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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 18.1913, Band 2 (Nr. 28-53)

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https://doi.org/10.11588/diglit.4210#0264
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Die große Bohne

Heut töne von Apollens Trone
Mein Lied in heitrem Sommer-Moll,

Mein Liedchen gilt der großen Bohne,

Die duftig, zart und wundervoll!

Die Sänger, die das Lied bemeiftern
Im weiten Land der Poesie,

Sah ich für Vieles sich begeistern,

Doch für die große Bohne nie.

Man singt von Mädchen, Schmetterlingen,
Meerrauschen, Waldluft, Mondenschein,

Und man vergaß bei all dem Singen
Die große Bohne ganz allein!

Saubohne nennt man sie, mißachtend,

Im Geist Lukullens klag ich laut,

Und meine Lippen werden schmachtend,
Naht sie mit Speck und Bohnenkraut.

Nur ist sie nicht ganz unbedenklich,

Ost macht sie ihren Sänger stumm . . .
Doch was an dieser Liebe kränklich,

Heilt — Natron bicarbonicum!

Hermann Jaques

Die öeblenöeten

Von Arkadij Awcrtschenko

Viele behaupten, daß in früheren Zeiten die
Sitten gröber, rauher, daß Grausamkeit eine der
Haupteigenschaften unserer Vorfahren gewesen.
Man weist, als auf eine Illustration dazu, auf
die Tatsache im Leben Wassilis des Dunklen hin:
Fürst Wassili wurde von seinen lieblosen Brüdern
gefangen genommen, die ihm darauf die Augen
ausbrannten. Später wurde der geblendete Fürst
unter dem Namen Wassili der Dunkle berühmt
und die Geschichte brandmarkte die Tat seiner
Brüder, indem sie sie als barbarisch, grausam,
entmenscht bezeichnete. . .

Man mag zugeben, daß das damals grau-
same, barbarische Zeiten waren, allein sich dar-
über zu freuen, daß diese Zeiten bereits der Ver-
gangenheit angehören, ist verfrüht und leichtsinnig.

Vielen ist unbekannt, daß heutzutage in un-
serem kulturellen gutherzigen Zeitalter die grau-
samen Brüder, die den Fürsten Wassili blen-
deten, ein ganzes Heer von Nachfolgern gefunden
haben, und unter dein Siegel des Geheimnisses
vollführen diese Wilden grob und straflos ihre
fürchterlicheil, das Blut gerinnen machenden Ope-
rationen. Das Schlimmste daran ist, daß sie, statt
starke, geduldige Männer zu wähleil, sich ihre
Opfer vornehmlich unter zarten, sanftmütigen
Mädchen suchen und ohne Erbarmen und Mit-
leiden ganze Legioilen voll solchen blenden, die

dann die Welt durchirren, ein Bild des Jammere-
nichts sehend und nicht wissend, wohin sie
wenden, was sie beginllen sollen.

Diese Geblendeten durchziehen die Welt und
rächen den Raub ihres Augenlichtes an anderen
indem sie jeden Menschen, dessen sie habhaft
werden können, ebenso roh, ebenso grausam
blenden . . .

Ein schreckliches Zeitalter.

* * *

Bei den Eltern eines jungen Mädchens hatte
sich einmal eine Gästeschar zusammengefunden —
eine durchweg äußerlich kultivierte und distin-
guierte Gesellschaft, die jedoch unter dieser glän-
zenden Außenseite Instinkte zügellosester Grau-
samkeit verbarg ....

Sie saßen da und unterhielten sich friedlich
leise, als wären sie alle eingefleischte Intelligente

Mitten in der Unterhaltung erhebt sich plötz-
lich die Frau des Hauses, wendet sich lächelnd
an unser junges Mädchen, ihre heiß geliebte
Tochter:

„Mein liebes Kind, vielleicht singst Du uns
etwas vor?"

„Schön, Mama."

Sie steht auf, stiehlt sich an das Pianino,
nimmt ein Blatt Papier von der Etagere und
fängt an zu schreien. Alle wissen, daß das
Pianino ganz ruhig dagestanden hat, ohne je-
mand zu behelligen, es ist auch jetzt durchaus
unschuldig und deshalb liegt nicht der geringste
Grund vor es anzuschreien und mit Fäusten ihm
die Zähne einzuschlagen . v Ja, sogar zugegeben,
daß dieses Instrument ein Angeklagter ist und
das Fräulein ihm vom Blatte in ihrer Hand
die Anklage vorliest, so dürfte selbst in diesem
Falle der Staatsanwalt nicht aus voller Kehle
schreien und mit Fäusten über den Verbrecher
herfallen.

Das geprügelte, bespieene, erniedrigte Instru-
ment schluchzt laut und kläglich, das wild gewor-
dene junge Mädchen fährt fort es anzuschreien,
die Gäste sitzen regungslos da und niemandem fällt
es ein, sich in diese Geschichte einzumischen.

Endlich ist der Iustizfehler begangen, das
Instrument ist verurteilt und das Fräulein hat
sich beruhigt, es schweigt, als schäme es sich
seiner Heftigkeit und knüllt mit den Händen die
Anklageakte . . .

Die Gäste Hütten jetzt aus Taktgefühl lieber
schweigen sollen, sie springen aber auf, umringen
unser Fräulein und fangen an phlegmatisch zu
knurren:

„Allerliebst, wunderbar schön! Sie haben
ganz ohne Zweifel Talent. Sie nüissen zur Bühne."

In ihren Händen blitzen unsichtbare Messer,
mit diesen Messern zücken sie nach des Fräuleins
hübschen Augen und die Schauertat ist vollbracht:
das Mädchen hat das Licht ihrer Augen verloren.
Die Wilden im Smoking haben sie geblendet!

Die Mutter schlägt die Hände zusammen:

„Sie glauben also, daß sie Talent hat?"

„Aber natürlich!"

„Und sie muß, Ihrer Meinung nach, zur
Bühne?"

„Selbstredend. Sie ist die geborene dramatische
Sängerin."

Und das geblendete Fräulein sitzt im Sessel
und lächelt träumerisch vor sich hin.

„Mama, hörst Du? Ich werde Künstlerin
werden..."

„Ja, inein Töchterchen."

„In diesem Falle werde ich ganz ernst zu
studieren anfangen. Hörst Du, Mama?" , u

„Ja, mein Liebling, ich bin stolz auf Dich.

„Ich bin so glücklich, Mama."

Und sie lächelt sanftmütig.

Oh, als inan Wassili den Dunklen bleickete,
da hat er gewiß gebrüllt wie ein Stier. Man
sagt nicht umsonst, daß die Frau Schmerz ge-
duldiger zu tragen weiß, als der Mann.

Tags darauf legt sich unser geblendetes Fräulein
ihre besten Kleider an und begibt sich zum Gesangs-
professor.
Register
Wilhelm Busch: Die Sau
Hermann Jaques: Die große Bohne
Arkadij Timofejewitsch Awertschenko: Die Geblendeten
 
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