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Der späte Pflüger

Fern auf abendlich besonntem Hügel
Ragt ins Kühle Licht ein Pfluggespann;
Schimmernd spannt ein Wolkenzug die Flügel
Uber Gaul und Pflug und Ackersmann.

Trauernd sieht der Tag die Nebel wallen
Und im Abschiednehmen seufzt er schwer.
Auf den Bergen ist ein Schnee gefallen,
Durch die Stille weht sein Atem her.

Doch im letzten Schein auf jenen Hügeln
Furcht der Pflüger noch das herbe Land,
Bis er auf der Wolke goldnen Flügeln
Wie ein Schatten aus der Welt entschwand
Franz Langheineich

Gonnenpilger

Wie ich diese Lebewesen liebe —

Bäume, euch, in jeglicher Gestalt,

Die ihr aus der Erde dunklem Triebe
Unaufhaltsam euch zum Lichte ballt.

Immer aufwärts aus dem nächtigen Grunde
In den Äther, in den Tag empor!

Saugt der Mutter Mark mit dunklem

Munde,

Trinkt des Vaters Strahl im Blätterflor.

Seid gefesselt stets an Krum' und Sinter,
Sehnt euch ewig in den freien Raum —
Seid der Erde unverfälschte Kinder
Und der Sonne duftig schönster Traum.

Klein und eng ist euer Platz hienieden,
Doch im Luftreich weitet ihr euch aus:
Dichtern gleich ist euch das Los beschieden —
Himmel wölben euch ein lichtvoll Haus.

Euere Sprache ist der Stürme Rauschen
Und der Winde süßer Orgelton,
Bogelstimmen flöten eurem Lauschen,
Wolkenbilder sind euch Traumvision.

O, wo ihr vereint zusammen wohnet,

Säule dicht bei Säule, Schaft an Schaft —
Welche Halle, drin das Schweigen thronet!
Euer Brausen — welche Götterkraft!

Welcher Brandung stürmisches Gewimmel,
Drüber weit die blaue Wölbung ruht:
Meer und Himmel, nichts als Meer

und Himmel,

Zeitlos, von Unendlichkeit umruht! —

Ob ich solche Lebewesen liebe,

Bäume euch in eurer Vielgestalt,

Die ihr aus der Erde dunklem Triebe
Sonnenpilgern gleich zum Himmel wallt?!..

Ludwig Scharf

Paul 8ex!etk

Dtt<» Ludwig

Achtzehnhundertdreizehner! Die nicht verkappt
astrologische, sondern ehrlich genealogische Gene-
rationslehre wird mit Grund etwas Aufgewühlt-
Energisches, Dennoch-Ungebeugtes, Äußerstes in
den Geisteskindern dieses kritischen Jahres erster
Ordnung in der Weltgeschichte vermuten. Das
Jahr, das aus den Schrecken des östlichen Steppen-
winters heraus Deutschlands Fortbestehen bejahte,
wird etwas von dieser Form der Bejahung auch
seinen dämonischen Früchten mitgeteilt haben:
Hebbel — R. Wagner. — Wir reihen ihnen schon
heute Otto Ludwig an.

Er steht zwischen den beiden, als Musik-
literat und Realist. Er steht auf sich selbst als
poetischer Charakter, d. i. hier als Charakter in
der Behauptung der Poesie. Der Poesie unter
dem herausziehenden Fabrikschlotdampf, Maschi-
nengeklapper, Manchesterfreiprotzenglanz und
Volksmassenelend des technischen Zeitalters. Es
war das für ihn Gewiffenssache: wie denn Ge-
wissen der Generalnenner aller Komponenten seiner
Poesie ist. Er wollte ihr in Deutschland ihren
Platz unter jenem trüben Himmel wiedergewinnen,
rein mit ihr selbst, als Seelenschatz Jahrtausende
alten, vollwichtigen Gepräges ohne die Assignaten
fliicl>tiger, nichtiger, papierener Zeit-Werte. Ja,
selbst ohne die wunderkräftige Legierung mit der
neuen Zauberkunst, der Musik, in deren aus-
schließlicher, fachmäßiger Übung er seine aufstre-
bende Jugend verbraucht hat; um sie fortzu-
werfen — der umgekehrte Wagner! — der Poesie
zu Liebe! In kein Traum-, kein Zauber-, kein
mystisches Land sollte seine Poesie führen. Sie
sollte sich ausweisen als Welt-Wirklichkeit!
Sie sollte in uns, mit uns, bei uns sein können
in unserer Welt, unserer Zeit, oder sie sollte gar
nicht sein.

Eine verzweifelte Aufgabe! Eine Aufgabe für
die Gesellschaftsfäulnissatiriker und Toten-Seelen-
Anatomen, für die grandios-bitteren Lacher und
intimblutigen Trünenerstickcr, die Zweifler und
Verzweifler, die Balzac und Flaubert, die Leo-
pard! und Schopenhauer jener Jahrzehnte. Ludwig
teilt mit Hebbel das Grübeln. Ja, er ist, statt
sein Grübeln modern-dichterisch zu verwerten,
schließlich ganz darin stecken geblieben. — Ganz
natürlich! Denn niemals ist die Poesie restlose
Wirklichkeit geworden. Immer hat das wirklich
Poetische als ein Geheimes, Tiefes, „im Grunde
Wahres" — wie die Wahrheiten des Shake-
speareschen Narren! — dem unpoetisch Wirklichen
gegenübergestanden. Dieses mit seiner Hohlheit,
seiner Oberflächlichkeit, seiner — Lüge hatte bis-

S: als der „Schein" gegolten, jenes als das
esen. Das poetische Spiel, — das Schau-

Spiel — nahm die Scheinwirklichkeit offen als
Maske vor, um das Wesentliche daran auf-
zudecken.

Jetzt sollte sich mit einen, das Verhältnis um-
kehren. Ohne jeden Schein als Wesenswirklich-
keit sollte die Poesie wirklich, das „Wirkliche",
hand-flächen-greifliche Wirklichkeit sollte Poesie
werden: Welt, Tatsachen, Geschichte! Nur keine
Schauspielerei! Nur kein — „Idealismus"!
O dieser Schiller!: „Wie sollen wir Deutschen zur
Moral und zum rechten Verständnis der Geschichte
kommen, wenn das inoralische Gefühl von un-
serem Lieblingsdichter so verwirrt, die Geschichte
uns mit so falschem Idealismus aufgestutzt und
sentimentalisiert wird?" lind dies in einer Welt,
deren „Moral" — leider!— so idealistisch, deren
Geschichte so viel Dichtung, deren Tatsachen so
mit ,8sntlmsnts° versetzt sind! — Shakespeare!!
Natürlich. Shakespeare mit seiner Geister-, Ge-
spenster- und Wahnsinnsmoral, seiner Theater-
Geschichte, (die aus dem biederen Macbeth einen
Mörder macht, weil sie ihn braucht), Shakespeare,
der Schauspieler Hamlets mit seinen bumours,
vor dessen Bühne der Spruch stand: totus munäus
agit histrionem!

Es blieb dabei. Shakespeare und — kein
Anfang! Zwei Bände „Shakespeare-Studien"
und Schillerkritiken. Poetisches Ergebnis: Zwei
monumentale Schillerdramen und eine Unzahl
Anläufe und Entwürfe zu solchen, in denen Shake-
speares Schatten an die Wand geworfen wird
und Schiller spricht. Selbst in, Gegen-Wallenstein,
wo der rothaarige Vampyr mit seinem Lieblings-
spruch „Laßt die Bestie hängen!" aus — Schillers
Geschichte des dreißigjährigen Krieges hervorgeholt
und dem „Glaubenszeugen" Gustav Adolf gegen-
übergestellt wird: wo ein anderer „Max" mit
seinem ,8piritu8< den Dämon des friedlosen Fried-
iänders austreibt, der Baiernherzog, der Führer
der Liga des „idealistisch" Bestehenden. Das Vor-
spiel zu „Friedrich dem Großen" (die Torgauer
Heide) wirkt wie ein (metrisch und kirchlich) nüch-
tern reformiertes Wallensteinsches Lager. Mili-
tärische Operationen werden von erbaulichen Sterbe-
szenen unterbrochen, an denen sich schließlich —
man denke! — „der Fritz" selber beteiligen sollte.
Will aber einmal unter Shakespearisch-ängstlich-
kopiertem römischem Volke ein Ludwigscher Grac-
cchus auftreten — wer ist es? Kein Antonius,
kein Coriolan! Ein echt Schillerisch-sentimentaler
Max Piccolomini!

Hat nicht der deutsche Philosoph jener Jahr-
zehnte das Wort von der tragischen Literatur-
geschichte^ geprägt? Ludwig gleicht Schiller auch
darin, daß er die Tragik seines krankenden Lebens
in jener mit der Poesie aufräumenden Zeit wieder-
holt. Auch er ein grandios durch das Gemeine
hindurchschreitender über seinen „wesenlosen Schein"
„ungebändigt" sich Erhebender, im Unterliegen
sieghafter Woller! Thüringer, im tragischen Nah-
blick auf „Landgraf Herrmanns" und Karl Au-
gust's Musenhof geboren und auferzogen. Zu
Eisfeld im Meiningischen von ebenso echt gebil-
deten, als unvernrögenden Eltern. „Vater (Stadt-
syndikus) dichtete." Mutter überlieferte dem
Sohne seine Musik und seinen Shakespeare, da-
nnt aber wohl auch schon seine schnell verbrauchten
Nerven! Schon nach kurzem Besuch des Hild-
burghauser Gymnasiums stirbt dem Zwölfjährigein
der Ernährer. Stumme Bitten der Mutter. Er
opfert seinen gelehrten Beruf dem früh schon laut
realpoetisch! sprechenden Gewissen. Tritt als Stift
in den Kramladen eines wohlhabenden Oheims.
Dieser, ein lustiger Herr, veranstaltet musikalische
Aufführungen, für die jung Otto konrponiert.
Als dem Achtzehnjährigen (1831) auch die Mutter
stirbt, vertauscht der jetzt bloß für sich zu sorgen
Brauchende Merkur gänzlich mit Apollo, nicht
ohne kopfschüttelnden Widerspruch der Stadt
Eisfeld.

Auf dem Leipziger Konservatorium (1833 als
Stipendiat seines Herzogs) kam es, trotz persön-

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Register
Erich Wilke: Die Türkei und die Mächte
Franz Langheinrich: Der späte Pflüger
Ludwig Scharf: Sonnenpilger
Paul Segieth: Vignette
Karl Borinski: Otto Ludwig
 
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