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Flügel

Allem, roas plügel regt durch die Landfchaft,
polgt meine Seele in warmer Verwandtschaft,
Sehnend gebannt>

Aufwärts schwebende Wanderoögel,

Vorwärts strebende plfcherfegel,

Schwellend gespannt,

Ragende Windmühle dort auf dem Hügel,
Selbst deine fröhnenden Arbeitsflügel
Winken bekannt.

plügel über das Land und Bewegung 1
Meine Seele In tiefer Erregung
Grüßt euch verwandt I

Hugo Salus

Die fjüter der Kunft

Eine Kleinstadtgeschichte von Friedrich Huch

Walther wohnte für die Zeit seines Aufent-
haltes in der alten Vaterstadt bei seinem Onkel,
dem Minister, einem peniblen allen Herrn, der
garnicht damit einverstanden war, daß sein Neffe
die Schriststellerlaufbahn eingeschlagen hatte, an-
statt, wie es sich gehörte, dem Staat seine Dienste
zu'widmen. Doch lobte er seine Absicht, nun
wenigstens einen historischen Roman zu schreiben
über die glanzvolle Zeit, wo diese Stadt in vollster
Blüte prangte, wo die herrlichsten Bauten auf
ihrer Erde erstanden, wo ihre Bürger weitblickende,
energische Männer waren mit leichtfüßigem Blut
und aufbrausendem Temperament, während die
heutigen Menschen zähflüssig und träge dahinlebten,
kaum mehr als einige Schlagworte wußten von
ihrer ruhmvollen Vergangenheit und an der alten
Kunst vorübergingen ohne sie zu sehn. Erst dann
öffneten sie die Augen, wenn etwa einmal ein
Geldmann einen der alten Paläste ankaufte und
zu Hotel- und Restaurationszwecken umbauen ließ,,
und das fanden sie dann wunderschön.

* * *

Es war an einem Sonntag. Walther wan-
dert« in's .vaterländische Museum', und verlor sich
alsbald ganz in das Anschaun all der alten Dinge,
die es dort drinnen zu sehen gab. Es war fast
totenstill in diesen Räumen; ab und zu kam wohl
einnial ein Rudel Gymnasiasten, die aber meistens
die Säle im Tourentempo durchzogen, oder es
nahte sich langsameren Schrittes auch ein Liebes-
paar, das sich vor der Welt zurückziehen wollte,
im übrigen wenig Interesse für die verschollenen
alten Sachen zeigte und höchstens einmal etwas
länger vor einer Vitrine mit goldenen Münzen
und Medaillen stehen blieb, indem es überlegte:
Wenn man sie alle zu einem Klunipen zusammen-
gießt — welche Summe mag da wohl heraus-
kommen?!

Schließlich war Walther ganz allein. Ein
einziger Aufseher trieb sich lungernd bald in diesem,
bald in jeneni Raum herum, und draußen auf
der Straße scholl als melancholische Begleitung
dieser Stille gedämpft der Kasten eines Leier-
manns. Der Aufseher gähnte. Wie langsani doch
die Zeit hinschlich! Er nahm eine Prise, warf ein
paar automatische Blicke durch die verschiedenen
Türen, und setzte sich endlich in einen Nebenraum,
auf einen Rohrstuhl, entfaltete das Tageblatt,
das er bereits in den früheren Morgenstunden
studiert hatte und begann es abermals zu lesen.
Vielleicht daß ihm doch noch eine oder die andere
Neuigkeit entgangen war.

Der Bankier Lindenfeld hatte Bankrott ge-
macht. So ein reicher Mann! Wer hätte das
gedacht! —

Langsam strich die Zeit hin. Endlich faltete
er das Blatt wieder zusammen, steckte es in die
Tasche und sah auf seine Uhr. In einer halben
Stunde erst wurde das Museum geschlossen. Und
immer noch stand dieser selbe junge Mensch im
Nebenraum! Der mußte auch wirklich gar-
nichts sonst auf der Gotteswelt zu tun haben!
Jetzt wollte er doch einmal sehn, wie lange der
wohl noch vor ein und demselben Schranke stehn
bleiben werde, hinter dessen Glas alte Zollstäbe
mit eingeschnitzten Bildern ausgestellt waren. —
Aber das dauerte denn doch zu lange! — So
erhob er sich schließlich, trat auf Walther zu und
meinte dann bedenklich: „Nun sagen Sie mal,
um zwei Uhr kommt doch der Parseval! Da
müssen Sie jetzt weg, bis zum großen Exerzier-
platz ist es mindestens eine halbe Stunde!"

Ani Nachmittage dieses Tages besuchte Walther
sein Geburtshaus. Dieser schöne Bau aus dem
achtzehnten Jahrhundert diente jetzt den verschie-
densten öffentlichen Zwecken: Im zweiten Stock
befand sich ein Beghinenheim, im ersten und im
unteren Bureaus zum Schutz für alleinstehende
junge Mädchen, ein Schiedsrichteramt, ein Verein
gegen Trunkenheit, Confirmandenunterrichtsräume
und Vieles mehr. Der Castellan war mürrisch,
weil man ihn in seiner Sonntagsruhe störte; es
war ihm ganz egal, daß Walther ein Fremder
sei und sich nun grade einmal für dieses Haus
besonders interessiere. Er wurde dann aber plötz-
lich liebenswürdig und zugänglich, als er ein sehr
großes Trinkgeld in die Hand gedrückt bekam,
nahm seine Schlüssel, führte ihn überall herum,
lobte die hohen hellen Fenster, die ein vorzügliches
Bureaulicht gäben, und meinte schließlich: „Jetzt
kommen wir noch zu ein paar Räumen, die so
dumm gebaut sind, daß wir sie überhaupt nicht
gebrauchen können, jammerschade um die großen
Zimmer, sie haben nur Glastüren, aber keine
Fenster. Der Baumeister muß reinweg blödsinnig
gewesen sein!"

Grade auf diese Räume war Walthers ganze
Spannung gerichtet. Im früheren Jahrhundert
hatten sie wohl zu Gesellschaftszwecken gedient,
zu seiner eignen Kinderzeit standen sie leer, aber
er hatte sie in ntärchenhast schöner Erinnerung.

Viel hatte er schon in dieser Stadt von ver-
ständnisloser Vergewaltigung gesehen, aber wie
er jetzt die Räume betrat, konnte er einen Laut
der Überraschung doch kaum unterdrücken:

Ein weiter Berg von Kohlen bedeckte den ge-
täfelten Boden, die Wand zum Nebensaal war
eingerissen, zur Vergrößerung dieses Borratsplatzes
für Heizmaterial, der das gesamte Haus versorgte,
geschnitzte goldne Kapitäle, die beim Durchbruch

herabgerissen waren, lagen verstreut herum, und
die ehemals schimmernden seidenen Tapeten starrten
angeschwärzt von Kohlenstaub. Selbst der Spiegel,
der über dem Marmorkamine in die Wand ein-
gelassen war, nahm teil an der allgemeinen Ver-
wüstung: Zerschmettert wie von einer Büchsen-
kugel war sein silberiges Glas, die Scherben lagen
auf dem Kaminsims, ohne daß sie jemand ent-
fernt hätte.

Walther sagte gar nichts, er schwieg auch, als
sie jetzt in den letzten dieser kostbaren Räume traten.
Es war ein ganz kleiner, sehr hoher Saal, qua-
dratisch, Halbdunkel wie die übrigen Räume, be-
spannt mit französischen Imitationen chinesischer
Malereien aus dem achtzehnten Jahrhundert. Das
Ganze bildete eine Blumenlaube, und da, wo
kleine Fenster gedacht waren, sah man gleichsam
hinaus in die Landschaft: Auf Flüsse, Brücken,
geschweifte, spielzeugartige Häuschen, alles leise
belebt von traumhaft blaß gemalten Menschen.

„Dies ist unsere Garderobe für die Nachtwäch-
ter!" erläuterte der Führer, und wies auf all die
Mäntel, die auf den Malereien hingen, an Nägeln
und Pflöcken, die überall hineingetrieben waren.

Walther sah sich schweigend um; er erwog
einen Plan, und endlich fragte er höflich: „Würden
Sie vielleicht gestatten, daß ich hier ein wenig
zeichnete? Die Muster dieser handgemalten Tapete
interessieren mich! Sie brauchen nicht dabei zu
sein; sowie ich fertig bin, bringe ich Ihnen den
Schlüssel wieder unten in die Wohnung!"

Wie er allein war, wartete er noch einen
Moment, dann stieg er auf einen Stuhl, zog sein
Taschemnesser hervor, stach mit der Spitze in die
straffgespannte Leinwand, und mit vier scharfge-
zogenen langen Schnitten kennte er eines der
noch am besten erhaltenen Bilder aus ihr heraus,
wickelte es z» einer Rolle und verbarg sie unter
seinem weiten Mantel. Bald darauf war er wieder
unten bei dem Kastellan: „Denken Sie sich," sagte
er, „wie dumm! Ich habe die Hauptsache, mein
Skizzenbuch, vergessen, und muß nun noch ein-
mal wiederkommen!"

So hatte er nun regelrecht gestohlen, und ihm
war sehr wohl dabei zu Mute. Ein schönes,
noch unberührtes Stück Kunst aus seinem Heimat-
hause hatte er aus dem allgemeinen Untergang
für sich gerettet, und er dachte: Ich und der Ma-
gistrat, wir sind nun quitt, wenn man so will.
Seinem Onkel sagte er kein Wort von dem, was
er getan hatte, er sprach mit niemandem darüber.

Wochen vergingen. Walther brachte jetzt die
Vormittage in den öffentlichen Bibliotheken zu, er
las Werke über die Vergangenheit seiner Vater-
stadt, und machte sich Notizen für sein Werk.
Nachmittags schlenderte er viel in den alten Stadt-
teilen herum, vermied aber die Gegend, in der
sein Vaterhaus lag. Ob wohl der Diebstahl schon
bemerkt war? Abends, ehe er zu Bette ging,
verriegelte er zuweilen die Tür, holte das alte
Bild hervor und sah es lange an.

So hätte er sich seines Besitzes in aller Sicher-
heit und Ruhe erfreuen können. Aber ein Ge-
danke, der ihm schon fast unmittelbar, nachdem
er das Haus damals verlassen hatte, zum ersten
Mal gekommen war, wurde immer dringlicher
in ihm, und schließlich beinah zu einer fixen Idee:
Deutlich besann er sich eines andern Bildes, das
er rechts neben dem herausgeschnittenen gesehen
hatte, und dieses dünkte ihm in der Erinnerung
sofort noch schöner als das mitgenommene. Wie
dumm, daß er es nicht auch gleich Herausschnitt!
Sollte er sich noch ein zweites Mal in das Haus
hineinwagen? Ein gefährliches Unternehmen war
das! Hatte der Kastellan, was keineswegs aus-
geschlossen war, jenen Raum inzwischen wieder
betreten, so mußte das Fehlen des Bildes mit
Notwendigkeit entdeckt sein, und wer kam als
Register
Hugo Salus: Flügel
Friedrich Huch: Die Hüter der Kunst
Martha Genin: Königskind
 
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