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' * n *



doch ihrer einzigen Rettung, dem Telephon, nahe. Es mußte doch
irgend einen Menschen geben, der nett und brav und allein wie sie,
auch gern diese Feiertage gesellig verbracht hätte. Dann wäre ihr
ja schon geholfen. Es war nur die Frage, wie man ihn erreichen
konnte. Das war aber eigentlich ganz einfach. Wer einsam wie sie
war, war eben setzt auch zu Hause in seiner Wohnung, Sie brauchte
also nur irgendwo anzurufen, und wenn sich jemand meldete, ihm ihr
Leid zu Klagen,

Sie stand vor dem Apparat, sah lange zweifelnd vor sich hin,
dann nahm sie plötzlich den Hörer ab. Das Amt meldete sich. Sie
mußte sich räuspern, ihre eigene Stimme war von dem langen Schweigen
eingetrocknet:

„Bitte geben Sie mir" . .. nun, es war ja ganz gleich ...
„Rr, 4680!" „Ich rufe!" sagte die monotone Stimme aus dem
Kasten, Es knackste ein paarmal, dann klang eine andere tiefe Stimme:
„Hier der Bursche von Hauptmann Knöpke!"

Fräulein Margot rief rasch:

„Falsch verbunden!" und hängte den Hörer an. Rein, so ging
es doch nicht aufs Geratewohl. Der Bursche vom Hauptmann Knöpke
war gewiß ein braver Mann, aber nicht die einsame Seele, die sie
suchte. Sie nahm das Telephonbuch auf und blätterte unschlüßig darin.
Es kam ihr erst jetzt zum Bewußtsein, wieviele Namen darin standen:
da waren hübsche und häßliche, lange und kurze, und jeder bedeutete
einen Menschen, mit Wünschen und Hoffnungen genau wie sie. —
Sic wog den schweren Band in ihrer feinen schmalen Hand, als ob
cs das Buch wäre, in dem die Schicksale der Menschheit verzeichnet
stehen, dann schlug sie eine Seite auf. Oben am Rand stand in fette»
schwarzen Buchstaben: — fy Rio sah die Spalte» entlang, da

blieb ihr Blick an einem Namen hängen:

„Francois, Paul von, Kgl. Regierungsreferendar 89,077,"

Das war em bübfcker Name, der auch gleich so anheimelnd fran-
zösisch klang. Sie kannte auch einen Frangois, den kleinen krumm-
beinigen Sohn des Weinküfers zuhause, der immer so gern mit ihr
gespielt hatte. Dieser hier hieß allerdings nicht mit Vornamen Francois,
aber es war doch französisch. Und Referendar? Sie wußte, daß das
studierte, jüngere Herren waren: hier konnte man es einmal probieren.
Sie nahm den Hörer wieder ab: „Bitte Numnier 89,077!"

Erst war es eine ganze Weile still, dann kam eine Stimme wie
aus weiter Ferne: „Hier von Francois!"

„Ist dort Herr von Francois selber?" rief sie,

„Bitte, ja ... wer ist dort?" klang cs kühl und knapp zurück,

„Hier ist Margot Vaudonnier.,, wie bitte ., , nein, einen Augen-

blick ... ja, nüt Ihnen," rief sie rasch, „hören Sie bitte einen Augen-
blick zu! . . . Ich bin hier in der Pension ganz allein, und fürchte

niich so und langeweile mich so. . , ich möchte möchte gerne fort,

irgendwohin, ausgehen! , , , Und ich suche einen Menschen, der mich
begleitet, , , ganz gleich wohin ... In ein Theater, in ein Konzert!,,,
nur nicht mehr allein niöchte ich sein .., Sind Sie auch allein? ,,,
In, Margot Vaudonnier. . . ganz recht, aus Frankreich, aus Bor-
deaux ... die Adresse ... Rotestraße 16 , , , Sie werden kommen , , ,
das ist nett. .. Gott sei Dank... oh wie schön, Sie sprechen fran-
zösisch ,. . ja .. . um sieben Uhr... 16, erste Etage . . .1" —

Sie hängte den Hörer an den Haken und strich sich die Haare

aus dem Gesicht, das ganz rot und heiß geworden war, Dan» ging

sie langsam in ihr Zimmer. Die Uhr zeigte auf halb sechs. Sie fing
an, sich umzuziehen, und kranite in Schränken und Koffern. Wo
war denn wieder der silbergestickte Gürtel? Ob der Herr wohl so

nett war, wie er gesprochen hatte? Und ob er auch wirklich kam?

Als sie mit dem Umziehen fertig war und elegant und schlank
dastand, legte sie die Pelzboa uni und nahm den Muff, dann sal> sie
wieder nach der Uhr. Es war erst sechs. Seufzend setzte sie sich in
einen Stuhl, Noch eine Stunde dauerte es, bis die Erlösung kam.
Da schrillte draußen im Gang die Klingel,

Sie ging hinaus und sah durch das Guckloch, Da war ein
Herr im Pelz, schlank und elegant, doch konnte sie sein Gesicht nicht
sehen. Rasch öffnete sie die Tür, da stand der Herr nüt dem Zylinder
in der Hand und verbeugte sich. Sie sah in sein Gesicht und stieß
einen Ruf der Überraschung aus — es war der junge hübsche Herr,
der seit einigen Wochen nicht mehr in der Nension war, der .spanische
Vizekonsul'.

Oer er8le Walzer im neuen Jahre

Paul Rieth (München)

nm
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