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die Augen des Castellans hafteten versunken auf
der Wand, in der die Löcher waren.

„Das sieht ja hier mal komisch aus!" sagte
der Kriminalbeamte, „sehn Sie nur, Zieske, wie
putzig! all die alten Bilder da!" Und nun
blickten sie alle drei auf die Wand mit den Löchern.
Ein langes, für Walther beängstigendes Schweigen
folgte.

Da entschloh er sich zn einem unverfrorenen
Gewaltstreich.

„Ja ja," sagte er mit bedeutsamer und be-
dauernder Stiinme, „hier war es einmal wunder-
schön ; das da ist eine kostbare, handgemalte Ta-
pete, von der ich eigentlich das Rankwcrk ab-
zeichnen wollte, wozu es nun leider zu spät ge-
worden ist. Und sehn Sie nur, da oben! Da hat
einmal jemand zwei Bilder herausgeschnitten!
Eine unerhörte Roheit!" — er deutete mit dem
aufgerollten Bild hinauf; — „da hat wohl einmal
einer der Nachtwächter gedacht, er könne sich aus
billige Weise einen Schmuck für seine gute Stube
holen! oder fehle» die Bilder vielleicht noch
viel länger. Herr Kastellan?"

Der Kastellan wachte aus seiner dumpfen Ve>-
träumtheit etwas auf, dann lächelte er breit: ,,3d)
»eij3 es wirklich nicht! So lange ich hier die
Ausiicht führe, waren Sie schon immer nicht
mehr da!" '

Die Macht am Puloerturm

Soldatenballade von A. De Nora

An dem königlichen Pulverturm
War es, wo ich damals Wache stand.
Hinten zieht ein Wäldchen sich herum.
Kannst ruhig sein, lieb Vaterland!

Mit dem aufgepflanzten Bajonett,

Eine Kugel in dein scharfen Lauf,

Fest lind treu die Wacht am Pulverturme steht
Und patzt auf.

Horch, cs schlaget Mitternacht dahint!

Wer sind die, wo sich ihm nähern jetzt?

Es ist kein Zweifel, dah sie schuldig sind
Nach dem Militärgesetz.

Schnell das Bajonett zum Angriff vor,

Und den scharfgeladnen Hahn gespannt!

— Plötzlich, einen Schnalzer trifft das Ohr
Und das Auge hat es auch erkannt:

Wo die Liebe, wie man deutlich siecht,

Als ein Veilchen ins Verborgne geht,
Macht der Krieger keinen Angriff nicht
Mit dem aufgepflanzten Bajonett.

Sondern wandelt still ein wenig

weiter weg

Als ein Mensch, dem wo es auch bekannt,
Dah kein Pulver nicht der Liebe Zweck.
Kannst ruhig sein, lieb Vaterland!

-Liebe Jugend!

Zn einem Gasthos eines kleinen Drtes im
parz sah ich in Holzbrandmalerei den schönen
i-'ers prangen:

»Solang' noch deutsche Hirsche brüllen,
Beschütze Gott den Kaiser Millen!"

Das Kleine

Von petcr Attenberg

Es gibt ganz kleine unscheinbare Dinge,
die uns mehr, mehr freuen als sogenannte
besondere Dinge, die es ja doch nur schein-
bar sind. Z. B. sagte mir eine junge Freun-
din: „Zch bin auf den Semmering gekom-
men, natürlich wegen der Bergeswelt, aber
auch um Sie zu sehen!" Hätte sie gesagt:
„Zch bin natürlich Ihretwegen gekommen,
aber auch wegen der Bergeswelt," so wäre
das bedeutend weniger für mich!

„Wir sehen uns so selten," sagte ich zu
der Rotblonden. „Leider," erwiderte sic ein-
fach, ohne irgend ein Rendezvous für die
nächste Zeit zu verabreden.

„Wie heitzen diese duftenden Primeln von
der,Rax', die Sie mir geschenkt haben?!"
„Zoretsch," erwiderte ich. „Diesen Namen
kann sich niemand merken," sagte ein Herr,
„ist es hebräisch?!" „Nein, es ist Berg-
führ e r - D e u t s ch!" Fünf Tage später schrieb
mir die Dame: „Ihre ,Zoretsch' duften noch
immer in meinem Zimmer."

„Wünschen Herr Altenberg Kaffee?" sagte
der Kellner. „Ja," erwiderte ich mechanisch.
„Aber gut passiert, bitte, mit Schlagsahne,"
ergänzte die junge Dame. ,Wer das Kleine
nicht ehrt, ist des Großen nicht wert' ist
nicht ganz richtig. Es mutz heißen: ,Nur
das Kleine ehrt, das Große ist nichts wert!'

Liebe Jugend!

Mir alle waren ausgegangen. Unser Kater
Schnurr benützte unsere Abwesenheit, um Lerche»,
dem Papagei, eins auszuwischen. <£s mnßte ein
heftiger Kampf getobt haben; denn als wir nach
Hause kamen, fanden wir einen umgestürzten
Käfig ohne Insassen; zahlreiche Federn bedeckten
den Kampfplatz. Darob große Bestürzung, in
die hinein plötzlich eine uns wohlbekannte Stimme
von der Gardinenstange herab ertönte: „Hebbt
wi uns ober amüsiert!"

„Meine Herrn, i bitt mir aus, bis zu der fünften
Maß wird vcrnünfti' g'redt und nachher fangen mir
crscht 's politifier'n an."

Betrachtung

von Frigga von Brockdorft'

Eine wunderhübsche Schauspielerin machte
dem Direktor, ihrer unberechenbaren Launen
wegen, ganz besonders viel zu schaffen. Paßte
bloß ein geringfügiger Umstand nicht in den
Plair ihres kapriziöscir Köpfchens, war sie
imstande, die richtige Aufführung durch ein
vorgeschütztes Leideit zu werfen, und jeder
Erfolg schien gefährdet, solange man die häu-
figen Migränen, Herzklopfen, Schnupfen und
Halsaffektionen zu fürchten hatte.

Der alte Theaterarzt, ängstlich befragt,
schüttelte unwillig den Kopf, fing aber nach
einigem Zaudern an, niählig eine nachdenk-
liche Miene aufzusetzen, die sogar am Ende
in offenes Schntunzeln überging.

Zwei Wochen später wurde Wildes „Sa-
lome" auf die Bühne gebracht, mit Mila
Streng in der Hauptrolle.

Unsere Schöne trat auf den Plair. Dunkel-
äugig, schwarzgelockt, mit schmachtendem Ant-
litz und glühendem Mund. Als sie ihren
„Tanz mit den sieben Schleiern" begann,
blühte es goldbräunlich auf, in zarten Wellen-
linien, und eine schmale Bronzestatuette
wand sich schmeichelnd aus den schimmernden
Falten der Hülle....

Die Zuschauer hielten den Atem an. Ihre
Hände ineinandergekrampst, lehnten sie, weit
vorgebeugt über ihren Sitzen. Und sogar im
verdunkelten Raum war die Blässe der Er-
regung rind das Ergriffensein ihrer Sinne zu
bemerken.

Es war eiir stürmischer Rausch. Eilt großer
Erfolg, der iticht nur dem Kunstwerk galt
und der Darstellung, sondern, in erster Linie,
dem Weibe, Mila Sträng, der schönen
Frau....

Unser Direktor aber hatte von nun an
nicht mehr zu klagen.

Seine jugendliche Liebhaberin war ge-
nesen, — und kein störendes Übel von dieser
Seite brachte jetzt die gleichmäßige Abwick-
lung seines Wochenplans in Frage.

Mila Streng spielte. Abend für Abend
die Salome. Vor fein beifallächelnden
Fürsten in der Loge, vor scharfblickenden
Kritikern im Parterre, vor Abonnenten,
die aus dem Gewohnheitsschlafe gerissen
wurden, vor jungen Studierenden auf
der Galerie und vor zitternden Kommis
am Sonntag Nachmittag....

Spielte für die Sehnsucht der Männer.
Bei Festvorstellungen, über die tadel-
losen Fracks, blendenden Nacken und
glitzernden Geschmeide hinweg, am Volks-
tag, vor schlichtem Bratenrock und ehr-
barer Festesbluse.

Abend für Abend stand die leis bebende
Bronzestatuette vor den weitgeöffneten
Augen des Publikums und horchte. In
beispiellosem Triumph horchte sie auf
das herzbeklemmende Schweigen, das ge-
preßte Seufzen, das weltverloren aus
den trockenen Kehlen aufstieg ....

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Register
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
Peter Altenberg: Das Kleine
Frigga v. Brockdorff-Noder: Betrachtung
Rudolf Hesse: Tagesordnung
A. De Nora: Die Wacht am Pulverturm
 
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