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Unten im Park klang des buckligen Nacht-
Wächters Horn, die zwölfte Stunde kündend, da
brachen dein Herrn von Braghellife die flackern-
den Augen, rind er sank zurück in seinen Stuhl
und hatte mit seiner Zukunft und seiner Hoff-
nung zusammen nusgelebt,-

Mit freundlichen Gedanken hatte sich die junge
Witwe genesend vom Krankenlager erhoben, um
zum ersten Mal wieder im blühenden Park die
erfrischende Luft zu atmen und in der Kraft des
Sonnenlichtes ihre Mattigkeit abzuschütteln. Dem
Kommenden nachsinnend schritt sie langsam durch
Busch und Rosenhecken. Gaston mußte ja als
nächster Verwandter des Verstorbenen in dieses
Schloß als Majoratsherr einziehen, es mußte
alles gut werdeir, wenn er käme, der seit Jahr
und Tag ihr ganzes Sein und Hoffen bildete;
und dann, dann wird sie wohl auch das Glück
finden — — das Glück? Hatte das nicht schoit
angepocht bei ihr? Bei ihr als Mutter? Ein
heftiger Stich ging ihr durchs Herz. Hatte da

nicht jemand-? Ein leises Wimmern hinter

ihr? Sie wandte sich rasch um, da ihr ein
Schrecken heiß den Atem beklemnite. Aber nein!
Freundlich lachte die Sonne auf deir blumigen

Park-und heute nachts — — am Tage

ging cs ja doch nicht vor allen Leuten, heute
schon, eine Woche kaum nach des Gatten Tode
-nachts wollte sie ihn wieder sehen, ihn-

Noch tiefer verhüllt als in jener schauerlichen
Nacht, weil heute das Mondlicht freigiebig über
die Stadt flutete, schlich sich die Frau von Brag-
hellise aus dem Palais. Nun war sie einsam
in den stillen Straßen, und ungestört horchte sic
auf das ungestüme Pochen, das ihr unablässig
das Gehirn zerhänimerte; unablässig, seit sie das
seltsame Wimmern heute nachmittag vernommen.
Sie lauschte auf das Pochen, sie fühlte die be-
drückende Beklemmung des Atems, die nicht wei-
chen wollte, je länger sie der Ursache des unheim-
lichen Wesens nachforschte. Nun war sie auf das
kleine Plätzchen gelangt, wo die Seiler und Fifchcr-
netzer am Tage ihre Waren ausboten, von dem
man geradeaus zu den neuen Gartenanlagen der
Stadt, nach rechts aber durch ein enges Gäßchcn
zu der rückwärtigen Sakristeitüre der Kirche un-
serer lieben Frau kommen konnte; zu jenen hin
führte sie ihr Weg, und schon strebte sie ihrer
Richtung nach, da mar es ihr, als zöge sie eine
leise Gewalt nach rechts hin. Tastete da nicht
eine zarte Hand nach ihrem Kleide? Sie wandte
sich, und ganz gegen ihren Willen, einem unsicht-
bar Befehlenden gehorchend, beeilte sie sich, das
enge Güßchen zu durchschreiten, und stand an dem
mächtigen Dome, rückwärts in der dunkelsten Ecke
jenes einspringenden Winkels, aus deui heute,
überstrahlt vom hellsten Mondlichte, die Mutter
Gottes in schimmernder Weiße leuchtete.

Aber sie lächelte nicht wie sonst, und was mar
das? Das göttliche Kind, das friedselig bisher
immer an ihrer Brust gelegen, war verschwunden,
leer schienen die Arme, die es sonst immer treu und
warni umschlossen gehalten. Hanna starrte auf die
Erscheinung; immer mehr und mehr weiteten sich
ihre Augen; denn jetzt löste sich das blinkende
Marmorbild von seineni Standorte und stieg lang-
sam, langsam herab und hob die leeren Arme hei-
schend ihr entgegen, als wollte es von ihr, von der
Entsetzten, das Heiligste, das Kostbarste fordern,
das Kind, das früher in seinen Armen gelegen
war. Und fielen jetzt nicht aus den marmornen
Augen schwere Tränen herab? O sie weinte, der
steinernen Mutter Gottes floß das bittere Men-
schenleid aus den unbeweglichen Lidern, und die
bohrende fürchterliche Frage sprach von dem
mondbleichen Antlitz: Wo hast du dein Kind, das
meines ist wie jede junge Menschenblüte?

Jetzt wandte sich langsam die weinende
Mutter und schwebte der bebenden Frau
Hanna voran, die nicht anders konnte, als
Schritt für Schritt der Erscheinung willenlos
zu folgen. Immer schneller glitt die steinerne
Gestalt weiter, imnier eiliger mußte Hanna ihr
folgen. Sie kamen am neuen Garten vorüber,
jetzt wieder nach links, o, in eine verruchte,

abscheuliche Gegend; dort drüben lag der Liebes-
teich, an seinem Ufer die Mauer des Beghardcn-
klosters, und dort das kleine Haus — — aber
immer die Weiße, Bleiche, Lichtstrahlende voran.
Da vernahm Hanna hinter sich ein Rufen, eilige
Männerschritte näherten sich, ein keuchender Atem
hauchte neben ihr: „Hanna, Hanna, wohin? Hörst
du mich nicht?" Ein fester Griff haschte nach
ihr; „Hanna, siehst du mich nicht?" Aber sie
wandte das Auge nicht von der voran Schweben-
den und sagte nur eins und brachte eins nur immer
über die bebenden Lippen: „Wo ist das Kind,
das süße, kleine, mein Kind?"

Plötzlich stand sie still und sah forschend auf
die Wasserfläche hin. Uber diese zog das Mond-
licht glänzende Streifen, die zitternd über die
Wellen glitten. Umspielt von ihnen stand jetzt
wie ein leuchtender Schein, nebelhaft zerflossen,
mitten im Spiegel des Sees das Marmorbild.
Dorthin starrte sie und hörte nur halb die dringen-
den Worte Gastons: „Was siehst du denn dort,
Hanna, was stierst du auf das Wasser? Komm,
komm, jetzt sind wir ja frei, bald werde ich cin-
ziehen als Herr von Braghellife, und du wirst
dort neben mir dich freuen. Sei gut, fei gut,
komm mit mir!" Und er wollte sie wegziehen
von dem unheimlichen Wasser. Sie aber murmelte
nur, ruwerwandt de» Blick auf den Mondznuber
drüben gerichtet: „Ja, ja, heilige Mutter, ich
weiß wohl, es hat sich zum Sonnenlicht los-
gerungen, es hat leben und wachsen wollen, und
es war ein heiliges Gut, ein köstliches unantast-
bares ! Und ich-•" ihre Stimme ging in ein

leises Wimmern über,-„ich habe ihm alles,

Licht und Leben und Freude nehmen, ich habe
es töten lassen. Das ist das Pochen, der häm-
mernde Schlag da drinnen."

Da zerfloß der leuchtende Nebel draußen über
dem Wasser, löste sich in tausend glänzende Sterne
auf, und die flogen — — was war das? Am
Ufer, wo das Gebüsch im Schatten düsterte, da
huschte eine watschelnde Gestalt durchs Laubwerk

übers Wasser hin-flogen auf diese zu, und

in ihrem Schimmer erkannte Hanna jene andere
drüben, sah das grinsende Gesicht der Alten aus
ihrer fürchterlichsten Nacht, sah die nickende Haube;
und ihre Arme, was verbargen sie denn? Was
winkte dort wie ein rosig zartes Händchen, was
bebte dort wie ein weicher, kleiner Mund, als
rief er um Hilfe, um Liebe, um Leben?

Wie sie das gesehen, schrie Hanna verzweifelt
auf: „Dort ist es, dort entführt sie mir's, die
Schreckliche, das Süße, Kleine, das Heilige, ins
schwarze Wasser trägt sie's hin; jetzt, jetzt will
sie verschwinden — —"

Mit aller Nacht klammerte sie sich an den
Mann an ihrer Seite, den ob des wirren Redens
das Grauen packte. Er wollte sie beschwichtigen:
„Hanna, cs ist nichts. Was hast du nur?" Aber
sie wies mit der Linken hinüber zum Buschwerk,
das im Nachtwind schaukelnd hüpfende Schatten
in das Mondlicht spiegelnde Uferwasser warf und,
wo es dichter zum Lande hin wucherte, wie ein
schwarzes Moor int Dunkeln brütete. Plötzlich
riß sie Gaston an sich, ein jäher Sprung, und
die urewige Stimme der Mutterschaft, die sie be-
logen, betrogen, verhöhnt, trieb sie nach dem win-
kenden Kinde, das dort im schwarzen Wasser vor-
ihren Blicken versank. „Mein Kind!" schrie sie
auf, und über zwei ringenden Menschen schloß
sich der gurgelnde Wirbel des Uferwassers im
Busch. — Drüben im alten gotischen Schlosse der
Herren von Braghellife erklang des Wächters
Hornruf uni Mitternacht.

Aut. Schönmann

Pepa

von Alfred de Muffet

Sag, Pepa, wenn die Nacht sich breitet,
Wenn Dir die Mutter bot „Gut Nacht",
Wenn bei der Lampe halbentkleidet
Du knieend Dein Gebet vollbracht;

Zur Stunde, wo die Bangen pflegen
Um guteir Rat die Nacht zu flehn,

Wenn's Zeit, das Häubchen abzulegen,

Und spähend unters Bett zu sehn;

Wenn Du noch wach liegst ganz alleine,
Die Deinen längst der Schlaf umspinnt,
Pepita, Liebchen, holde Kleine,

Sag, woran denkst Du dann, mein Kind?

Wohl an das Leid, von dem betroffen
Die Heldin Deines Buchs erscheint?

An alles, was wir wünschend hoffen,

Und was die Wirklichkeit verneint?

Wohl an den Berg, so ungeheuer,

Der nur die Maus gebären kann,

An Spaniens Liebesabenteuer,

An Naschwerk, — einen Ehemann?

Vielleicht an das, was Dir ganz leise
Ein Herz vertraut, das Deinem gleicht?

An Kleider — eine Walzerweise —
Vielleicht an mich — an nichts vielleicht.

(Deutsch von Harry Girladone)

Ammenmärchen

von Ludwig Engel

Mein Freund, der Baumeister, hatte
eineir Mietspalast hingestellt.

„Warum," forschte ich, „setzest Du vors
Hauptportal eine Löwin — und keinen
Löwen?"

„Sehr einfach," sprach er, „weil Frau
Loew die I. Hypothek gehört!"

Wir waren in Bordighera angekommen.
Ließen uns trotz der trüben Witterung nicht
abhalten, oben von der Pinienallee herab
einen ersten Nundblick zu genießen. Wer
kanr uns da in den Weg? — Herr Bankier
Salo!

„Za," sprach er, „ich bin's in leibhaftiger
Gestalt! Vor acht Tagen bin ich hierher
geflüchtet. Welch' eine Wohltat für die
Nerven, fürs Gemüt, durch nichts an die
Arbeit, durch nichts an die Geschäfte er-
innert zu werden!"

Ein feiner Regen legte sich auf Palmen
und Ölbäume; das Meer lag grau in
verschwommenen Konturen.

„Ich kann Ihnen das nachfühlen," be-
teuerte ich, „dies Bordighera ist ein herr-
liches Fleckchen Erde! — Wie war denn
gestern die Abendstimmung?"

„Faul," sprach er, „bei dem starken
Kursdruck auf Canada - Pacific!"

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Register
Anton Schönmann: Vignette 'Maus'
Ludwig Engel: Ammenmärchen
Alfred de Musset: Pepa
 
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