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Die Flucht nach Aegypten

Rudolf Hesse (München)

Der Rutengänger

Wir sind der Erde Kinder und verwoben
Mit unserer Muiter durch das Fleisch und Blut.
Was an Metall und Wasser in ihr ruht,
Kreist eingemengt in unsren Körpern oben.

Nur ist die Menge anders eingeschoben
Bei dem und jenem. — Was die Antwort tut
Dem Strahlenrufe auf des Goldes Glut
2m Schachte, ist des Gängers Goldkraft

droben.

Wir find der Erde Kinder. — Was sie spricht,
Muß in uns Echo finden! — Nur das Ohr
Ist noch nicht hell genug, wir hören's nicht!

Doch manchem gab sie das Geschenk,

zu künden

Der heimlichen Metalle Flüsterchor,

Des Wassers Wort aus ihren dunklen

Gründen.
Max Hayek

Der Rampf

Er hat getan, was er nicht lassen konnte:
Den Degen kreuzte er mit dem Halunken,
Der frech sich im erlog'nen Glanze sonnte,
Und seine scharfe Klinge sprühte Funken.

Sie traf auf harten Stahl und brach in Splitter,
Und keiner reichte eine neue Waffe;
Verlassen stand der Wahrheit armer Ritter,
Und heimlich lachten Narr und Protz

und Pfaffe.

Rarl Berner

Das StiftsfcinD

Von Wilhelm Scharrelmann

Es war bereits spät am Weihnachtsabend,
und die Nacht war dunkler als je eine Nacht am
Ende des Jahres. Der Wind stieß wie ein Raub-
vogel vor die Fenster der Häuser und ließ die
Gasflammen in den Straßenlaternen wie geäng-
stigte kleine Vögel in ihren gläsernen Bauern
flattern, daß sie jeden Augenblick zu verlöschen
drohten. Aber während das Wetter draußen
stürmte und die Dunkelheit sich dichter und dichter
über die Stadt legte, begann hier und dort schon
in den Häusern das festlichste Licht des Jahres
zu erstrahlen, und in das Sausen des Sturm-
winds mischte sich der Weihnachtsjubel frohlocken-
der Kinderstimmen.

Dicht an der Ufermauer des Flusses, wo der
Sturm die Eisschollen knirschend aneinanderpreßte
und sie vor den Pfeilern der nahen Brücke mit
dumpfem Rauschen sich stauen ließ, stand das
St. Annenheim. Die zwölf alleinstehenden und
unbescholtenen alten Jungfern, die es beherbergte,
hatten während des Nachmittags in ihren Stuben
hinter den Fenstern mit den kleinen weißen Gar-
dinen gesessen und über die Straße auf den Fluß
hinuntergesehen, der schwer unter der Last seines
Eises an der Stadt vorbeizog. Mit Anbruch des
Abends aber hatten sie ihren Sonntagsstaat an-
gezogen, ihre besten Hauben aufgesetzt und waren
langsam, eine nach der andern, in das große
Zimmer hinübergegangen, das hinten im Hause
mit der Aussicht nach d^m Hofe hin, lag. Es
war das Staats- und Ehrenzimmer im Hause
und wurde nur sehr selten benutzt: wenn die
Zinsenverteilung an die Stiftsinsassen durch den
verwaltenden Rechnungsführer erfolgte und am
Weihnachtsabend.

Alte, stark nachgedunkelte Olporträts, die
ehemaligen Stifter des Hauses darstellend, hingen
hler in verblichenen Rahmen an den Wänden.
Eins dersÄben zeigte einen gemütlich dreinschauen-
den alten Herrn, dessen rundes, fleischiges Gesicht

über der steifen Halskrause wie ein dicker Apfel
auf einem weißen Teller wirkte. Unter der Decke
hing ein alter schmiedeeiserner Kronleuchter und
auch die Stühle an den Wänden stammten noch
aus alter Zeit. Sie waren aus Mahagoniholz
mit schadhaften Damastbezügen und standen an
den Wänden ausgerichtet, feierlich ernst, einer
steif neben dem andern, während in der Mitte
des Zimmers, das die Insassen des Stifts den
Saal nannten, ein langer, schwerer Tisch stand,
der heute den geschmückten Baum für die ge-
meinschaftliche Weihnachtsfeier trug.

Feierlich brannten die Kerzen in der stillen
Luft des alten Raumes, der mit seinen hohen
Fenstern und den kleinen bleigefaßten Scheiben
darin, das Sausen des Windes im Hofe deutlich
vernehmen ließ, in das sich, aus welken, zittern-
dern Mündern erklingend die leise Melodien der
alten Weihnachtslieder seltsam mischten.

Nach dem Absingen der Lieder schritt die
Vorsteherin, Fräulein Türeisen, an die Verteilung
der Gaden, die in winterlichen Kleidungsstücken,
gestrickten Jacken, warmen Filzschuhen, weißen
Hauben und baumwollenen Schürzen bestanden.
Mit prüfenden Augen und Händen waren alle
zwölf beschäftigt, ihre Geschenke durchzumustern,
zu deren Anschaffung dem Stift vor einigen
Jahren ein besonderer Fonds von einer verstorbenen
Gönnerin der Anstalt vermacht worden war, als
plötzlich die Haustürglocke mit solcher Wucht und
Dringlichkeit gezogen wurde, daß ihr Gebimmel
in den weiten Gängen des Hauses mit heiserem
Klange widerhallte.

Unwillig über die unerwartete Störung ging
Fräulein de Baer, als die Jüngste der Zwölf,
um nachzusehn, Sie schritt über den Flur, der
von einer Petroleumlampe matt erhellt war, und
öffnete die Haustür, die stets unter Verschluß ge-
halten wurde, da man vor unberufenen Ein-
dringlingen geschützt sein wollte.

Kaum war die Tür geöffnet, so stieß der Wind
mit solcher Gewalt ins Haus, daß die Flurlampe
hoch aufleuchtete und im nächsten Augenblick, er-
losch, während eine offenstehende Stubentür im
Register
Max Hayek: Der Rutengänger
Rudolf Hesse: Flucht nach Ägypten
Wilhelm Scharrelmann: Das Stiftskind
Karl Berner: Der Kampf
 
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