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Märzmorgen

Neugierig kam die Sonne noch einmal her-
vor, küßte meinen Palmzweigen die Watte-Bäck-
chen und begleitete mich nach der Stadt zurück.

Da schrillte ein Camelot: „Extra-Ausgabe!
Ein Sieg der Türken! Der Krieg!" Händigte
unverlangt jedem sein Blättchen ein. Zehn, zwan-
zig, hundert. Stand vor mir und die ausgewühlte
Stimme sank plötzlich zu einem kindlichen Lallen
herab: „Ei, Palm . . Kätzchen!?"

Und ein kleiner Krüppel hielt schon von fern-
her den Bettlerhut sürs Mitleid hin. Setzte ihn

Die ersten Palmkätzchen

auf den Kopf, schickte ihn wieder in die durch-
sichtige Abendluft hinaus — vergaß ihn draußen
und streichelte die Silberknospen mit seinen Augen.
Dem alten Blinden aber, der sich vor jedem Ge-
räusche höflich verneigte und dann seine Zieh-
harmonika rauschen ließ, fiel diese Stille auf.
Lang — lang und zierlich erzählte er der Har-
monika jetzt alte Heimlichkeiten. Kauin hörbar . .
So daß sich das einsame Fräulein am Fenster
weit hinauslehnte, wie um nach einer Erinnerung
zu sehen-

Sepp Frank (München)

Als ich vorbei war, erwachte der Camelot
plötzlich aus seiner Versäumnis, schrie: „Extra-
Ausgabe! Ein Sieg der Türken! Der Krieg!"
Händigte unverlangt jedem sein Blättchen ein.
Zehn, zwanzig, hundert. Der Krüppel streckte
schmerzhaft den Hut in die Luft und burd) die
Harmonika ruckelte verstört ein modernes Lied.

Da trat das einsame alte Fräulein wieder
vom Fenster zurück. Und auch die Sonne war
leise davonaeqnnqen.

Leo Singer

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Leo Singer: Die ersten Palmkätzchen
Joseph August (Sepp) Frank: Märzmorgen
 
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