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In der Dämmerung

Das letzte Licht fiel in mein stilles Zimmer,

Die alten braunen Möbel glanzten tief. —

Da war's wie eines Kleidchens Heller

Schimmer,

Und eine Stimme, die mich schmeichelnd rief.

Mit feinen Schritten kam es hergegangen;

Und als es klaren Auges nahe war,

Hielt es mit beiden Händen mich umfangen
Und bot mir seine frischen Lippen dar.

Und trug das blonde Haar wie Gottes Engel;

Um seine Hüften flog ein leichtes Band,

Fein wie der Duft vom Hyazinthenstengel,

Der blauer Sterne voll am Fenster stand.

Und kniete an den schweren Kästen nieder,

Sie sprangen wie von selber vor ihm auf;

Und längstvergessne Märchen tauchten wieder
Aus ihrem Grunde wundersam herauf,

Gestorbne Blumen hauchten neue Dufte,
Verblichne Perlen strahlten srischbetaut,
Verschollne Namen jauchzten durch die Lüfte
Wie Schwalben, die ins alte Nest gebaut.

Und alles nnr ein Morgen-Goldgefunkel,

Das mich bedrängt voll inniger Gewalt-

Da werd ich wach im hergeschlichnen Dunkel,
Nacht, bittre Nacht, brauchst du mich denn

so bald?!
sran; Langkeinricb

Skizzenblatt

Das friedlich-freundliche Licht der Gartenlaterne
Lächelt auf Kastanienblätter nieder.

Hin und wieder

Kommt ein rascher, plötzlicher Bote der Sterne.

All dem einzig-besetzten Wirtshaustische
Spielen in Hemdärmeln Jünglinge Skat.

Es ist schwül, und nur selten naht eine frische
Brise wie eine erlösende Tat.

Die Neste des Abendbrots hangen noch an

den billigen Gabeln.
Karten klatschen auf: gedämpft dllrch ein Tuch.
Sonst hört man nichts als die Vokabeln
Des Spiels. Manchmal auch einen

schimpfenden Fluch.

Da plötzlich erinnert einen ein „Grand ohne zwei"
An seinen verstorbenen Onkel. Grad ist er

am Geben.

Und er spricht melancholisch... an den

andern vorbei. . .

Mancherlei über den Tod und den Wandel

im Leben.

Vorderhand sagt: Quatsch! Denn seine Natur
Ist robuster, und dann... er sitzt stark im

Verlieren.

Stille. Der Kartengeber meint nur:

„Sie bleiben Schneider! Ich spiele -mit Vieren*."

Richard Rieß

Bernhard Jaeger (München)

Der tEottel

Von (Carl Zangerle (Meran)

Sein richtiger Name war eigentlich Thaddäus
Breindl, aber den hatte das ganze Dorf längst
vergessen. Man nannte ihn nie anders als den
Tottel, denn seine Dummheit war so grenzenlos
wie der Nordosten Albaniens im Frühjahr 1913.

Man sah ihn häufig beim Ochsenwirt unter
den Spezialisten sitzen und jedermann erblickte
hierin einen neuen Beweis für die Wahrheit des
alten Sprichwortes von der Anziehungskraft der
Gegensätze, denn die Spezialisten galten für die
weisesten Männer des Ortes.

Es waren breitschultrige, wuchtig einherschrei-
tende Männer, und wenn man sie grüßte, hoben
sie lässig einen Finger bis beinahe an den Hut-
rand und bliesen dazu herablassend durch die
Nase.

Abends kamen sie meist beim Ochsenwirt zu-
sanunen, um einander aufzuziehen. Da sie hiebei
nur Spezial tranken, ließ es sich die Ochsenwirtin
nicht nehmen, sie stets eigenhändig zu bedienen
und nannte sie ehrfurchtsvoll die Spezialisten. —

Die bäuerliche Tracht ihrer Väter hatten sie
längst abgelegt, denn das Dorf war schon kein
gewöhnliches Bauerndorf mehr. Es lag an der
Eisenbahn und hatte öffentliche Petroleumbeleuch-
tung, ein meeraltes Straßenkehrerweibele und
einen Polizisten mit fabelhaft langen Beinen auf-
zuweisen. Zwar blakten die Petroleumfunzeln
meist erheblich und das Kehrweibele fegte den
Straßenmist unermüdlich von einer Seite auf die
andere. Aber der Polizist! Der war doch wenig-
stens sein Geld wert: wenn ihm die Kinder nach-
riefen: „Poliquetsch! Poliquetsch!" dann lief er
ihnen stundenlang nach, um sie von hinten zu um-
zingeln. Wenn aber die Spezialisten noch um
drei Uhr früh beim Ochsen einen Höllenlärm ver-
brachten, dann erschien er pflichteifrigst und bis
an die Zähne bewaffnet, drückte ein Auge zu
und heftete das andere bescheiden auf die große
Spezialflasche.

Aber auch der Tottel war gewissermaßen als
kommunale Einrichtung zu betrachten, denn seine
Dummheit war Gemeingut. Es stand jedermann
frei, dieselbe als Vergrößerungsglas für feine
eigene Weisheit zu benützen, und namentlich die
jüngeren Spezialisten pflegten hievon häufig Ge-
brauch zu machen.

So nahm sich denn auch der Stacher Sepp,
als er zum ersten Male im Ochsen erschien, den
Tottel gleich mit. Und der Stacher Sepp hätte
es eigentlich gar nicht nötig gehabt, denn seine
Intelligenz stand außer Zweifel. War er doch

schlau genug gewesen, einen reichen Vetter
in Amerika zu besitzen, dem nun ein ein-
sichtsvoller Nigger den Schädel eingeschlagen
hatte. Natürlich ward der Nigger — der
dumme Teufel — vorschriftsmäßig gelyncht,
wie es sich gehörte. Der Stacher Sepp aber
— der verfluchte Kerl — erbte all die harten
Dollars, die der Vetter zusammengescharrt
hatte, und da saß er nun, so breit er war,
unter den Spezialisten...

„Schaut's ihn lei einmal an, wie er gut
ausschaut," begann der Stacher Sepp und
deutete mit dem Kinn nach dem halbverhunger-
ten Tottel. „Bist amend gar Summerfrisch
g'wes'n, Tottel?" ' ^

„Oh mei," grinste der Trottel, „ih huck
alleweil lei daheim."

„Za, von was bist nachher so zaundurr
word'n?"

„Oh mei . . . die Erdäpfel sein mir halt
ausgangen."

„Bist woll ein Tottel, Du... . Sperr
Du Deine Erdäpfel besser ein und geh selber
aus. . . Weißt was: geh halt außi auf mein
Acker und grab Dir ihre außer! Ein Sack!
voll bringst schon noch z'samm'."

Der Tottel erhob sich eilfertig und ging.
Der Stacher Sepp aber schmetterte ein so
fettes Lachen, daß der magenkranke Pfundmuch
daneben ein Stück Brot dazu essen mußte: Der
Sepp wußte es nämlich genau, daß die Erdäpfel
auf seinem Acker heute gründlich geheimst worden
waren. Daß jedoch der Knecht einen Sack voll
davon auf dem Acker stehen ließ, wußte er aller-
dings nicht. Der Tottel aber wurde dies als-
bald gewahr und nach einer Stunde stand er
daheim vor einem brodelnden Kessele und sagte
zu den großen Stacher-Erdäpfeln:

„Oh tuet ...ohne Salz werd ih enk halt
völlig nit fressen können."

Nach einer Weile tauchte er wieder im Ochsen auf.

„Hast ein Sackl voll z'samm'bracht?' lauerte
der Sepp.

„Oja, leicht . . . Wenn mir lei nit die Ratzen
drüberkemmen."

„Was, Ratzen hast auch? Pluiwasch, der-
wisch sie halt!"

„Hehehe," lachte der Tottel, „derwischen! Das
gibt der Herr Stacher gut."

„Laggl, da ist nix zu lachen!" tat der Sepp
ernsthaft, stieß dem Pfundmuch den Ellbogen in
den Magen und trat dem Protzhans auf die
Zehen. „Brauchst ihnen lei Salz auf'n Schweif
zu sahnen: nachher können sie nimmer weiter."

„Salz auf'n Schweif?" schnappte der Tottel
und sah bodenlos blöd drein.

„Freilich! . . Geh, Kellerin, gib ihm ein Salz,
nachher soll er's glei probier'n."

Unter den: dröhnenden Gelächter der Spezi-
alisten, die samt und sonders erstickt wären, wenn
sie noch länger hätten ernsthaft bleiben müssen,
rannte der Tottel mit einer Untertasse voll Salz
spornstreichs um die nächste Ecke. Von da ab
jedoch ging er gemächlich nachhause und sagte
dort zu den großen Stacherer-Erdäpfeln:

„Sodele! Mit Salz ess' ih enk schon lieber..."

* * *

Ein andermal wieder war der Tottel so dumm,
zu glauben, er vermöge fünfzig Knödel auf ein-
mal zu essen. Der Protzhans aber — ein höllisch
pfiffiger Bursche — nahm ihn auf der Stelle beim
Wort, bestellte die Knödel und das ganze Dorf
versanunelte sich, um den Tottel platzen zu sehen.

Dieser aber sah schon nach dem sechsten Knödel
starr vor sich hin, griff sich dann plötzlich an den
Leib und behauptete, es müsse ihn: da etwas ge-
sprungen sein, worauf ihn stracks vier starke
Männer nachhause trugen. Dort dankte ihnen
der Tottel zuvörderst in bewegten Worten für
ihre Mühe, zog dann gelaffen seine einzige Hose
aus, besichtigte dieselbe aufmerksam und seufzte:

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Register
Richard Rieß: Skizzenblat
Franz Langheinrich: In der Dämmerung
Bernhard Jaeger: Vignette
Carl Zangerle: Der Trottel
 
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