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Mittagsgespenst

3n ferne Lüfte ragt aus Glanz und Schatten
Der Alpenströme hohes Vaterhaus.

Der Schnitter schläft an seeumspülten

Matten,

Die blanke Sense rastet mit ihm aus.

Ermüdet von der schwülen Sonnenstunde
Lullt auch der See sich still in Träume ein.
Da taucht es sehnlich aus durchklärtem

Grunde,

Flutgrüner Augen goldner Widerschein.

Ein seliger Atemzug schwellt schöne Brüste,
Verlangend dehnt es sich ans Wiesenland;
Und alles Schweigen ist voll heißer Lüste —
Schon drängt es an des Schläfers

braune Hand,

Schon schmeicheln ihm die hingegebnen

Glieder

Und sein geschlossnes Auge bebt vonGlück —
Da hallt ein Glockenlaut vom Dorfe wider
Und seufzend sinkt es in den See zurück.

Franz Langheinrich

Besuch

Ich wollte die lieben alten
Bekannten wieder sehn,

Zwiesprach mit ihnen zu halten —
Zum Friedhof mußt ich gehn.

Da waren die guten Jungen
Alle beisammen schier,

Nur daß sie statt in Zungen,

Sn Steinen sprachen zu mir.

Doch jeden fand ich wieder
Just wie er im Leben war,

Einfach und derb und bieder
Und protzig und sonderbar.

Der eine hatte noch gerne
Altväterischen Geschmack,

Der andere das Moderne

Und läppischen Schnick und Schnack;

Der trug einen grauen schlichten
Billigen Sandsteinrock,

Und jener ließ sich errichten
Den teuersten Marmorblock.

Ein Veteran im Moder
Trug, was er im Leben bereits
Getragen, nun auch als Toter,

Sein eisernes Kreuz.

Den Schlosser, den alten groben,

Hab ich sogleich erkannt
An den klotzigen Gitterkloben
Von seiner eigenen Hand.

Im Doppelgrabe sich dehnte
Der dicke Wirt bequem,

Als ob er so feist noch lehnte
Int Stuhle wie ehedem.

So haben sie mir mit breiten
Schwäbischen Lippen lang
Erzählt von den fernen Zeiten
Bis zum Sonnenuntergang —

Dann sind wir still geschieden
Und mir war bei jedem Schritt,

Als trüg ich den ganzen Frieden
Der alten Heimat mit.

A. De Nora

W. Eidukewitsch

ftsnjiskss erstes Erlebnis

Von Friedrich Huch f

Es war an einem schönen Spätnach-
mittag im Mai. Der Himmel leuchtete
farbig nach einem schnell vergangenen
Regen, und die frühere königliche Residenz-
stadt, sonst so nüchtern, sah aus, als könne
sich alles mögliche Schöne und Unerwartete
in ihr begeben.

Franziska schritt langsam die Haupt-
straße entlang. Als sie an dem großen
Kupferengel vorbeikam, der da jahraus,
jahrein mit seiner Sammelbüchse an der
Ecke stand, tat sie ein Zehnpfennigstück
hinein und ließ rasch und verstohlen ihre
Hand über seilte Wangenfläche gehn. ,Ob
das wohl ein Mädchen war oder ein Jüng-
ling?' — Dann sah sie wieder erwartungs-
voll die Straße hinauf: ,Würde sie auch
heute wieder dem Herrn im grauen Sack-
paletot begegnen, der ihm fast bis auf die
Füße ging?‘ Als sie ihn neulich zum ersten
Male sah, lachte sie, unbekümmert, sorg-
los, bekam aber einen seelenvollen Blick
aus schönen, tiefen Augen, ganz uner-
wartet großen, herrlichen Augen, und dieser
Blick, der sich bei späteren Begegnungen
wiederholte, war tief in ihr Herz gegangen.
Wo, wann in ihrem Leben hatte nur dieser
selbe Blick schon einmal in ihren Augen
geruht?! — Plötzlich blieb sie stehen, sah
verwirrt grade aus und drehte um.

„Verzeihn Sie, mein Fräulein," sagte
da eine wunderbar klangvolle Stimme
neben ihr, „verzeihn Sie, daß ich die
Kühnheit habe Sie anzureden. Halten Sie
mich nicht für einen banalen Abenteurer;
ich suche, ich erwarte nichts von Ihnen —
dazu stehn Sie mir zu hoch, und dazu
stehe ich mir selbst zu hoch; weshalb ich es
dann wage, Sie trotzdem anzusprechen?
Es klingt vielleicht etwas pathetisch: Sie
sind der erste Mensch, der mir in dieser
schlimmen Stadt begegnet, in die ich leider
Gottes verschlagen bin, — der erste
Mensch, auf dessen Gesichte etwas anderes
steht als das, was dieser ewig graue
Himmel, die trostlosen Gebäude und das
ganze eintönige spießbürgerliche Leben den
Zügen seiner Bewohner hier aufgedrückt
hat. Sowie meine Zeit hier abläuft,
kehre ich dieser götterverlassenen Stadt den
Rücken!" Franziska sah ihn fragend an.
„Kennen Sie mich nicht?" Er blieb für
einen Moment halb stehen, und seine leuch-
tenden Augen waren von einer Kraft, daß
sie verlegen lachte, — worüber sie sich gleich
darauf ärgerte. Für was für ein dununes
Mädchen mußteer sie halten! Er lächelte:
„Lassen Sie das Nachdenken. Aber:
Scherzes halber will ich Ihnen meinen
Vornamen sagen, — so wie Kinder tun:
Cosimo, so taufte mich meine Mutter."
Franziska fand, sie müsse nun auch etwas
sagen; und so fragte sie: „Der Name
kommt doch, glaube ich, in der Kunstge-
schichte vor?!" Er lächelte: „In der Ge-
schichte der Kunst ist dieser Stern, so Gott
will, erst int Aufgehen begriffen. Aber nun,
verehrtes Fräulein, sagen Sie mir auch
Ihren eigenen Vornamen; wenn ich Sie
nicht Wiedersehen sollte, so möchte ich doch
eilt kleines Schmuckstück, das zu Ihnen
gehört, in meinem Herzen zurückbehalten."
Sie zögerte, aber er drängte so liebens-
würdig, herzlich, bittend, kindlich, daß sie
ihn endlich nannte. — „Franziska!" sagte
er nachdenklich, „das ist ein lieber, ein
aparter Nante. Aber sagen Sie: Kennen
Sie ntich w i r k l i ch nicht? Haben Sie hier
niemals den ,Tristan^ gehört?" — Fran-
ziska wurde dunkelrot. llnb jetzt war
ihr, als habe sie es schon lange gewußt:
Er war es, er selber! Tristan, dessen

Isartal
Register
Franz Langheinrich: Mittagsgespenst
Wladislaus Eidukewitsch: Isartal
A. De Nora: Besuch
Friedrich Huch: Franziskas erstes Erlebnis
 
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