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Das Lied

Hoher Bienen feiner Sang
Weht hier wie ins Domgeftühle
Süßgedämpfter Orgelklang,

Und die Sonne schläft so Kühle
Auf den zarten Waldcsmatten,

Wo die stillen Schmetterlinge,

Fliehend dunkle Tannenschatten,

Suchen ihre Schaukelstühle
Und die hundert Farbendinge.

Und mir war's, ich hörte eben
Leise atmen eine Seele,

Und ein Lied in einer Kehle
Fing die Flügel an zu heben.

Wilhelm Schüssen

Am Berte stand ich —

Am Bette stand ich, wo sie leidend lag,

Ich sah hinab, wie — manchmal nur —

ein Zucken,

Bemerkbar kaum, auf ihrer reinen Stirne
Des Körpers wilden Schmerz verriet.

Und immer

Folgt rasch ein Blick zu mir, der

tröstend sagt:

„Tut nichts. Ist schon vorbei." Die
weißen Hände
Ruh'n auf der Decke, ruhig geht ihr Atem,
Wie schweigende Ringer kämpfen

Oual und Wille.

Da spricht zu mir mein Herz: „Sieh hin!

sieh hin!

Was ist des Weibes Leben? Leid und

Liebe.

Sieh, wie selbst Schmerz in Schönheit

sich verklärt,

Weil Liebe mächtiger ist als seine Macht.
Sieh, Mann — seht, Männer — seht und

beuget euch

Der kronenlosen Majestät des Weibes."

Da lächelt sie empor und leise haucht es:
„Schau mich nicht an! Ich will dir ja gefallen,
Und wenn man krank ist, sieht man

häßlich aus..."
Max Bernstein

Die Geschichte vom pan strahinja

Bon Walther Netto

Sinkender Abend im Land der schwarzen
Berge. Feiner kalter Regen in Schwaden. —
Seit Wochen. —

Eine Poststraße, die sich in dem schmalen Tal
in halber Höhe hinzieht, wie ein Mensch an den
Stein gedrückt, wie eine Ziege: von weitem ge-
sehen wie ein wollener Faden über den Stein
gespannt. — Die nassen Felsen glänzten wie
schwarze Kohlen, wie metallene Spiegel. — Ab
und zu huscht von Westen her ein Schimmer
Licht über die starre Öde.

Es war kalt. — Was tat es? In der Zelle
eines Klosters wußte ich mir einen Herd glühen;
ich fuhr der Wärme entgegen, Menschen ent-

Capriccio E. Orlik (Berlin)

gegen, wenn sie gleich schweigen, dem Rauch ent-
gegen und dem heimlichen Licht.

Reben mir sitzt, die Zügel führend, der Be-
sitzer des Karrens; groß, knochig, grau, verbissen.
Hinter seiner Stirne spielen Kronengedanken.
Wir fahren Dreischlag oder Galopp. Schweigend,
seit Stunden schon.

Er hatte mir den Platz neben sich angeboten
mit einer Handbewegung als wie: „Vielleicht
macht es Ihnen Vergnügen, neben mir durch
ein paar Dörfer zu fahren. Sie wissen doch —"

Alle haben sie die Allüren entthronter Fürsten.

Er führt die Peitsche mit der Grandezza eines
Magnaten auf dem Korso in Pest.

Es regnet. Es ist kalt.

Ich hülle mich tiefer in meinen Schafpelz. —
Seit Stunden haben wir kein Wort gewechselt.
Wozu auch? —

Da macht die Straße eine sehr scharfe Biegung

— und-plötzlich prallt unser Pferd zur

Seite, zieht den Rücken krumm und den Hals
ein, stemmt die Hufe nach vorn, daß die Eisen
ganze Bündel von Funken werfen — und steht.

Wir fallen beide halb vorn über.

Und was ist das? — Ha! Denkt Euch — —

Ich hebe den Kopf und sehe-wie bizarr ist

das Leben, ich sehe — — die Straße schwarz
von Schweinen.' Fünfzig, hundert, tausend, zehn-
tausend, -ah, das gibt Euch ja alles gar

kein Bild. — — Millionen Schweine, ge-
drängt unt einen Hirten.

Und der sitzt auf einem Meilenstein und hat
seine einsaitige Geige auf den Knieen, der er von
Zeit zu Zeit zwei Töne, einen hohen und einen
tiefen entlockt als Begleitung zu feinem Gesänge.
Mehr Rede ist's als Gesang, mehr die Li-
tanei eines Priesters. — Er redet mit der
Würde eines königlichen Sängers, mit der
Ruhe eines Fürsten über das Volk seiner
Schweine hin. Er singt, er redet und spricht
zu ihnen, wie zu einer Pilgerschar: Milde,
liebevoll, groß, verschwenderisch, erhaben, mit
langsamen, schweren Worten; — Hammer-
schlüge, — eine Reihe von Bildern: — —
Die Geschichte vom Pan Strahinja.

So hat Homer geredet, so hat Ossian ge-
redet; — Ah!

„Bleiben wir, Fürst," sagte ich zum

Führer meines Wagens, „bleiben wir.-"

„Eh bien. Wir haben Zeit." —

Was heißen Tage, was heißen Wochen?
Zeit ist eine Kontrolluhr für Büroangestellte.

Und der Mensch auf den: Meilenstein
redete: „Im Herrn geliebte Schweine, meine

Freunde.-Pan Strahinja's Leben hatte

nun also die Höhe des Berges überschritten,
wie ein Wanderer die Höhe eines Berges über-
schreitet und die Sonne hatte seinen Scheitel
gebleicht. Aber glaubet ja nicht, daß das
Feuer seiner Falkenaugcn verlöscht gewesen
wäre. Es waren glühende Kohlen, glänzende
Knaufe goldener Schwerter und die funkelten
wie der Stein ani Mittelfinger seiner langen
weißen Hand. Ihr kennt sie.

Und es war in einer Nacht des sechsten
Jahrzehnts seines Lebens. Eine schwüle Nacht,
eine duftschwere Nacht reifen Sommers. Da
lag Pan Strahinja auf dem Lager in dem
tcppichschweren Zelt, dessen golddurchwirkte
Wände im Lichte einer bronzenen Ampel
matt glänzten. Er hatte die Waffen abgelegt
und das Prunkgewand und schlief erschöpft
von dem fürstlichen Mahle, das er zu Ehren
des Türken veranstaltet hatte.

Glaubt ja nicht, meine lieben Schweine, daß
sich der große Pan Strahinja etwa den Türken

zum Freunde ausgesucht habe, oder-Rein!

Ihr müßt wissen — eh — große Leute haben
ihre Verpflichtungen. — Der Türke war eben
sein Gast gewesen. Aber das versteht Ihr wohl
nicht? Es ist übrigens gleichgültig.

Run lag er also auf seinen, Ruhebett und
schlief. — Und neben ihm lag ein Weib. Nackt
lag sie da mit langem, schwerem, gelöstem, gol-
denem Haar spielend — inden, sie es gegen das
Licht der Ampel hob.

An einer schmalen Kette blassen Silbers, die
sie um den Hals trug, hing ein großer, nieer-
farbener Stein. Der Stein lag zwischen ihren
Brüsten, so daß es war, als habe nran Wasser
in hohler Hand aus einem Meere geschöpft und
es tropfenweise zwischen die Brüste fließe» lassen,
und als dürfe sie sich nicht bewegen, da es sonst
über ihren Körper herabfließe.

Jetzt hatte sie die gertenschlanken Arme nach
hinten gebogen und tmter ihr Haupt gelegt, um
sich ein wenig aufzurichten, und schaute abwechselnd
auf die Tür des Zeltes und auf Pan Strahinja,
der neben ihr lag und den tiefen Schlaf genossener
Liebe schlief. —

Aber nun denkt Euch, Ihr Schweine. — So
schlief Pan Strahinja, so mochte er einige Stunden

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Walther Netto: Die Geschichte vom Pan Strahinja
Emil Orlik: Capriccio
Wilhelm Schussen: Das Lied
Max Bernstein: Am Bette stand ich -
 
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