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Hus einem Zyklus „Weltreise"
Vorbei

Des Dampfers Pfeife brüllt! Zögernd entgleitet
Das Schiff dem Pier; die Menschen werden klein.
Das mächtige Schiff erzittert tief; es breitet
Sich schwankend in die wogende See hinein!

Oie Pfeife brüllt! Von Land her klagt es wider!

Oer Strand verschwimmt-ich sehe dich

nicht mehr!

Und Alles schreit in mir und wirft sich nieder
Nach dir, nach dir! Die Pfeife brüllt: Nie mehr!

Hl te

Vom Dust der Nacht verschleiert schwimmt

die Ferne.

Wie meerentstiegen, in den Raum gebannt,
Erglänzen über mir unzählige Sterne,

Im Dust verwoben, schimmernd ausgespannt.
Zuweilen zuckt ein Funkeln durch den Schleier,
Durchläuft ein Zittern ihn. Ein feines Beben
Ist um die Abertausende, die schweben
Gemeinsam dort in lichter Weltenfeier!

Da sind am Werk geheimnisvolle Hände,

Die spinnen Strahlen, spinnen ohne Ende;

Sie haben Alle in ihr Netz verstrickt.

Und bebt nur Eines schmerzlich, bebt entzückt,

So zucken feine Fäden: Was es litt,

Davon erzittern Alle heimlich mit!

Paul Weber

iDer ßoman einer glücklichen lkhe

Ein neues Buch war erschienen: „Der Roman
einer glücklichen Ehe." Und es wurde mit Be-
geisterung ausgenommen. Aus all dem Wirrsal
von traurigen Erfahrungen, aus halb unbewußten
Enttäuschungen heraus, griffen Mann und Weib
zu diesem seltsamen Buch, das eine so volle Har-
monie atmete. Und doch war der Inhalt so schlicht:
zwei Menschen fanden sich nach ernsten Kümpfen;
in der Liebe zu ihren Kindern, im gemeinsamen
Leben reiften sie aus, jedes zur eigenen Persön-
lichkeit, und doch erst in der Genreinschaft die
höchste Erfüllung ihres Daseins findend. „Das
muß erlebt sein," sagten die anderen, und sehnten
sich danach, ihn kennen zu lernen, der das eine
große Problem des Lebens gelöst. Aber man
kannte den Verfasser des Buches nicht.

Ein Kritiker hatte ihn entdeckt und suchte ihn
auf. Er lobte das Buch. Es kam über ihn
wie ein Hauch jener inneren Freude und Be-
glückung, den die empfanden, die das Buch mit
Andacht gelesen.

„ünb wo ist sie, die Ihnen recht eigentlich
dieses Werk geschenkt, Ihr Glück geschaffen —
wo ist Ihre Frau?"

Der Dichter sah auf. „Sie lebt nicht mehr.
Sie starb, als sie mir ihr Jawort gegeben, als
Braut. Aber feit der Zeit lebte ich im Geiste
mit ihr. Sie teilte alles, alles mit mir und mir
ist auch, als hätte sie mir Kinder geschenkt. Ein
Teil ihres Seins und meines Seins. Und ich
bin sehr glücklich.

Rur ganz selten frage ich mich, ob es auch
noch ihre Persönlichkeit ist, mit der ich lebe, ob
es nicht vielleicht nur eine andere Seite meines
Ichs sein könnte, die so für sich ausreift. Ich
weiß es nicht — aber vielleicht ist das ähnlich
in einer wirklichen, glücklichen Ehe.

Erzählen Sie es niemand wieder, was ich
Ihnen gesagt," fuhr der Dichter lächelnd fort,
„es würde vielleicht viele enttäuschen. Und wir
sind so glücklich in uns selbst."

Verwirrt verließ der Kritiker den Dichter, und
langsam Satz für Satz las er nochmals das
Buch einer glücklichen Ehe.

Anni wedckind (Brüffel-Laeken)

Pappel im Strahl

Ein ftilles Wiefental

Von Schroalben überflogen *

Die Wetter find nerzogen —

Ein frifcher Sonnenftrahl
Befallt mit einemmal
Die feuchte Blatterfülle
Der Pappel überm Bach.

Sie zittert tausendfach,

Noch träumerisch verwirrt.

Er küßt ihr unbeirrt

Die glanzenden Glieder mach.

Sie zuckt und blitzt ihn an,

Von Küffen überfprüht,

Und windet sich und schimmert,
Im Innersten erglüht —

Nun fluten die Küffe ohne Zahl
Hinum und ohne Wahl.

Sie bietet, kaum bewußt.

Die hellen Herrlichkeiten:

So heiß die Küffe gleiten,

So funkelt sie vor Luft.

Josef Schanderl

Von Albert von Trentini

„Berg! Alles aussteigen!" riefen die Schaffner
in die Nacht.

Julian sprang aus dem Zug. Blieb atemlos
stehen. Blickte flackernd um sich. Mit einer
wahnsinnigen Furcht.

Aber er sah kein bekanntes Gesicht! Es war
niemand da! Es war niemand gekommen, uni
ihn abzuholen!

„Da!" winkte er, beruhigt, einen Mann mit
der roten Mütze heran. „Ins Hotel Mitternacht!"

Der Mann, ein alter, gebeugter Mann, schaute
ihn groß an, lange; und lüftete dann endlich die
Mütze und sagte: „Oh, Sie sind ja der Herr
Baron Julian!"

Julian zuckte zusammen. Man erkannte ihn
also noch! „Wissen Sie, wie es steht ... zu
Hause?" fragte er heiser, den Blick abgewendet.

Der Alte, an den Bart greifend, und Julian
halb mitleidig, halb unverschämt streifend, ant-
wortete : „Vor einer halben Stunde bin ich durch
die Frauenstraße gegangen. Da waren einmal
die Fenster noch zu."

Julian lief ihm davon. Um vier Uhr morgens
hatte er die Depesche bekommen: „Wenn Du
Vater noch sehen willst, reise sofort!" Um sechs

Aber es kam Niemand, zu öffnen!

Da steckte er den Kopf in das kleine Hous-
meisterfenster neben den: Tor hinein und ries,
pochend: „Ich bin's! Der Baron Julian!"

Und nun entstand Lärm. Ein schwerer Schritt
klang aus dem Flur, ein Schlüssel ward gedreht,
das Tor ächzte, ein altes Weib tauchte aus
dem Spalt.

„Lebt er noch?" rief keuchend Julian.

Das Weib nickte.

Julian raste über den Flur. Die Treppen
waren beleuchtet. Er sprang sie wie eine Katze
empor. Im Vorsaal oben brannten Kerzen. Er
durchlief ihn wie ein Entflohener. Das erste
Zimmer war leer! Das zweite auch! Das dritte
ebenfalls! Und das vierte . . .

Vor diesem blieb er stehen und lauschte. Schluch-
zen klang heraus. Unterdrücktes, wildes, jam-
merndes Schluchzen. Er erkannte, von wem es
kam. Das war Mutters Stimnre, das Elisabeths
Stimnre, das Pauls Stimnre, das .... Nein,
das war die Stimme eines Geistlichen, der betete!
Und das, — denn nun war es ganz still drinnen!
— das war das Röcheln!

Er reckte sich empor, warf den Mantel ab,
den Hut ab, machte sich groß, drückte die Klinke
nieder, — und trat ein.

Und stand stille. Denn die um das Bett des
Sterbenden Niedergeknieten, die alte händeringende
Frau, der bleiche, schwarzäugige Sohn, die blonden
Schwestern, hatten jäh sich aufgerichtet. Wie zur
Abwehr! Ihre Augen flammten voll Haß ihm
entgegen. Ihre Hände hoben sich weiß aus dem
Krampf ihres Leids gegen ihn. Vergifte ihm
nicht den letzen Augenblick! rief ihre feindliche
Gebärde ihm zu, und verstecke Dich! Denn uns
allein gehört dieser Mann, und uns allein dieser
Schmerz!

Julian biß die Zähne auf die Lippen und
preßte seinen Rücken in das Holz der Türe zu-
rück. Klein wurde er, schmal, und vollkommen
bleich. Und vollkommen starr schaute er über
die habgierig ums Bett Gedrängten nach dem
Antlitz des sterbenden Vaters.

Das hing so tief in die Brust herab, als ob
es aus der Mitte der Brust wüchse. Die Haare
des silbernen Barts waren von unheimlicher
Weiße. Die Stirne von Schweiß überrieselt:
der Blick unter den schwer gesenkten Lidern angll-
voll verborgen. Der Mund ein Bild des ver-
zweifelten Kampfs gegen den nur halb noch er-
kannten Feind. Und vor diesem Antlitz, schein-
bar nicht mehr zu ihm gehörend, lagen die ab-
gezehrten Hände auf der Decke; unbeholfen, un-
beweglich, unendlich rührend.

„Herr Baron," klang schrill aus dem Halb-
laut der klagenden Stimmen die Stimme der
Krankenschwester, die zu Häupten des vetts
wartete. „Sprechen Sie mir noch einmal nacy.
Herr Jesus Christus ..

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Register
Albert v. Trentini: Julian
Paul Weber: Aus einem Zyklus "Weltreise"
Josef Schanderl: Pappel im Strahl
Gadso Weiland: Vignette
Anni Wedekind: Roman einer glücklichen Ehe
 
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