La Madeleine
(mit Zeichnung ocn Z. Staeger)
es Christine nennen, zur Erinnerung an den
heutigen Christabend. Einen Zunamen müßte
man noch finden —
Allerhand Vorschläge wurden lallt. Dann
einigte man sich auf den Namen Christine Annen-
heim, womit dem Anteil des Stifts an der zu-
künftigen Erziehung des Kindes gleich gebührend
Erwähnung getan war.
Leise rückten dann alle an den Tisch zum
Abendbrot und während sie ihren Tee schlürften,
schlief das Kind in seinem Korbe und ließ durch
seine Gegenwart die Quellen der Liebe stärker
und stärker sprudeln, die es in den welken Herzen
der Alten geweckt hatte, ail denen das Leben
einst achtlos und grausam vorübergegangen war.
Sprüche
von Elisabeth Mentzel
Immer ist Tadel von hohem wert,
Ob er dich über Fehler belehrt, —
Oder gleich einem schelmischen Fant
Macht mit den Mängeln des Tadlers bekannt.
*
(Einern bekannten Lyriker)
Deine Lieder find reich an Geistesblitzen,
Die nur ein kluger Ropf ersann,
Schad, daß man sie vor lauter Spitzen
wie Dornen am Strauch, nicht fühlen kann.
*
Undank redet sich immer heraus,
Und weiß er sonst nicht ein, nicht aus,
So sagt er ohne Federlesen,
Du wärst ihm das alles schuldig gewesen I
Liebe Jugend!
Bei meinen regelmäßigen Besuchen in Leipzig
habe ich einen netten Herrn kennen gelernt und
aus unserem öfteren Zusammentreffen ist eine
Freundschaft entstanden. Von diesem neuen
Freunde werde ich einst besucht. Um ihm unsere
Berge zu zeigen, als Flachländer sind ihn: Berge
überhaupt etwas ganz Fremdes, unternehmen
wir einige Ausflüge. Auf einem derselben kommen
wir in den Abendstunden durch ein äußerst indu-
striereiches Städtchen, welches in ein schmales
Tal gebettet liegt und rings die Höhen mit Häu-
sern besiedelt hat. Aus all diesen Häusern strahlt
heller Lichterschein und als ich meinen Leipziger
auf die in dm Hängen verstreuten Fünkchen auf-
merksam mache, spricht er:
„Ach nee! Alles gennen Se mer doch nich
weis machen. Das sollen Häuschen da oben sein?
Das is doch die Milchstraße!"
Die Kaiserkirche glänzt im Mittagsgold
Des milden Herbstes. Uber ihre Stufen,
Die vielen Stufen, die zur Höhe führen,
Steigt langsam Hand in Hand
ein Frauenpaar.
Des ersten Lenzes Blütenkind die Eine,
Sturmfreudig strebt das Haupt von
schlanken Schultern,
Empfängt das Auge, gibt es mehr
des Lichtes?
Die Andere schon gesenkt den Greisenscheitel,
Gebeugt von langer Zeit und vieler Sorge,
Und ausgelöscht im müden Aug' den Blick.
Die Zunge führt und zählt die letzten Stufen
Mit leiser Stimme, klingender Krystall
Der Auserwählten, deren Seele fingt.
Nun sind sie oben. Und das junge Schau'n
Folgt froh dem Wuchs der
hohen Säulenbäume,
Die doppelreihig vor der erz'nen Tür
Die vorgeschobene Giebeldecke tragen
Und ringsum weiter um die Mauern reihn,
Ein herrliches Geheg dem ganzen Haus.
„Ein Tempel mehr für Götter als für Gott!"
So schafft mit eifervollem Wort das Kind
Der Mutter wechselnd die Gebilde nach,
An denen sie der Fuß vorüberträgt.
Der Engel, steinern, schmächtig, flügelschmal,
Der auf des Weihebeckens Rand gestellt,
Die kleine Schale mit dem Heiligwasser
Zn dünnen Händen, vorgebognen Knies,
Das Lid gesenkt im Schlaf der Frömmigkeit.
Die Halle tut sich auf, hoch, dunkel, weit.
Das Licht des Tages geht nicht mit den Frau'n.
Auf Zehen, flüsternd, schreiten sie hindurch:
Birgt sich der Herr in solcher Finsternis?
Da zittern zarte Kerzenflämmchen auf
Zn tiefer Rische, wehend, körperlos.
Zm schwachen Schein erblinkt das
goldne Kreuz
Geheim und ernst auf marmornem Altar.
Andächtig und vergessend fragt das Mädchen:
„Siehst du es, Mutter?" Doch die
Alte schweigt,
Ergebnes Lächeln um den schmalen Mund. —
Daheim und Abend. Stiller Lampenschein.
Zm hohen Stuhle lehnt die alte Frau,
Die Tochter dämmert mit gesenkter Stirn
Und rührt mit schlankem Finger ab und zu
Leis an der Tasten gelbes Elfenbein.
Ein heimlich Schauern atmet durchs Gemach,
Verlangen, Scheu und Wille, der
noch schwankt.
Da greift die kleine Hand mit voller Kraft,
Die Kraft der Zarten, die vom Geiste kommt,
Zns Reich des Klanges und der Ewigkeit.
Anschwellend wachsen die Akkorde auf
Wie Säulen für des Himmels erznes Dach,
Und eines Engels klarer Lobgesang
Verbindet sie mit goldner Melodie.
Es dunkelt, nachtet. Ton um Ton verlischt
Zn grauen Schleiern schleppen sie dahin,
Und einer lauscht dem andern bange nach,
Der letzte einem letzten — Lebt er? Stirbt?
Er lebt! Er flimmert wie ein Sternlein auf
Und hunderte entzünden sich an ihm,
Erglüh'n, entfalten sich zu Rosenflammen,
Zusammensließend zu dem Strahlenkranz,
Der überm Haupt des Gottesmenschen
schwebt.
Und Orgelbrausen betet, überwindet
Und endet: Hättet ihr der Liebe nicht. . .
Und lange Stille. Langsam sucht die Alte
Mit ihrer tastend nach der Tochter Hand:
„War das die Kirche, die wir heut
durchschritten,
Der Heidentempel mit dem Christenkreuz?
Zn deinen Tönen Hab' ich sie geseh'n."
Und strahlend, lachend fällt in ihren Schoß
Das Kind und hebt den Sieg sich
übers Haupt
Und ahnt sich selbst: „So Hab ich es gewollt!
Zch wollte, daß du siehst! Die ganze Welt
Will ich dir klingend machen, daß du schaust
Sonn', Mond und Sterne wie kein Sehender.
Du weinst doch nicht? Zch freue mich so sehr!"
Ernst Rosmer
(mit Zeichnung ocn Z. Staeger)
es Christine nennen, zur Erinnerung an den
heutigen Christabend. Einen Zunamen müßte
man noch finden —
Allerhand Vorschläge wurden lallt. Dann
einigte man sich auf den Namen Christine Annen-
heim, womit dem Anteil des Stifts an der zu-
künftigen Erziehung des Kindes gleich gebührend
Erwähnung getan war.
Leise rückten dann alle an den Tisch zum
Abendbrot und während sie ihren Tee schlürften,
schlief das Kind in seinem Korbe und ließ durch
seine Gegenwart die Quellen der Liebe stärker
und stärker sprudeln, die es in den welken Herzen
der Alten geweckt hatte, ail denen das Leben
einst achtlos und grausam vorübergegangen war.
Sprüche
von Elisabeth Mentzel
Immer ist Tadel von hohem wert,
Ob er dich über Fehler belehrt, —
Oder gleich einem schelmischen Fant
Macht mit den Mängeln des Tadlers bekannt.
*
(Einern bekannten Lyriker)
Deine Lieder find reich an Geistesblitzen,
Die nur ein kluger Ropf ersann,
Schad, daß man sie vor lauter Spitzen
wie Dornen am Strauch, nicht fühlen kann.
*
Undank redet sich immer heraus,
Und weiß er sonst nicht ein, nicht aus,
So sagt er ohne Federlesen,
Du wärst ihm das alles schuldig gewesen I
Liebe Jugend!
Bei meinen regelmäßigen Besuchen in Leipzig
habe ich einen netten Herrn kennen gelernt und
aus unserem öfteren Zusammentreffen ist eine
Freundschaft entstanden. Von diesem neuen
Freunde werde ich einst besucht. Um ihm unsere
Berge zu zeigen, als Flachländer sind ihn: Berge
überhaupt etwas ganz Fremdes, unternehmen
wir einige Ausflüge. Auf einem derselben kommen
wir in den Abendstunden durch ein äußerst indu-
striereiches Städtchen, welches in ein schmales
Tal gebettet liegt und rings die Höhen mit Häu-
sern besiedelt hat. Aus all diesen Häusern strahlt
heller Lichterschein und als ich meinen Leipziger
auf die in dm Hängen verstreuten Fünkchen auf-
merksam mache, spricht er:
„Ach nee! Alles gennen Se mer doch nich
weis machen. Das sollen Häuschen da oben sein?
Das is doch die Milchstraße!"
Die Kaiserkirche glänzt im Mittagsgold
Des milden Herbstes. Uber ihre Stufen,
Die vielen Stufen, die zur Höhe führen,
Steigt langsam Hand in Hand
ein Frauenpaar.
Des ersten Lenzes Blütenkind die Eine,
Sturmfreudig strebt das Haupt von
schlanken Schultern,
Empfängt das Auge, gibt es mehr
des Lichtes?
Die Andere schon gesenkt den Greisenscheitel,
Gebeugt von langer Zeit und vieler Sorge,
Und ausgelöscht im müden Aug' den Blick.
Die Zunge führt und zählt die letzten Stufen
Mit leiser Stimme, klingender Krystall
Der Auserwählten, deren Seele fingt.
Nun sind sie oben. Und das junge Schau'n
Folgt froh dem Wuchs der
hohen Säulenbäume,
Die doppelreihig vor der erz'nen Tür
Die vorgeschobene Giebeldecke tragen
Und ringsum weiter um die Mauern reihn,
Ein herrliches Geheg dem ganzen Haus.
„Ein Tempel mehr für Götter als für Gott!"
So schafft mit eifervollem Wort das Kind
Der Mutter wechselnd die Gebilde nach,
An denen sie der Fuß vorüberträgt.
Der Engel, steinern, schmächtig, flügelschmal,
Der auf des Weihebeckens Rand gestellt,
Die kleine Schale mit dem Heiligwasser
Zn dünnen Händen, vorgebognen Knies,
Das Lid gesenkt im Schlaf der Frömmigkeit.
Die Halle tut sich auf, hoch, dunkel, weit.
Das Licht des Tages geht nicht mit den Frau'n.
Auf Zehen, flüsternd, schreiten sie hindurch:
Birgt sich der Herr in solcher Finsternis?
Da zittern zarte Kerzenflämmchen auf
Zn tiefer Rische, wehend, körperlos.
Zm schwachen Schein erblinkt das
goldne Kreuz
Geheim und ernst auf marmornem Altar.
Andächtig und vergessend fragt das Mädchen:
„Siehst du es, Mutter?" Doch die
Alte schweigt,
Ergebnes Lächeln um den schmalen Mund. —
Daheim und Abend. Stiller Lampenschein.
Zm hohen Stuhle lehnt die alte Frau,
Die Tochter dämmert mit gesenkter Stirn
Und rührt mit schlankem Finger ab und zu
Leis an der Tasten gelbes Elfenbein.
Ein heimlich Schauern atmet durchs Gemach,
Verlangen, Scheu und Wille, der
noch schwankt.
Da greift die kleine Hand mit voller Kraft,
Die Kraft der Zarten, die vom Geiste kommt,
Zns Reich des Klanges und der Ewigkeit.
Anschwellend wachsen die Akkorde auf
Wie Säulen für des Himmels erznes Dach,
Und eines Engels klarer Lobgesang
Verbindet sie mit goldner Melodie.
Es dunkelt, nachtet. Ton um Ton verlischt
Zn grauen Schleiern schleppen sie dahin,
Und einer lauscht dem andern bange nach,
Der letzte einem letzten — Lebt er? Stirbt?
Er lebt! Er flimmert wie ein Sternlein auf
Und hunderte entzünden sich an ihm,
Erglüh'n, entfalten sich zu Rosenflammen,
Zusammensließend zu dem Strahlenkranz,
Der überm Haupt des Gottesmenschen
schwebt.
Und Orgelbrausen betet, überwindet
Und endet: Hättet ihr der Liebe nicht. . .
Und lange Stille. Langsam sucht die Alte
Mit ihrer tastend nach der Tochter Hand:
„War das die Kirche, die wir heut
durchschritten,
Der Heidentempel mit dem Christenkreuz?
Zn deinen Tönen Hab' ich sie geseh'n."
Und strahlend, lachend fällt in ihren Schoß
Das Kind und hebt den Sieg sich
übers Haupt
Und ahnt sich selbst: „So Hab ich es gewollt!
Zch wollte, daß du siehst! Die ganze Welt
Will ich dir klingend machen, daß du schaust
Sonn', Mond und Sterne wie kein Sehender.
Du weinst doch nicht? Zch freue mich so sehr!"
Ernst Rosmer