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1807

(Ein Brief)

Mein teurer Freund!

Des Vetters Hohenheim
Vertrauter Diener gab mir heut

zur Nacht

©in Blatt, bedeckt mit der

geliebten Schrift,

Die meine Küsse deckten, eh ich las.

Auch hört ich mündlich viel des

Wissenswerten:

Wie Ihr und Euer Freund, der

Graf, gereist

Auf allen Straßen, fahrend und

zu Fuß,

Viel Hochgemute traft, zur Fahne strebend,
Gleich Euch, gleich meinen Tupfern frei gewillt.
Das Herz schlug mir bei jedem seiner Worte
Unendlich bang; doch auch ein wenig stolz,
Daß Ihr den Schill'schen Jägern eingereiht.
Die dunkeln Augen unterm Naupenhelm,
Voll Zuversicht dem Vaterlande blitzend
Anstatt für mich, — fast fühl ich Eifersucht.
O Gott, ich scherze, und wer weiß, wie schwer
Euch der verruchte wälsche Feind bedrängt!
So spärlich nur und langsam dringt

die Welt,

Das kriegdurchwühlte, aufruhrwilde Draußen
Durch unserer Wälder Wall ins stille Schloß.
Ja, Freund, das schläft: und sein

zufriedener Herr

Schaut nach dem Stand der Saaten,

sorgt ums Wild

Und fragt erstaunt, wenn er mit Appetit
Sein Metzelsüpplein unentwegt verzehrte,
Warum die Gattin, stumm, den Schmaus

nicht teilt.

Nichts kann mir munden, Freund,

seit Ihr gegangen.
Selbst am Spinett, zu dem ich heut

mich zwang,

Daß jener Stunden Weihe mich umschwebe,
Die wir allda in Einigkeit durchlebt —
Selbst dort, glaubt ich Geschütz und

Lärm zu hören,
Und sah Euch, sah — mit Tränen überströmt
Eilt ich hinweg, barg meinen Kopf am Nacken
Des kleinen Heinz, der still „Soldaten" spielte.
Der Onkel Wolfgang kommandiert sie alle,
Und führt sie leicht und unfehlbar zum Sieg.
Man sieht, wie sehr das Herz des

kleinen Helden,
Nicht nur das Antlitz, seiner Mutter gleicht.
Ob Ihr begreift, daß nicht Gebet noch Kirche
Mir Ruh und Fassung, die verheißenen,

spenden?

Ja, wär's ein Bund, von Priesterwort geleitet,
Wofür ich zittern muß! Doch unserer Seelen
Selbstsich're, selbstgeweihte Harmonie
Entbehrt im heiligen Lied des reinen Klanges.
Wie schwebt der strenge, leidentrückte Gott
Dem Menschlichen so fern, dem Wunder Liebe!
Viel eher faßt mein bebend Herze Mut,
Wenn ich in Ihre zarte Abschiedsgabe
Mich recht versenkt. Ein weiter, hoher Sinn
Lebt in dem kleinen Buch mit fremdem Namen:
„Bon Schillers Almanach": Welch edler Geist,
Im Kampf, der Erdentrübsal Herr zu werden,

Zeigt uns den Weg zum Glück der

ewigen Dinge!

Dank, tausend Dank, mein Freund, für

jenen Trost!

Und wenn wir uns, Gott gebe,

Wiedersehen —

Recht froh, recht bald — dann lest Ihr

die Gedichte

Mir abends vor, derweil die Reisetasche
Ich grün und gold mit Lorbeer Euch

besticke. —

Die Kerze brennt herab. Vor Tag schon will
Johann zum Lager hin, gen Osten eilen,
Zum Grafen und zu Euch. In Heimlichkeit
Steck ich am Parktor diesen Brief ihm zu,
Und lass ihn ziehen, neid- und schmerzerfüllt,
Weil mir Gefahr und Weg und Ziel

verschlossen. —
Schlaftrunken aus dem Nebenzimmer ruft
Des Gatten Stimme, daß mein Licht ihn störe,
Getreues Lichtlein, eine Stunde lang
Hat es mir gern gewährt Euch nah zu sein.
Lebt wohl,

lebt, lebt, Geliebter, und gedenket!

Smolle

irrtterr

Von Wilhelm Brönner

Die Sonne schien auf die Halde. Die strauch-
artigen Kiefern standen zerstreut bergan. Weitab
dort, wo sich Himmel und Erde berührten, erhob
sich winzig-klein ein Häuschen. Sonst erinnerte
nichts an Menschen.

Einsam auf der Halde stand ein wilder Rosen-
strauch. Sein Gertenbündel strebte erst schlank
in die Bläue und fiel dann in vielen weiten
Bogen auseinander. Wie eine Rakete, von
scharfen Stacheln beschützt, leuchteten tausend
rote Beeren in hellem Glanze.

Sie und ich, wir plünderten den Strauch.
Auf der einen Seite sie, auf der andern Seite ich.

Wir sprachen kein Wort. Durch die wehen-
den Gräser zog ein monotones leises Singen
und die Sonne lief still ihre Bahn. Bläue rings-
um, von keinen: Flecken getrübt.

Es war am Morgen, als wir zu pflücken
anfingen. In unseren braunen Töpfchen war
der Spiegel der roten Ernte höher gestiegen. Wie-
viel Uhr es jetzt sein mochte? Wir wußten es
nicht. Wir fragten auch keines das andere. In
dieser weiten Stille durfte man nicht fragen. Die
Sonne ging lautlos, die Sternchen und Bläschen
im unendlichen Blau tanzten und zitterten laut-

los. Der Rosenbusch hatte lautlos
seine Zweige getrieben, seine freund-
lichen Blüten lautlos entfaltet und laut-
los die korallenroten Beeren gereist
Die Ästchen und Blätter, die Stengel
und die Dornen zeichneten sich stahl-
hart von der Bläue ab.

Aber das gab keinen Anhalt. So
war es den ganzen Tag hindurch ge-
wesen. Schon am Morgen, als uns
noch fror trotz des Goldes, das in
feinen langen Strahlen durch die Bläue
schnitt. Zuerst stand die Sonne ein
wenig rechts von einem Kiefernbusch
bergan auf der Halde. Dann war es
wärmer geworden.

Wie in geheizten Winterstübchen.
Man suchte die Sonne und fand sie
über sich. Gar nicht hoch und man konnte ihr
ins Auge sehen.

Wir ließen uns nieder und aßen unser Brot.
Dann pflückten wir weiter. Dann wurde es
wieder kühl. Die Sonne stand fernab von uns
nicht hoch über dem Rand der Erde, eine lange
Spanne weg vom Kiefernbusch.

Die war sie gewandert. Ruhig und stetig.

An unserer Hecke leuchteten nur noch wenige
Beeren. Ganz oben und ganz dicht drinnen.
Vielleicht zehn, vielleicht vierzehn. Die ließen
wir hängen. Der Tag war zu Ende. Sascha
stand und sah der Sonne nach. Die Gräser
sangen lauter und wehmütiger. Die Brust hob
sich uns zu Seufzern und wir schwiegen weiter.

Dann nahmen wir die Krüge auf, faßten
uns bei der Hand und schritten dem entfernten
Hause zu.

Der Strahlenkreis um die Sonne zerschmolz,
eine rote Scheibe glitt im grauen Dunst unter
den Horizont. Dann war die Bläue wieder so
rein und so eisig wie am Tage. Die Sterne
blitzten und zuckten. Wir schritten tapfer zu.
Bisweilen drückte ich Saschas Hand und zog
sie zu mir herüber. Dann küßten wir uns im
Weiterschreiten und sahen hoch vor uns hinauf
in die Sterne. Zu Hause war niemand. Wir
stellten die Krüge weg und blickten durch die
Scheiben in die Gestirne.

Die Sterne flinunerten und blitzten und wun-
derten langsam vom linken Rand über das Fenster-
kreuz zum rechten und verschwanden.

Sascha sagte immer noch nichts. Was hätte
er mir sagen können, das ich nicht wußte! Wir
sagten uns ja alles, indem wir schwiegen und
ernst waren, indem wir uns bisweilen wortlos
küßten und die Brust in tiefen Atemzügen der
Last der riesigen Ruhe entgegenstenunten.

Wir hatten einen Tag lang das Leben der
ewigen Gestirne gelebt.

Still, schwer und heiter, so sind sie gewandert
seit Jahrtausenden und Iahrmillionen, von keinem
Leid gerührt, durch keine Freude verwirrt. Nichts
wirft sie aus ihrer Bahn, unbeirrbar in ihrer
Pflicht gehen sie ihren Gang. Ewigkeiten über
Ewigkeiten hindurch, in unerschütterlichem Gleich-
maß. Kein Laut der Klage, kein Jauchzer der
Lust, keine Kunde von Angst und Sorge dringt
in ihre Höhe. Ein Menschenherz trägt nicht die
Wucht solcher Erhabenheit.

Hagebuttenstrauch unter den finstern Kiefern,
wird dir nicht weh, wenn du deine Knospen und
die zarten, wangenroten Blüten treibst? Hast
du keine Gespielen? Nur die düsteren Kiefern,
und die ernstschweren Gestirne?

Halt, ich vergesse ja die Falter, die um deine
Zweige gaukeln, die deinen Blüten Küsse und
ihren Kelchen die süße Wonne bringen, daraus
die roten Hagebutten werden.
Register
Ferdinand Staeger: Toni
Wilhelm Brönner: Hagebutten
Smolle: 1807
 
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