Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
„Oh Sie?" sagte sie naiv.

Er lächelte: „Ja, ich, gnädiges Fräulein. Doch
darf ich Sie nun aus Ihrer Einsamkeit erlösen?
Unten steht schon ein Automobil, Theaterbilletts
habe ich in der Tasche. Darf ich bitten?"

Sie lächelte auch, dann nahm sie seinen Arni
und warf die Korridortür mit einem übermütigen
Schwung ins Schloß, daß es laut im ganzen
Hause knallte.

„Sie sind ja zu früh gekommen?" fragte sie.

„Ich hatte es mir überlegt, es wäre schade
um die Zeit gewesen," sagte er. Inzwischen waren
sie die Treppen heruntergestiegen und standen
draußen in der frischen kalten Winterluft.

„Welch' seltsames Zusammentreffen?" lächelte
sie, „daß ich gerade Sie anrufen mußte! Heißen
Sie denn Paul von Franpois?" —

Der „spanische Bizekonsul" antwortete nicht
gleich, sondern öffnete die Tür des Autos, rief
dem Chauffeur die Adresse eines Theaters zu
und stieg dann rasch nach ihr ein. Der Wagen
fuhr an, da wandte er sein Gesicht zu ihr und
sagte: „Ich will es nur gleich gestehen, ich heiße
nicht Paul von Franeois, sondern Hans Henning,
einfach Hans Henning!"

Sie sah ihn verständnislos an: „Und Sie
sind kein Referendar?"

„Nein," lachte er, „ich bin Ingenieur, wissen
Sie, so einer, der Brücken für Eisenbahnen baut!"

„Woher wissen Sie dann aber von mir? Sie
wohnen doch garnicht mehr bei uns?" —

„Doch, gnädiges Fräulein, ich wohne noch in
der Pension, und mein Zimmer liegt gerade —
dem Telephon gegenüber! Und da ich heute
Nachmittag von einer Reise zurückkam und ge-
rade in meiner Stube saß und verzweifelnd er-
wog, wie ich allein die Zeit totschlagen könne,
und Sie gerade so niedlich und vertrauensvoll in
die Welt hineintelephonierten, da hörte ich das
Gespräch mit an — und hatte Mitleid mit uns
beiden! Habe ich das nicht geschickt gemacht?" —

„Ja," gab sie zu; „aber der richtige Herr von
Franeois kommt doch um sieben Uhr?"

In diesem Augenblick hielt das Auto, Hans
Henning öffnete die Tür und reichte Fräulein
Margot die Hand, dann sagte er: „Eben des-
wegen habe ich Sie doch eine Stunde früher ge-
holt, war es nicht recht so?"

Und sie nickte lachend und sprang aus dem
Wagen heraus-—

Brautmitternad)t

Da bitt du wieder, ertle Jabresftunde,

Fromm lächelnd wie ein unberührter Weib;
Rur goldnem Dunkel naht dein junger Leib
Und Keuschheit weht von deinem frischen Munde.

Rn meine Lippen führ ich deine yände
Mit dir im weiten Aeltenraum allein,

Dur Ziern an 5tern voll wunderleligem Zchein
Hoch über unr am klaren Firmamente.

Dicht treulos darfft du diefesmal verlassen,
Aar ich an heiliger Feier unr erdacht,-
Du mutzt, ich will er, segnen unsre Dacht,

Lh noch die sühen Rügen dir verblassen — —

Doch schon ermattet gleitet sie inr gestern
Und zitternd, weil sie mich verlassen muh,
Häng ich noch einmal fest an ihrem Kuh
Und wende mich gestärkt zu ihren Zchwesiern.

Iran; Langheinrich

Ein drittel' 5chluß

Von Karel St6dry

Helmer: Eine Trennung — eine Trennung
von Dir! Nein, Nora, — den Gedanken kann
ich nicht fassen.

Nora (geht rechts hinein): Um so entschiedener
muß es geschehen. (Sie kommt mit Hut und Mantel
zurück und trägt eine kleine Reisetasche, die sie auf
den Stuhl am Tische stellt.)

Helmer: Nora, Nora, nicht jetzt! Warte bis
morgen.

rrora (nimmt den Mantel um): Ich kann in
der Wohnung eines fremden Mannes nicht die
Nacht über bleiben.

Helmer: Aber könnten wir nicht hier hausen
wie Bruder und Schwester — ?

Nora (setzt den Hut auf): Du weißt ganz gut,
daß das nicht von langer Dauer wäre —. (Hüllt
sich in den Shawl ein.» Leb' wohl, Torwald: die
Kleinen will ich nicht sehen. Ich weiß, sie sind
in besseren Händen als bei mir. So wie ich jetzt
bin, kann ich ihnen nichts sein.

Helmer: Doch dereinst einmal, Nora, — dereinst?

Nora: Wie kann ich das wissen? Ich weiß
ja gar nicht, was aus mir wird.

Helmer: Aber Du bist mein Weib, jetzt und
in Zukunft.

Nora: Hör' zu, Torwald: — wenn eine Frau
ihres Mannes Haus verläßt, wie ich jetzt tue, so
entbindet ihn meines Wissens das Gesetz aller
Verpflichtungen gegen sie. Wenigstens entbinde
ich Dich jedweder Verpflichtung. Du sollst durch
nichts gebunden sein, ebenso wenig wie ich es
sein will. Auf beiden Seiten muß volle Freiheit
herrschen. So, da hast Du Deinen Ring zurück.
Gib mir den meinen.

Helmer: Auch das noch?

Nora: Auch das.

Helmer: Hier ist er.

Nora: So, nun ist es also aus. Da leg'
ich die Schlüssel hin. Die Mädchen wissen in
der Wirtschaft genau Bescheid — besser als ich.
Morgen, wenn ich abgereist bin, wird Christine
kommen, um die Sachen zusammenzupacken, die
von Haus aus niein Eigentum sind. Sie sollen
mir nachgeschickt werden.

Helmer: Aus?! Aus?! Nora, wirst Du
nie mehr an mich denken?

Nora: Ich werde gewiß oft an Dich und die
Kinder und dies Haus denken müssen.

Helmer: Darf id) Dir schreiben, Nora?

Nora: Nein — niemals. Das verbiet ich Dir.

Helmer: Aber schicken darf ich Dir doch --

Nora: Nichts, nichts.

Helmer:-Dir helfen, wenn Du dessen

bedarfst.

Nora: Nein, sag ich. Ich nehme nichts von
Fremden an.

Helmer: Nora-werd' ich niemals Dir

wieder mehr als ein Fremder sei»: können?

Nora (nimmt die Reisetasche): Ach, Torwald,
dann müßte das Wunderbarste geschehen. — —

Helmer: Nenn' es mir, dieses Wunderbarste!

Nora: Dann n»üßte mit uns Beiden, mit Dir
wie n»it mir, eine solche Wandlung vorgehen, —

— daß,-ach, Torwald, ich glaub' an keine

Wunder mehr.

Helmer: Aber ich will daran glauben.

Das Stubcnmädche» (eintretend): Gnädige
Frau ..

E. Hansen

Nora: Ich habe aufgehört, dieses Hauses
Herrin zu sein.

Helmer: Was wünschen Sie?

Das Stubenmädchen: Die Nähterin hat das
Kleid gebracht.

Nora: Nein, nein, — das hätte ja gar keinen
Sinn. Räumen Sie das Kleid fort, irgendwo-
hin ... es ist ja das geänderte Kleid?

Das Stubenmädchen: Nein, gnädige Frau,
das blauseidene.

Nora: Das ist schon fertig! Schade, da läßt
sich nichts machen. Sagen Sie der Nähterin,
ich bedauere, aber . . . Nein, ich kann doch einer
armen Nähterin nicht ein bestelltes Kleid übern
Hals lassen. . .

Helmer: Gewiß, das kannst Du nicht tun, Nora!

Nora: Torwald eilte letzte Bitte noch; bezahl
dieses Kleid, das ich nie . . . (zum Stubenmädchen
gewendet): Hören Sie mal, war nicht doch zu
weiüg von der Schweizer Stickerei?

Das Stubenmädchen: Die Nähterin hat nichts
gesagt. Wenn gnädige Frau erlauben, ruf ich
sie herein. (Läuft ab.)

Nora: Nein, nein, das ist ja ganz überflüssig!
Übrigens . . . einen Moment!

Die Nähterin (kommt herein, mit einem großen
Kanon am Arm): Küff' die Hand, gnädige Frau.
Die Stickerei hat grade gelangt, — und aus-
nehmen tut sich die auf der blauen Unterlage —
einfach herrlich. (Breitet das Kleid über den Tisch aus.)

Nora: Es sieht wirklich geschmackvoll aus.

Die Nähterin: Oh, gnädige Frau, ich will
ntich gewiß nicht loben, oh nein, und für so eine
Figur wie gnädige Frau sie haben, da ist's leicht,
gut zu arbeiten, — aber ich bin liberzeugt, das
ist das allerschönste Kleid, das ich überhaupt ge-
näht habe. Wenn gnädige Frau gestatten, könnten
wir das Kleid gleich n»al probieren. Ich brenne
vor Ungeduld!

Nora: Sie glauben, ich sollte gleich jetzt. . .
nein, das wäre ja nur Zeitversäumnis.

Helmcr: Warum denn nicht, Nora?

Nora: Ja, wenn Du glaubst . . . schließlich,
. . . ein Augenblick hat nichts zur Sache. (Legt
Mantel, Shawl und Reisetasche weg, tritt mit der
Nähterin hinter die spanische Wand.)

Hclincr lhalblaut zum Stubenmädchen): Tragen
Sie die Sachen hinauf!

Das Stubenmädchen (trägt Mantel, Shawl
und Tasche fort.)

Die Nähterin (hinter der spanischen Wand):
Alles paßt wunderbar, wie angegossen! Jetzt
noch den Gürtel, ... so! Ach, gnädige Frau sehen
aus wie die reine Märchenprinzessin!

Nora (erscheint in einem blauseidenen Kleide
und tritt vor den Spiegel).

Hclincr: Wie schön Du bist, Nora!

Nora (sich im Spiegel betrachtend): Das Kleid

ist wirklich riesig geschmackvoll. So-und

nun gehe ich. Wo sind denn meine Sachen?

Die Nähterin: Ach, gnädige Frau gehen
auch zum Tee zu Michelsons?

Hel >n er: Geladen sind wir, Nora, und es
wäre sehr unartig .. .

Die Näkterin: Ich Hab für die Frau Doktor
ein Kleid für das heutige Fest gearbeitet. Ich
will sie ja nicht bereden, da sei Gott vor, aber

Geschmack-na, Geschmack, hat die nicht,

was hintern Nagel geht und raten laßt sie sich
halt nicht. Und sparen tut die.. . der Stoff
ist ein Fetzen, ein ausgesprochener Fetzen, der
heut schon ausschaut wie wenn er alt wär, die
Spitzen gewöhnliche Imitation, na, und ihre
Figur. . . Neben der gnädigen Frau . . .

Nora: Nein, id) kann nicht!

Helmer: So schön, wie heute, Nora. . .

Die Nähterin: Wenn die gnädige Frau $ur
Tür herein kommt, da werden alle starr sein:
die Herren vor Bewunderung, und die Damen
vor Neid!

Helmer: Laß uns hingeh'n, Nora!

Nora: Bielleid»t sollt' ich .... zum letzten
Mal... mich von der Gesellschaft verabschieden...

Helmcr: Nora, — ach, ich danke Dir, Nora!
(Will sie umarmen.)

Nora: Geh, Torwald, zerdrück' mir das Kleid
nicht! Und sag', wie ist's denn, mein Kleid? —

Heliner: Das Wunderbarste —!

(Deutsch von Anne Lustig)
Register
Franz Langheinrich: Brautmitternacht
Karel Stédry: Ein dritter Schluß
Emil Hansen: Mädchenkopf
 
Annotationen