März
Ein äag, der keine (Träume will!
Die Wolken türmen sich empor,
Die (Telegraphen fingen fchri»,
Die Welt fleht offen wie ein (Tor.
(Tritt ein, du (Träumer; scheue nicht
Die Strafen he» und metfergrad.
(Imwölkte Stirne, hin zum Licht!
Verwirrter Wille, auf zur (Tat!
Karl Schlofj
Noemi St Sebastian
Es öffneten sich die weißsammtenen
Portiören zu der Tänzerin Zimmer.
Der Raum selbst war langweilig, wie
ein guter, deutscher Wäscheschrank, und für-
sorglich mit dickem, weißen Leinen bespannt,
so daß inan vermeinte, jeden Augenblick ein
gehäkeltes Schutzdeckchen über die Möbel
gebreitet zu finden, oder den Genius der
Kreuzsticharbeiten, solid mit Pulswärmern
verziert, am Fensterplätze walten zu sehn.
An den Wänden jedoch prangten, in milden
Rahmen, rosig zuckrige Bilder von Mucha
oder artige Buntdrucke „aus dem Eng-
lischen". Weiße, steife Lackmöbel, nebst
dem trostlosen eingemieteten Pianino ließen
aber in dem Besucher einen leichten Hauch
von Angst aufsteigen, vor so viel blitzblanker
Gewaschenheit, so hart zur Schau getragenem
Bravsein.
Wie mußte sich von diesem farblosen
Hintergrund die schlanke, sündenbraune Ge-
stalt der Berauschenden abheben! „Noemi
St. Sebastian —, ich will ein Lied von
Deinen Hüsten singen, die Du keine Hüsten
hast, Deine braunen Augen, — (oder hat
es je etwas Schwärzeres gegeben?) •— Du
Liebliche, stehen in kühnem Schlitz, nacht-
dunkel schimmern die Schlangen Deiner Haare,
glitzernd rasseln die Ketten um Deinen ge-
schmeidigen, bronzefarbenen Leib." —
Der junge Mann schloß die Lider. Sein
letztes, mühsam zurückgelegtes Bargeld hatte
er opfern müssen, um der Diva nachzureisen.
Es hatte ihn lange schon verdrossen, die
Herrliche nach ganz banalen, operettenhaften
Melodien ihre Tänze ausführen zu sehn.
So war es ihm denn, solchen Gedanken
folgend, trotz unsäglicher Schwierigkeiten ge-
lungen, alte, seltsam tönende Weisen zu
entdecken, die schon zur sagenhaften Zeit
den indischen Bajaderen zum Tanze dienen
mußten. Run sollte, aus dem Geheimnis
ihrer fremden, goldmünzenumklirrten Schön-
heit und den versunkenen Melodien jenes
fernen Landes, ein einzig harmoniedurch-
leuchtetes Ganzes geschaffen werden, — so
nur kam der Sang ihres holden Leibes zu
seinem Recht, ihre östliche, märchentiefe Seele
zu ihrem Rausch.
Ein leises Knistern machte ihn auffahren.
Im Rahmen der Türe stand ein unbekanntes
C5c. Schmidt-Goy
Mädchen, und er wollte gerade sich noch-
mals mit Namen melden, als eine eigen-
tümliche Bewegung der beiden Arme, welche
den Vorhang hielten, ihn stutzig wer-
den ließ.
Noemi St. Sebastian!
Zhr blondes Engländerinnenhaar trug sie,
in festen Zöpfen, um das Haupt gelegt, der
graue Kostümrock und die weiße Mullbluse
umschlossen eine, uns an den Töchtern Al-
bions übel anmutende Hagerkeit, und die
weißeste aller Hände streckte nun unsere Miß
dem unglücklichen Musiker entgegen.
,,Well, was haben Sie denn gedacht?"
lachte sie später, „man muß die Konjunk-
tur aus nützen! Der Orient zieht. Und,
was sollen Ihre Originaltänze da verbessern?
Neues Einstudieren? Ich habe Plage, die
Orchester hat Plage, Publikum hat Plage.
Und jetzt sind alle sehr zufrieden. Ich,
mein, Impresario, die Leute. I say so“.
Dem armen Kerl erstarken die letzten
Töne auf den Tasten. Er stand auf, ver-
beugte sich wie im Traum, murmelte etwas
Unverständliches, suchte den Ausgang, —
— da kam eine vorher nicht beachtete ält-
liche Dame auf ihn zu:
„Und nicht wahr, Sir, bezahlenbrauchen
mir Ihnen wohl nichts? Es sind doch Tänze
alter Völker, — nicht wahr, — Sie haben
sie ja nicht selber komponiert?".
Fvigga von Brockdorff
Eine Fadel
Ei» weiser Greis schritt einst durch Thebens
Straßen.
Da kreuzte geckenhaft und aufgeblasen
Ein Jüngling, der auf einem Esel ritt.
Des alten Philosophen würdigen Schritt.
Und kaum erblickt der Fant das greise Haupt,
Als er sich freche Spaße schon erlaubt.
Bis ihn der Alte mahnt im Weitertraben:
„Du sollst vor grauen Haare» Ehrfurcht haben!"
Oer Esel, drauf der kecke Jüngling ritt,
Der hörte diese ernste Mahnung mit
Und dachte sich: „Der Mann ist wohlbeschlagenl
Der spricht mir aus dem Herzen, sozusagen!
Denn Wahrheit ist's doch, uubezweifelbare:
Auch ich, als Esel, habe graue Haare!"
Und er erzählte stolz daheim im Stall
Der ganzen Eselskumpanei den Fall.
Seitdem ist jedem alten Esel dieser
Wunsch zu eigen:
Man soll vor seinem grauen Haupte
Ehrfurcht zeigen.
Kart ettlinger
Bus den
„Betrachtungen und sinnsprnchen
des Kusma prutkow"*)
Das Gedächtnis des Menschen gleicht
einem Blatt Papier; manchmal ist das
Geschriebene gut und manchmal schlecht.
*
Hast du einen Springbrunnen, so ver-
stopfe ihn: auch der Springbrunnen bedarf
zuweilen der Ruhe.
*
Nägel und Haare sind dem Menschen
gegeben, damit er eine ständige, aber leichte
Beschäftigung habe.
Der Tod steht am Endo des Lebens, da-
mit der Mensch genügend Zeit hat, sich auf
ihn vorzubereiten.
Der Spezialist gleicht einer geschwollenen
Backe: seine Fülle ist einseitig.
Wenn du auf dem Büffelkäfig die Auf-
schrift „Elefant" liest, so traue deinen Augen
nicht.
*
Wer hindert dich, wasserdichtes Schieß-
pulver zu erfinden?
*
Der eifersüchtige Gatte gleicht einem
Türken.
*
Wenn du Steine ins Wasser wirfst, so
versäume nicht, die sich dabei bildenden
Kreise zu betrachten; sonst ist diese Tätig-
keit ein leerer Zeitvertreib.
Die Herausgabe gewisser Zeitungen, Zeit-
schriften und selbst Bücher kann nutz-
bringend sein.
(Deutsch von Alerander LUasberg)
*) Kusma Prutkow ist ein Decknamen für das
Dichterkleeblatt Alexej Tolstoj und Brüder Schein-
tschuschnikoiv. Unter diesem Namen veröffentlichten
sie in den 60 er Jahren in den führenden russischen
Monatsschriften eine Reihe Gedichte, Novellen und
Sentenzen, die eine Parodie auf die damalige spät-
romantische Literatur darstellten und die sie dem
Kusma Prutkow, einem angeblichen höheren Eich-
amtsbeamten, zuschrieben. Alle diese Elaborat« avurden
vom Publikum und von der Kritik ernst genommen,
nieinaud zweifelte an der Existenz Prutkows, und
dieser literarische Ulk blieb viele Jahre unentlarvt.
(Anmerkung des Übersetzers.)
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Ein äag, der keine (Träume will!
Die Wolken türmen sich empor,
Die (Telegraphen fingen fchri»,
Die Welt fleht offen wie ein (Tor.
(Tritt ein, du (Träumer; scheue nicht
Die Strafen he» und metfergrad.
(Imwölkte Stirne, hin zum Licht!
Verwirrter Wille, auf zur (Tat!
Karl Schlofj
Noemi St Sebastian
Es öffneten sich die weißsammtenen
Portiören zu der Tänzerin Zimmer.
Der Raum selbst war langweilig, wie
ein guter, deutscher Wäscheschrank, und für-
sorglich mit dickem, weißen Leinen bespannt,
so daß inan vermeinte, jeden Augenblick ein
gehäkeltes Schutzdeckchen über die Möbel
gebreitet zu finden, oder den Genius der
Kreuzsticharbeiten, solid mit Pulswärmern
verziert, am Fensterplätze walten zu sehn.
An den Wänden jedoch prangten, in milden
Rahmen, rosig zuckrige Bilder von Mucha
oder artige Buntdrucke „aus dem Eng-
lischen". Weiße, steife Lackmöbel, nebst
dem trostlosen eingemieteten Pianino ließen
aber in dem Besucher einen leichten Hauch
von Angst aufsteigen, vor so viel blitzblanker
Gewaschenheit, so hart zur Schau getragenem
Bravsein.
Wie mußte sich von diesem farblosen
Hintergrund die schlanke, sündenbraune Ge-
stalt der Berauschenden abheben! „Noemi
St. Sebastian —, ich will ein Lied von
Deinen Hüsten singen, die Du keine Hüsten
hast, Deine braunen Augen, — (oder hat
es je etwas Schwärzeres gegeben?) •— Du
Liebliche, stehen in kühnem Schlitz, nacht-
dunkel schimmern die Schlangen Deiner Haare,
glitzernd rasseln die Ketten um Deinen ge-
schmeidigen, bronzefarbenen Leib." —
Der junge Mann schloß die Lider. Sein
letztes, mühsam zurückgelegtes Bargeld hatte
er opfern müssen, um der Diva nachzureisen.
Es hatte ihn lange schon verdrossen, die
Herrliche nach ganz banalen, operettenhaften
Melodien ihre Tänze ausführen zu sehn.
So war es ihm denn, solchen Gedanken
folgend, trotz unsäglicher Schwierigkeiten ge-
lungen, alte, seltsam tönende Weisen zu
entdecken, die schon zur sagenhaften Zeit
den indischen Bajaderen zum Tanze dienen
mußten. Run sollte, aus dem Geheimnis
ihrer fremden, goldmünzenumklirrten Schön-
heit und den versunkenen Melodien jenes
fernen Landes, ein einzig harmoniedurch-
leuchtetes Ganzes geschaffen werden, — so
nur kam der Sang ihres holden Leibes zu
seinem Recht, ihre östliche, märchentiefe Seele
zu ihrem Rausch.
Ein leises Knistern machte ihn auffahren.
Im Rahmen der Türe stand ein unbekanntes
C5c. Schmidt-Goy
Mädchen, und er wollte gerade sich noch-
mals mit Namen melden, als eine eigen-
tümliche Bewegung der beiden Arme, welche
den Vorhang hielten, ihn stutzig wer-
den ließ.
Noemi St. Sebastian!
Zhr blondes Engländerinnenhaar trug sie,
in festen Zöpfen, um das Haupt gelegt, der
graue Kostümrock und die weiße Mullbluse
umschlossen eine, uns an den Töchtern Al-
bions übel anmutende Hagerkeit, und die
weißeste aller Hände streckte nun unsere Miß
dem unglücklichen Musiker entgegen.
,,Well, was haben Sie denn gedacht?"
lachte sie später, „man muß die Konjunk-
tur aus nützen! Der Orient zieht. Und,
was sollen Ihre Originaltänze da verbessern?
Neues Einstudieren? Ich habe Plage, die
Orchester hat Plage, Publikum hat Plage.
Und jetzt sind alle sehr zufrieden. Ich,
mein, Impresario, die Leute. I say so“.
Dem armen Kerl erstarken die letzten
Töne auf den Tasten. Er stand auf, ver-
beugte sich wie im Traum, murmelte etwas
Unverständliches, suchte den Ausgang, —
— da kam eine vorher nicht beachtete ält-
liche Dame auf ihn zu:
„Und nicht wahr, Sir, bezahlenbrauchen
mir Ihnen wohl nichts? Es sind doch Tänze
alter Völker, — nicht wahr, — Sie haben
sie ja nicht selber komponiert?".
Fvigga von Brockdorff
Eine Fadel
Ei» weiser Greis schritt einst durch Thebens
Straßen.
Da kreuzte geckenhaft und aufgeblasen
Ein Jüngling, der auf einem Esel ritt.
Des alten Philosophen würdigen Schritt.
Und kaum erblickt der Fant das greise Haupt,
Als er sich freche Spaße schon erlaubt.
Bis ihn der Alte mahnt im Weitertraben:
„Du sollst vor grauen Haare» Ehrfurcht haben!"
Oer Esel, drauf der kecke Jüngling ritt,
Der hörte diese ernste Mahnung mit
Und dachte sich: „Der Mann ist wohlbeschlagenl
Der spricht mir aus dem Herzen, sozusagen!
Denn Wahrheit ist's doch, uubezweifelbare:
Auch ich, als Esel, habe graue Haare!"
Und er erzählte stolz daheim im Stall
Der ganzen Eselskumpanei den Fall.
Seitdem ist jedem alten Esel dieser
Wunsch zu eigen:
Man soll vor seinem grauen Haupte
Ehrfurcht zeigen.
Kart ettlinger
Bus den
„Betrachtungen und sinnsprnchen
des Kusma prutkow"*)
Das Gedächtnis des Menschen gleicht
einem Blatt Papier; manchmal ist das
Geschriebene gut und manchmal schlecht.
*
Hast du einen Springbrunnen, so ver-
stopfe ihn: auch der Springbrunnen bedarf
zuweilen der Ruhe.
*
Nägel und Haare sind dem Menschen
gegeben, damit er eine ständige, aber leichte
Beschäftigung habe.
Der Tod steht am Endo des Lebens, da-
mit der Mensch genügend Zeit hat, sich auf
ihn vorzubereiten.
Der Spezialist gleicht einer geschwollenen
Backe: seine Fülle ist einseitig.
Wenn du auf dem Büffelkäfig die Auf-
schrift „Elefant" liest, so traue deinen Augen
nicht.
*
Wer hindert dich, wasserdichtes Schieß-
pulver zu erfinden?
*
Der eifersüchtige Gatte gleicht einem
Türken.
*
Wenn du Steine ins Wasser wirfst, so
versäume nicht, die sich dabei bildenden
Kreise zu betrachten; sonst ist diese Tätig-
keit ein leerer Zeitvertreib.
Die Herausgabe gewisser Zeitungen, Zeit-
schriften und selbst Bücher kann nutz-
bringend sein.
(Deutsch von Alerander LUasberg)
*) Kusma Prutkow ist ein Decknamen für das
Dichterkleeblatt Alexej Tolstoj und Brüder Schein-
tschuschnikoiv. Unter diesem Namen veröffentlichten
sie in den 60 er Jahren in den führenden russischen
Monatsschriften eine Reihe Gedichte, Novellen und
Sentenzen, die eine Parodie auf die damalige spät-
romantische Literatur darstellten und die sie dem
Kusma Prutkow, einem angeblichen höheren Eich-
amtsbeamten, zuschrieben. Alle diese Elaborat« avurden
vom Publikum und von der Kritik ernst genommen,
nieinaud zweifelte an der Existenz Prutkows, und
dieser literarische Ulk blieb viele Jahre unentlarvt.
(Anmerkung des Übersetzers.)
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