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Rokoko

nur einmal versucht. Sie gaben ihm deutlich genug
M versieben, das; der süßliche Wall- und Fett-
liernch, das Sausen der Maschinen, der unästhe-
mche Anblick schwitzender Arbeiter für eine Frau

- Urer Qualitäten unerträglich sei. Er resignierte
oiigcnblidilirf). Dann kamen noch einige hilflose
^emühungen, Sie für das Hauswesen, für den
^>sch, der seinem gesunden Appetit verzcihlichcr-
j?e,fe wichtig erschien, zu interessieren. Als Sie

aber mit seinen naiven und individuellen
Punschen an die Köchin wiesen, gab er den
Gedanken an kleine, häusliche Tischfreuden nach
oer Arbeit auf und aß nach dem Speisezettel, den
?.!<• Köchin aufstellte. Er verzichtet auf die Ge-
luhrtin, um die Geliebte zu behalten. Sie haben
jnnert glücklichen Tag gehabt, als Sie diesen
Mann heirateten, der so fleißig, ehrenhaft, ritter-
"ch, bescheiden und genügsam ist, ein Mann, von
dessen innerem Wert Sie gar keine Ahnung
buben, weil Sie immerfort nur spiele» wollen,
uue ein Kind. Ob Bonbons oder Meininger,
Walther Crane oder ein neues Kleid — das
bleibt sich gleich, belügen Sie sich doch nicht, wie
lene armen Weiber, die nach tausend Dingen
greifen, um den Mann zu ersetzen, den ihr dürf-
bges Außere nicht anzulocken vermag.

Ich weiß, daß Sie nun ernstlich böse sind
und mich für einen Frauenverächter halten. Ich
b>n es nicht, meine Gnädige, und Sie tun nur
Unrecht. Ich werte die Frau mit vollem Maß

— nur anders als den Mann. Denn sie ist
anderswertig. Mann und Frau zusammen sind
das Vollkommene, der Stern aus den zwei Drei-

ecken, der die höchste Vollendung symbolisiert. Wie
wäre cs, wenn Sie Ihre satanischen und meta-
physischen Liebhaber, mit denen Sie unaufhör-
lich seelische Verhältnisse hatten, aufgeben würden
um ganz Ihreni Manne zu gehören? Sie würden
mit Staunen wahrnehmen, welch reiches Gebiet
sich Ihnen erschließen würde, welch fruchtbares
Land, wenn es auch auf den ersten Anblick nicht
so verlockend erscheinen mag, wie die wild-
romantischen, zerklüfteten und milden Landschaften,
in die Sie die Künstler führten und in denen
Sie ja doch weder Weg noch Steg zum inneren
Frieden fanden. Und Ihr Kind? Ist es allein
nicht im Stande, Ihnen alle Phantasmagorien
des Zaubcrspiegels unruhiger Gehirne zu ersetzen?
Sehen Sie doch, wie es heran wächst, wie es
den irdischen Dingen immer näher kommt, wie
das scheue Seelchen sich langsam dem Leben er-
schließt! Soll die bezahlte und gleichgiltigc Gouver-
nante ihm Führerin sein? So fest und innig
wird Sie niemand in seine Arme schließen wie
Ihr Mann, niemand wird so glücklich sein wie
er und keines wird Ihnen so zulächeln wie Ihr
Kind, wenn Sie sich denen hingeben, zu denen
Sie gehören, unverstandene Frau! Fürchten Sie
nichts. Die Kunst wird in Ihrem Hause sein
und sie werden mit pochendem Herzen unendlich
süße und unsagbare Dinge erleben, nach denen
wir alle in den Tiefen unserer Seele uns sehnen,
wir, die wir heimlich leiden müssen und dafür
ein bißchen Gesang erhielten. Wissen Sie nicht,
daß alle großen Künstler sich mühten, das nach-
zubilden und aus Träumen erstehen zu lassen,

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Friedrich Skell (München)

was Ihr wirklicher Besitz ist? Eine güldene
Krone liegt bereit — Sie brauchen sie nur zu
fassen und auf Ihr lichtes Haar zu setzen, um
die geliebte Königin Ihres Hauses zu sein. Die
heiligen drei Könige werden erscheinen mit Gold,
Weihrauch und Myrrhen, aus den Bäumen Ihres
Gartens werden Engelsharfen tönen und die
Sonne wird stillstehn über dem Haupt Ihres
Kindes. Wenn Sie wüßten, wie unermeßlich
reich Sie sind gegen uns, denen die Kunst er-
setzen muß, was das Schicksal versagte. Wir
sehen ja auch die blühende Wiese und freuen
uns; aber Sie sehe» sie zweimal — mit dem
Blick der Mutter und in den Augen Ihres Kindes,
Sie Selige!

Aber ich schwärme und meine Worte beginnen
dunkel zu werden. Nur ein großer Musiker
könnte in Tönen sagen, was ich fühle. Vielleicht
komme ich Ihnen sogar komisch vor in meinem
Überschwang. Was tut's? Sie sind doch etwas
nachdenklich geworden. Freilich, diesen Brief
werden Sie mir lange nicht verzeihen, denn er
ist für Sie bitter wie Medizin und langweilig wie
Gesundheitsregeln. Oder hatten Sie von mir
etwas äs la Ilttsraturo erwartet, eine parfümierte,
der Ihrigen symphonische Klage über die „Grau-
samkeiten des Lebens"? Nein — meine Gnädige!
JSott gebe, daß Sie nie erfahren, was diese
Grausamkeiten sind.

Ich empfehle mich Ihnen, indem ich in
Gedanken Ihre wunderschönen Hände küsse
als Ihr ehrlicher Freund.
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Fritz Skell: Rokoko
 
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