Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


r

L




r



n


SM

rsa

Paul Segieth (München)

ßeroegtes Meer, in Dämmer eingehüllt,

Wo eroig sich die Wogen fliehn und fangen.

Im Schaum der Leidenschaft sich mild umbranden —
In perlender Ergebung leis versanden —
GeheimnisDoll spannst du die fläche hin
Zur Menschenseele, die gleich dir sich roeitet —
Gleich dir gespaltne Wogen mälzt im Jagen,

Die hohen Schaum aus Schmerz und Freude tragen . . .
Wo ist dein Anfang, Meer, und roo dein Ende?
Wann roird die letzte deiner Wogen rollen? —

Wann sahst du deine erste Woge schäumen,

Wann, Seele, roirst den letzten Traum du träumen? —

In fernster Weite, die der Blick nicht deutet,

Taucht sich das Meer in abendschroeren Äther — —
In früher Nacht ein Donnersang sein Rauschen,

Vom Gang der Engigkeiten ein Erlauschen . .

Da zuckt am Horizont, bald nah, bald ferner,

Ein rasches Blitzen durch das Unbegrenzte —-
Leuchttürme senden ihre Trosteszeichen,

Wie sich im Geist die Menschen Hände reichen!
Und an dem uferlosen Meer der Seele,

Der Brandung trotzend, Sturmesnot besiegend,

Da blitzen Hoffnungslichter auf gleich Sternen —
Und Menschen grüssen sich in stummen Fernen!

Erna Ludroig

3m Salon ber „Pension I. Ranges für 3n= und
Ausländer" fafj Fräulein Margot Vaudonnier
und riß langsam ihr Tascheutüchleu: in schmale
Streifen, Draußen brannten schon die Laternen
in die seltsam festliche Leere der Straßen hinein,
diese schreckliche Leere der Feiertage, die nur die
Einsamen und Fremden fühlen, und die wie ein
gewaltiger, schwingender Glockenton im ganzen
Hause widerhallte,

Fräulein Margot glaubte diesen Ton der
Stille förmlich zu spüren. Alles war fort. So-
gar die alten spitzigen Damen mit den ewigen
grauen Seidenkleidern, die mit stets beleidigten
Mienen separiert an der täglichen Tafel saßen,
waren seit gestern irgendwo eingeladen. Jeder
war irgendwo. Und sie saß nun schon seit dem
Heiligabend allein, ab und zu von einem flüch-
tigen Kopfnicken der Pensionsinhaberin begrüßt,
die die seltene«: Stunden der Ruhe bei Ver-
wandten genoß und keine Neigung zeigte, sich
dem kleinen Fräulein zu widmen,

Fräulein Margot sah auf die dunkle Straße
hinunter, streckte die Hände von sich, als wollte
sie ein Loch in diese Stille reißen, die wie etwas
Greifbares, wie ein riesengroßes wolliges Tuch
die Stube ausfüllte. Dann weinte sie ein bißchen.
Es war auch zu schrecklich. Da war man nach
langen Kämpfen selbstä«idig geworden, hatte die
gutbezahlte Korrespondentenstelle bei der großen
Reederei erwischt, und nun saß man da, ver-
'assen wie ei» Bettler, und wußte nicht, wie man
diese schrecklichen Weihnachtstage verbringen sollte.
Bekannte hatte sie noch keine gefunden, in der
Pension wohnten nur alte Damen, die ihr Leben
als Rentiere» beschlossen und sie bei den gemein-
sa«nen Mahlzeiten ihrer bescheidenen Eleganz
wegen mit bösen Blicken ansahen. Ein paar

Träule'm JTIargot's Crlö|ung

Bon Marti» proskauer

Doktoren waren auch da, ernsthafte Männer mit
Brillen nnb blonden Bärten, die sogar bei Tisch
fachsimpelte«: und absolut keinen Blick für die
Niedlichkeit ei«:er jungen Französin zu haben
schienen. 3a, ein Herr war dagewesen, ein. hüb-
scher dunkelhaariger Mensch, der sie auch ei«:
paarmal so besonders angeschaut hatte. Er hatte
ausgesehen wie ein spaiüscher Vizekonsul, dachte
sie. Sie hatte zwar noch nie eine«: gesehen, aber
sie stellte sie sich so vor. Doch der war schon
seit Woche«: nicht am Tisch gewesen und wohl
schon lange fortgezogen, —

Sie stand auf, trocknete sich die Augen mit dem
Stüikchen Spitze, das von dem Taschentiichlein
noch übrig war, und ging in das Wohnzimmer,
Da stand in einer Ecke der hohe Weihnachtsbaum,
mit Flitter«: und Glaskugel«: behängen, Fräulein
Margot ging ::«:: ihn herum, immerzu, bis die
Gold- u«:d Silberfäden an den Asten leise wehten.
Dam: blieb sie wieder stehen. Sie koimte ja
schließlich nicht de«: ganze«: ersten und zweiten
Feiertag um bei: Weihnachtsbaum rennen und
fühlte sich vor Einsamkeit und Langeweile ga«:z
krank. Wem: sie nur ei«: paar Worte mit je-
manden: sprechen könnte! Sie ging langsam de«:
Korridor entlang. Alle die Türen, hinter denen
sonst jeden Abend Licht gebrannt hatte, waren
heute vor dunklen Zimmern fest verschlösse«:. Auch
die Küche war leer, die Mädchen hatten «mtürlich
Ausgehtag, Verzweifelt lief sie den Korridor auf
und ab. Es schien, als ob sie ganz allein im
Hause gelasse«: wäre. Gerade heute, wo das
Alleinsein doppelt schwer zu fühlen war, war
das eigentlich eine Rücksichtslosigkeit, Hatte den«:
niemand daran gedacht, daß sie auch Abendbrot
haben wollte, konnte sie denn nicht plötzlich krank
werden und Hüfe brauchen? Sie ging i«: ihr

Zimmer auf die andere Seite der Wohnung hin-
über, da sta«:d auf den: Tisch ein Tablett mit
Essen, Nu«:, wenn man auch daran gedacht hatte,
sie nwchte garnicht essen, aber krank werden konnte
sie doch, und dann war sie hilflos allein, Ihre
Phantasie span«: die 3dee weiter, Oder es konnte
zu brennen anfangen, oder Einbrecher konnte«:
kommen, wer half ihr dann?

Fräulein Margot fing an sich zu fürchte«:
und ging wieder auf de«: Korridor, Sie sah sich
um. Was war mm wirklich zu tun, wen«: etwas
passierte? Da ka««: ihr ei«: Gedanke, Dort war
ja das Telephon, durch das man zur Not Hilfe
rufen konnte. Wen? Nun, das Telephonfräulein,
die Polizeistation oder sogar den Oberpostdirektor,
Es war ja ganz gleich, man konnte rufen, man
konnte sprechen. Sie stellte sich vor den Apparat
und betrachtete das kleine schwarze Blechkästchen
und die krause«: grüne«: Schnüre, Sie kam sich
vor wie ei«: Taucher auf dem Meeresgrund, sieben-
tausend Meter tief, :»:d nur durch einen lange«:
dünnen Schlauch mit der Oberfläche der Welt
und den andern Menschen verbunden. Sie hatte
von solchen Tauchern gelesen. Wen«: die in Not
waren, zogen sie an dem Schlauch oder riefen
etwas hindurch — so genau wußte sie das nicht
mehr ■— und bann zog man sie an die Ober-
fläche, Wen sollte sie aber rufen, die kleine un-
glückliche Margot Vaudonnier? Sie kannte ja
niemanden in der ganzen große«: Stadt, der sie
heraufgezogen hätte.

Wieder gi«:g sie in ihr Zimmer zurück, aber
der Gedanke an den Taucher wollte nicht weichen.
Sie sah förmlich aus der Stille des Hauses ge-
spensterhafte Haifische und Polgpen auf sich zu-
kommen, die sie fressen wollten. Sie lief in de«:
Gang mit de«: vielen Türen zurück, da war sie
Register
Paul Segieth: Querleiste
Erna Ludwig: Am Meer
Martin Proskauer: Fräulein Margots Erlösung
 
Annotationen