eine ver-
hängnisvolle Macht vor die entsetzliche Entschei-
dung stellte. Denn der Alte mußte doch seinen
Kindern das furchtbare Geheimnis mitteilen, ohne
es der entweihenden Fremdheit des Telegraphen-
amtes preiszugeben. Er hatte sein Hirn zer-
mahlen lassen von seinen kleinen wehen Gedanken,
um die Form zu finden, durch die er dies Dop-
pelte erreichen könnte. So hatte er Formular
über Formular beschrieben und war zuni Schluß
auf die Fassung zurückgekonrmen, auf die er zu-
erst gefallen war, auf diese einfache, schwerfällige
Fassung, in der sein stunrpfes Leid menschlich zu
erkennen stand, wie eine nackte Seele, die nicht
nrehr zu sprechen braucht, um sich zu verraten.
Der Beamte griff rasch und ungeduldig über
das Fünfzigpfennigstück hinweg zu dem Papier
und riß es zu sich hinein. Das Papier knitterte
ein wenig. Er legte es vor sich und schlug es
mit dem Rücken der Hand glatt. — Der Alte
erschrak. Mit fiebrigen Augen folgte er dem Ge-
bühren des Beamten. Der schaute streng auf
das Papier, hob dann den Kopf und sagte, in-
dem er auf das Geschriebene zeigte: „Was wollen
Sie denn damit? Das kann ich doch nicht weiter
telegraphieren! Was sollen diese Striche?"
Der Alte stammelte. Er brachte den Satz
nicht zusammen. Er wollte doch nichts verraten
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