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A. Schönmann (München)

Und wieder hatte der General genickt und in
seinem Herzen an die Frau gedacht, die nur die
Tränen ihres Volkes sehen durfte und die Schmach.

Darauf machte er sich an die Rede selber.
Manche Stunde saß er vor den weißen Bogen.
Es gelang ihm nicht. Er konnte keine Reden
halten und keine Reden schreiben. Der alte Kopf,
die alte Hand tat da nicht mit. Er seufzte.

Dann ging er zum Direktor des Gymnasiums.
Der lächelte und half ihm. Eine wunderschöne
Rede setzte er ihm auf. Wundervoll schlang sich
der Rede Band vorn Krieg zur Königin, und
von der Königin Luise wieder zurück zum Volk.

„Ich danke Ihnen, Herr Direktor," sagte der
alte Soldat und drückte ihm die schmale Philo-
logenhand, daß sie knackte.

Und zu Hause lernte er Satz für Satz aus-
wendig.

„Es ist wunderschön," sagte er nach jedem
Absatz, „aber Fleisch von meinem Fleische ist es
eigentlich doch nicht." Und es ward ihm ein
wenig unbehaglich. Aber das half nun alles
nichts. Übermorgen war die' Rede fällig.

Da war die Stunde da. Eine hohe Stimmung
wallte durch den Festsaal. Die Herzen waren
auf, und manches Auge glühte. Der Geist der
alten Freiheitszeiten hatte einen Flügelschlag ge-
tan unter diesen Menschen.

Es schwirrte durch den Saal von hundert
Stinunen. Der Präsident, der Oberbürgermeister,
der Superintendent, der Schulinspektor und die
andern hatten ihre Reden schon gehalten. Es
waren tüchtige Reden, tadellos im Aufbau, zündend
wie die letzten Garben eines Feuerwerks am
Schlüsse. Jetzt kam die Reihe an den General.

Aufmerksam hatte er den Reden zugehört. Hm,
wenn er's recht bedachte, hatten die eigentlich schon

alles das gesagt, was er zu sagen hatte,
zweimal, dreimal schon gesagt. Und
er sollte das nun alles zum vierten
Male sagen? Mit den breiten aufge-
putzten Sätzen sagen, die ihm lagen
wie ein schlottriges Gewand? Der
Soldatenärger vor der Wiederholung
stieg ihm auf. Zum Donner noch ein-
mal, Gefühle müssen kurz sein, wenn
sie echt sein wollen. Breitliche Gefühle?
Brr. Und nun gar auswendig ge-
lernte Gefühle? Er schämte sich plötz-
lich, so daß es ihm heiß war.

„Ich glaube," sagte ein Offizier zum
andern, „Exzellenz hat wahrhaftig das
Lampenfieber — schau einmal hinüber,
wie er rot ist."

Und da kam auch schon ein Bote
des Oberpräsidenten 511m General und
beugte sich zu ihm und flüsterte, es sei
letzt Zeit . . .

„Schon gut," gab der General zu-
rück und wollte nochmals im Geiste
rasch die Einzelsütze seiner Rede wieder-
holen. Aber da ergab sich etwas Schreck-
liches: Er wußte sie nicht mehr. Das
inn're Feuer der Beschämung hatte sie
verbrannt, rettungslos verbrannt. Wie
Asche spürte er es noch von seinem
alten Herzen rascheln. Dann sah er
auf mit einem leeren Blicke.

Aber er merkte es nicht, daß ihn
die Leute ansahen. Er merkte es
nicht, daß die hochgestiegene Festes-
freude um ihn rauschte mit unzähligen
Stimmen und Lauten. Sein Auge
blieb an einem blanken Waffenschwerte
haften, das da neben ihm an der
Wand in Reichweite hing, mit anderen
Gewaffen, dem Saal zum Schmuck.
Hub dann wanderte fein Blick zurück auf den
Tisch, wo die Rosengirlanden dufteten und der
Rotwein in den Gläsern dunkel glitzerte und gleißte.

Und als er sich jetzt erhoben hatte, kam ein
sonderbares Fieber über ihn. Die Menschen um
ihn her versanken, das Festgedenken an die großen
Zeiten blieb. Und dem Gedenken mußte er für
sich jetzt einen knappen, harten, blitzenden Aus-
druck geben, das wußte er — sonst nichts.

Und von dieser Wallung hingerissen, riß er
das Schwert von der Wand, umwand es einmal,
zweimal mit den rosigen Girlanden, gab ihm einen
kurzen Schwung —

Whßb - , ..

das Schwert fuhr an das Gebälk des altertüm-
lichen Saales, bohrte feine Spitze ein — da stak
es fest. Und die rosigen Girlanden hingen dran
herunter und schwangen durch die Luft:

„Der Krieg!" rief der General mit seiner tiefen
Stimme durch den Saal, „Der Freiheitskrieg!
Die Königin! Und —"

Die schwingende Rosenkette hatte den Rot-
wein umgeworfen nnb sich damit getränkt rot
tropfte es herunter auf die weiße Tafel. Und
ein letztes Mal rollte es durch den Saal:

„Der Krieg! Die Königin! Und das Blut
des Volkes!"

Kein Wort mehr sagte der General. Toten-
still war es geworden. Schweratmend setzte sich
der alte Soldat.

Und dann brach ein Sturm los, ein gewaltiger
Sturm. Die Adler von achtzehnhundertunddreizehn
rauschten durch den Saal.

Und es war kein Mensch darin, der nicht
bekannt hätte: Eine herrlichere Rede auf das
Freiheitsjahr fei nie gehalten worden.

Fritz Müller (Lannero)

Mer: Trrrrst

Dem alten General war auch eine Rede zu-
gefallen bei der Jahrhundertfeier von des deutschen
Volkes Erhebung. Gewiß, der alte General war
kein Redner. Aber man hatte es ihm klar ge-
macht: Wo der Präsident sprach und der Ober-
bürgermeister und der Superintendent und der
Schulinspektor und wer weiß noch alles, da durfte
auch das Militär nicht hinten bleiben.

„Und das Schwert, Herr General," so hieß
es, „das blanke Schwert hat damals wahrlich
nicht die letzte Rolle spielen müssen, als die letzten
Würfel über eines Volkes Schicksal fielen."

Der alte General nickte. Und dann hatte man
die Themen ausgedacht. Alles drehte sich natür-
lich um den großen Freiheitskampf. Das war
der Kern. Aber abgesehen davon, nmßten sich
die Reden unterscheiden. Dem Präsidenten wurde,
wie es sich gehört, der Kaisertoast zugewiesen,
der Oberbürgermeister mußte die wirtschaftliche
Entwicklung im Anschluß an die Freiheitskriege
streifen, der ©uperiiitenbeiit hob das Göttliche
im Kampf heraus, der Schulinspektor sollte sich
an Deutschlands Jugend wenden. . .

„Und Sie, Herr General, Sie sind ein ritter-
licher Mann, Sie knüpfen an das Schwert und
das vergossne Blut das Gedenken an die tapfre Kö-
nigin, die vor dem Freiheitsmorgen sterben mußte."

Deiner Gassen graue Wand,

Froh nmzuckt von Blütenfunken,

Wo von Mund- und Becher-Rand
Wir den ersten Rausch getrunken,

Wo die Liebe ihren Tisch
Frank im Fest des Frühlings wählte
Und an Lippen voll und frisch
Kuckuckruf und Sterne zahlte.

Wo wir Höll' und Himmelsschwall
Wie die Teufel hell durchfahren —
Wißt ihr's noch, ihr Freunde all,
Wie wir rasch und sehnig waren?

Neckschwung, federnden Gewichts
Riesenfelge aus der Kippe:

Und das Leben galt ein Nichts
Und der Tod ein arm Gerippe,

Und die Stunden tönten reich,

Und die Zeit stand willig stille,

Und der Blutstrom pulste weich,

Und wie Schwertstahl war der Wille.

Wie ein Held hast du dir kühn
Eichenlaub ans Haupt gebunden,

Und die Brust hellt Lindengrün,

Und das Herz schlägt Jugendstunden.

sranz Langbeinrrcb

Leipzig 1913

Reifen Feldern hingedehnt.
Eingewiegt vom Lied der Mühlen,
Ferne Hab' ich's oft ersehnt,
Heimatnest, dich so zu fühlen.

Reifen Feldern hingedehnt,
Eingewiegt vom Lied der Mühlen?
Anders, als ich dich ersehnt,
Heimat, muß ich nun dich fühlen!

Vormärz
Register
Franz Langheinrich: Leipzig 1913
Fritz Müller: Der Toast
Anton Schönmann: Vormärz
 
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