Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben (18.1913, Band 2 (Nr. 28-53))

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Fußballspiel

Georg Pfeil (München)

Anabiose

Ein Zukunftstraum.

Dem Professor Bachmetjew in Petersburg
ist es gelungen, Lebewesen dadurch in einen tod-
ähnlichen Zustand zu versetzen, daß er sie langsam
auf — 5° abKühlte. Sie Konnten so beliebig
lang ohne jede Lebensfunktion erhalten und dann
durch langsames Austauen zu einem beliebigen
Zeitpunkt wieder lebendig gemacht werden.
Bachmetjew hofft, später auch Säugetiere und
sogar Menschen anabiosieren zu können.

Damit eröffnen sich herrliche Aussichten für
die Zukunft. Vor allem für uns Männer. Wenn
unsere Frauen unbequem zu werden beginnen,
lassen wir sie anabiosieren und legen sie einige
Jahre auf Eis. Da sie während der Anabiose
nicht altern, haben wir nach 15 oder 20 Jahren
auf einmal eine nod) ganz junge, frische, jeden-
falls gut erhaltene Frau, und es ist keine Redens-
art mehr, wenn eine Freundin zu ihr sagt: Gott,
wie haben Sie sich konserviert. Aber auch
Jungfrauen, die keinen Mann bekommen, tun
gut. sich der Anabiose zu bedienen. Es ist nicht
ausgeschlossen, das; sie wenigstens im nächsten
Jahrhundert dann einen Kriegen. Übrigens eignet
sich das Verfahren selbstredend schon für gewisse
Verhältnisse des laufenden Jahrhunderts. Es
gibt Länder und Bezirke, in denen Frauenmange 1
herrscht. Hier kann eine rührige Firma ein
gutes Geschäft machen. Sie versendet Frauen-
ge srierfl ei sch im großen. Die Ankündigung:
„Heute 100 Stück argentinische Eisjungfern srisch
eingetroffen," wird die Männer zu tausenden auf
den Markt locken. Abends werden diese dann
in ihren Farmen am Herde sitzen, und wenn ein
Freund koinmt, sie zu besuchen, werden sie sagen:
„Heute nicht, Lieber. Fch koche meine
Frau auf."

Natürlich läßt sich der anabiotische Export aber
mid) für Ansichtssendungen nach den Kolonien,
oder wenn einer sich seine Frau oder eine Frau
sich ihren Mann nadjfdjidten lassen will, glänzend
verwenden. Am wertvollsten wird sich die Anabiose
für die K u 1 t u r g e s ch i ch t e erweisen. B e r ü h in t e
Männer werden von nun an nur noch einge-
pöckelt, sobald sie mit ihrer Leistung am ab-
steigenden Ast anlangen, und einfach alle 10, 25
oder 50 Fahre aufgetaut. Sie schreiben dann
ihr Festspiel selber, werden dadurch mißliebig und
sofort wieder kalt gelegt. Alles ist in Ordnung
und Eis. Sie sind wahrhaft unsterblich.

A. De Xora

Aurora

(Line wahre Begebenheit)

Szene: Direktionsbüro des Alhambratheaters.

In die Bilanz verlieft, liegt der etwas feiste
Direktor stöhnend und schwitzend im Klubsessel.

Plötzlich fliegt wie von selber die Tür auf und
ein schlanker eleganter Herr (unverkennbarer Typ des
Konfektionsreisenden, glattrasiert, englische Imitation,
Musterkoffer . . .) steht wie aus der Pistole geschossen
mitten im Zimmer.

Direktor (ärgerlich): Was ist? Warum Klopfen
Sie nicht an?

Reisender (lächelnd): Meyer ist mein Name,
Meyer mit Ppsilon.

Direktor: Ihr Ppsilon interessiert mich gar-
nicht. — Ich Kaufe Keinen Mosel, (schreiend) ich
Kaufe Keine Kragenknöpfe!!

Reisender (verbindlich): Pardon — Meyer von
der „Aurora", G. m. b. H. u. Co., Kommandit-
gesellschaft, Werkstätte für dramatische Literatur.

Direktor (fällt entsetzt in seinen Sessel zurück,
die Bilanz entgleitet auf den Teppich): Reden Sie!
(Der Reisende hebt eilfertig die Bilanz vom Boden
auf.) Lassen Sie sie liegen, Herr. Sie ist so-
wieso nicht zum aufheben. . .

Reisender (stellt sich in Positur): Gestatten. . .
(holt Atem, und schnurrt dann unaufhaltsam los)
Ehe ich Ihnen die Methode unserer Geschäfts-
führung auseinandersetze, lassen Sie mich Ihnen
kurz ein Bild unseres Geschäftshauses entwerfen.
Es ist der erste Wolkenkratzer Deutschlands,
Berlin bl 24, Oranienburgerstraße. Siebzehn
Stock hoch. Wo früher die Synagoge stand,
wissen Sie. Wir haben die Synagoge einfach
aufgekallft . . . Die Herren, die sie früher zu
besuchen pflegten, sind doch alle bei uns be-
schäftigt . . . Baustil: neuromantisch (Typus
Zigarettenfabrik. .) Die Fabrikräume: hell, luftig,
durchaus hygienisch, kalte Dusche (sehr notwendig!)
in jedem Appartement. Die einzelnen Werkstätten
sind in jeder Hinsicht dem Genre, dem sie dienen,
zweckentsprechend angepaßt. Im siebzehnten Stock
befinden sich 43 täuschend nachgeahmte, ärmliche
Dachkammern, in denen unsere 43 rein literarischen
Dramatiker (Jambendrama, Mysterium, psychologische
Dialoge) Hausen. Sie schreiben mit Gänsekiel,
tragen sämtlich dieselbe langlockige Haarfrisur und
werden, damit sie den Mut zum Schaffen nicht
verlieren, künstlich unterernährt . . . Im vierten
Stock haben wir die komfortabel eingerichteten
Arbeitsräume der Operetten-Librettisten und Kom-

ponisten: elegante Weinrestaurants. CafLs. Likör-
Probierstuben, Amerikan-Bars — in vollem
triebe, mit allen nötigen Schikanen. — Der sechste
Stock beherbergt die Dichter mit Erdgeruch. Lie
sitzen jeder in einer pneumatischen Kammer, lust.
dicht abgeschlossen, in die der jedem eigentümliche
Erdgeruch frisch aus Ostpreußen, Hannover.
Thüringen usw. in plombierten Bomben cähin.-
den Sauerstoffbomben) importiert, vermittels kom-
plizierter Maschinen hineingepreßt wird. Ihre
hauptsächliche Nahrung ist Handkäse lmd grobes
Schwarzbrot . . .

Herr Direktor, darf ich Ihnen unsere Preis-
liste überreichen (tut es), Nichtgewünschtes ist bei
schriftlicher Bestellung einfach zu durchstreichen.
Auf Anfrage erfolgt umgehend prompt Auswahl
fendung. Aber keine Bühnenmanuskripte! 5ch
bitte Sie: welcher Direktor liest heutzutage noch
Theaterstücke! Etwa der Dramaturg? Der erst
recht nicht! Lesen Sie die Ihnen eingereichten
Dramen?? (Der Direktor schüttelt resigniert dm
Kopf.) Also! Das ist ja auch ganz unmöglich.
Man wird blödsinnig, bestenfalls verrückt . . .
Wir haben unsere eigenen Schauspieltruppen, ver-
nlöge derer wir jedes in unserer Firma ange-
fertigte Stück Ware auf den Phonographen über-
tragen. Eine sinnreiche Erfindling ermöglicht es.
das Drama an jede gewünschte Szene einzu-
stellen. Sie brauchen sich nicht das ganze Stück
anzuhören — Gott bewahre! — bloß die Haupt
szenen, die Hauptschlager, und ein gewiegter
Theatermann wie Sie (der Direktor grinst ge-
schmeichelt) weiß, was los ist. — Ich habe hier
in meinem Musterkoffer Platten sämtlicher Bühnen
gattungen. Bitte betrachten Sie das Inhalts-
verzeichnis der Preisliste:

Schauspiel — Drama, rein literarischer Art -
Historisches Drama — Drama, zugkräftig, auch
mit tendenziösem, erotischem, dialektischem Ein-
schlag (Nichtgewünschtes bitte zu durchstreifen)

— Lustspiel (Konversationsstück) — Lustspiel
(Handlung) — Schwank — Sketsch — Operette

— Festspiel (mit monarchischem Einschlag. Pro-
tektion auf Lager); durch unsere Verbindung mit
Veteranen- und Kriegervereinen sind wir in der
angenehmen Lage, auch die nötige hurrapatriotische
Cliquen- und Elaquenbegeisterung, einschließlich
offizieller Zeitungsnotizen, gegen entsprechenden
Aufschlag gebrauchsfertig liefern zu können. Drei-
monatliche Garantie. Versagen ausgeschlossen —
u. s. w. u. s. w.

Wir machen darauf aufmerksam, daß wir im
Besitze hoher und allerhöchster Anerkennungen

Schluß auf S. 847

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