Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 18.1913, Band 2 (Nr. 28-53)

DOI Heft:
Nr. 39
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4210#0320
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Sie sahen sich jedoch bald schnöde enttäuscht,
denn der neue Polizist notierte sich jeden, der
nach Eins noch im Ochsen lärmte, unerbittlich für
eine empfindliche Ordnungsstrafe. Für die zarten
Späße hingegen, die die Spezialisten mit ihm zu
treiben gedachten, zeigte er leider nid)! das ge-
ringste Verständnis. Wahrscheinlich war er dafür
viel zu dunun.

Aber auch die Dorfkinder waren enttäuscht :
Wenn sie dem neuen Polizisten nachriefen: Poli-
quetsch! Poliquetsch! dann tat der jedesmal so,
als könne er unmöglich damit gemeint sein, und
kümmerte sid) so wenig darum, daß ihn die
Rangen bald einstimmig für eine fade Nocken
erklärten und ihn mit schweigender Verachtung
straften.

Die sd)werste Enttäuschung aber erfuhr der
Gemeindeschreiber, den der neue Polizist nach
Ablauf seines Probejahres höflich fragte, wo es
denn eigentlich geschrieben stehe, daß er ihm das
Holz hacken müsse.

Also eine solch alberne Frage war dem Ge-
meindeschreiber denn dod) Zeit seines Lebens
nicht vorgekommen!

So wurde man denn in nicht allzu langer
Zeit mit lebhafter Betrübnis allgemein gewahr,
daß es im Orte wohl einen Polizisten Breindl
gab, mit dem übrigens nicht gut Kirschen essen
war, — aber keinen Tottel mehr.

lKeten

Ich ging zur Kirche, die in Pegli steht.
Der Pfarrer sprach gerade vom Gebet.
„Geliebte," rief er, „ich kann's

Euch beschwören,
Der Herr wird Eure Bitten gern erhören;
Nur müßt Ihr beten, wie es auf dem Pfad
Des letzten Leidens unser Heiland tat,

Und: nicht, wie ich will, nur, wie

Du willst sprechen.
Versäumt es nicht, sonst könnte das sid) rächen!
Es waren mal zwei Mütter. Zeder ward
Das Kindlein, das sie sehnlich siä) erharrt,
Zum Tode krank. Da rangen sie die Hände,
Und beiden lieh der Herr sein Ohr am Ende
Und machte zu derselben Glockenstund,

Wie er's nur kann, die Kinderlein gesund.
Nur weil die eine hat das Wort vergessen:
Doch nur, wie Du willst,

war das Kind besessen
Sein Leben lang von einem

blöden Geist.

Dies ist also gesd)ehen und beweist,

Daß jedes andre Beten nur ist

sündlich" . . .

O Gott, mein Gott, wie bist Du
dod) empfindlich!

Hd. 6y

3n Duodez-Format

Auch die geistigen Eunuchen er-
kennt man an ihren „hohen Tönen".

*

Sie ist heiteren Gemütes, denn sie
hat schöne Zähne und zeigt sie gern..

*

Mahomet war ein so großer Ver-
ehrer des Weins, daß er ihn sogar
noch durch ein Verbot würzen
wollte.

Rurt Bauchwitz

Die Geschichte der kleinen Blanche
mir den großen Händen

Von Reinhard Roester

„Was für große Hände die Kleine hat!"
sagten die Freunde und Verwandten, als man
ihnen das Kind zeigte. Aber es lag nichts
Tadelndes in diesen Worten — man hob dies
lediglich als eine erstaunliche Eigenart hervor,
wie man etwa von einem gesunden Kinde sagt:
„Wie dick es ist!" ohne damit eine Unförmlichkeit
andeuten zu wollen. Dann kam eine lange Zeit,
in der davon nie mehr die Rede war, denn die
Kinder armer Leute werden nicht mehr sonder-
lid) beachtet, sobald sie aus den Windeln heraus
sind und keiner ständigen Pflege mehr bedürfen.
Erst als die kleine Bland)e ungefähr zwölf Fahre
alt geworden war, wurde man wieder darauf
aufmerksam und nun sagte man: „Das Müddien
hat dod) viel zu große Hände."

Bald merkten es and) die Kinder, mit denen
sie spielte; sie neckten sie wohl, aber zugleich
staunten sie darüber und bewunderten sie gar,
denn immerhin war es etwas, was die anderen
nicht hatten. Ihren Eltern fiel es erst auf, als
die Kleine eines Tages weinend zu ihnen lief
und klagte, daß ein Zunge gesagt habe: „Pfui,
was für garstige Hände hast Du!" Und die
Mutter betrad)tete sie erschreckt und meinte dann
besorgt, zu ihrem Mann gewendet: „In der Tat,
das Kind hat häßlid) große Hände!"

Von der Zeit ab fühlte sid) die kleine Blanche
wie gebrandmarkt. Sie konnte ihre Hände nicht
ohne Sd)merz sehen, sie haßte sie und suchte sie
zu verbergen. Dadurch verlor sie alle natürlid)e
Sicherheit ihrer Bewegungen; ihr Fehler trat
desto sid)tbarer hervor, je mehr sie ihn verbergen
wollte. Es kam ihr vor, als betrachte jeder nur
ihre Hände, jedes Wort erschien ihr wie eine
Anspielung darauf, jedes Lachen traf sie wie
Spott. Sie wurde scheu und galt als ein un-
verträgliches, zänkisches Kind. Dabei hatte sie
ein feingeschnittenes Gesid)t und eine schlanke,
fast zerbrechlich zierlid)e Gestalt. Sie war wohl
die hübsd)este unter den Mädchen der umliegenden
Häuser, wußte es aber nid)t zur Geltung zu
bringen: ihre Hände hinderten sie.

Und als sie in das Alter kam, wo die Mäd-
d)en anfangen, sich gegenseitig mit abschätzenden
und eifersüchtigen Blicken zu betrachten, fühlte sie
sid) stets als die häßlichste. Es war ihr unbe-
greiflich, daß die etwas ältere hübsche Eliane, die

eigentlich gar nicht hübsd) war, aber kleine Hände
hatte, sid) mit ihr abgeben konnte und freund-
schaftlich mit ihr verkehrte — sie schien ihr wie
ein Abgott und ihre Liebe zu ihr hatte viel von
der Anhänglichkeit eines Hundes an seinen Herrn.

„Wenn id) nur so schön wäre wie Eliane,"
dadfie sie immer voll schmerzlicher Sehnsucht und
unverhehltem Neid.

Als Eliane fünfzehn Jahre alt war, hatte sie
einen Liebhaber, einen Friseurgehilfen, der einen
sd)önen schwarzen Filzhut auf den herrlid) ge-
ölten und gescheitelten Haaren trug, wenn er
Sonntags mit ihr ausging und ihr den Arm bot
wie einer Dame. Anfangs durfte sie manchmal
mit ihnen gehen, bald aber zogen es die Beiden
vor, allein zu sein.

Eliane erzählte ihr triumphierend ihre Liebes-
abenteuer. Schon nach einigen Wochen sagte sie
leichthin:

„Ich werde mir bald einen Anderen nehmen;
meine Freundin hat Einen, der ihr einen großen
Hut mit einer Feder gekauft hat. Außerdem be-
nimmt er sid) manchmal furchtbar dumm."

Wie stolz das klang: id) werde mir einen
Anderen nehmen! dachte Blanche. Sie mußte
wohl froh sein, wenn Einer sie nehmen mochte.
Und zwei Wochen später hatte Eliane auch einen
großen Hut mit einer Feder, bald darauf neue
Schuhe und einen Ring — und nad) einer Weile
sagte Bland)es Mutter vorwurfsvoll:

„Du solltest dir ein Beispiel an der Eliane
nehmen. Die geht mit feinen Herren, trägt schöne
Kleider und gibt ihrer Mutter schon manchmal
Geld für den Haushalt, während Du herumläufst
wie ein Aschenbrödel."

Blanche erwiderte kein Wort. Von dieser
Stunde haßte sie Eliane. Ihre sklavisdie Sehn-
fud)t nad) Glück verwandelte sich in verbitterten
Trotz, es ihrer Nebenbuhlerin gleich zu tun oder
sid) gar über sie zu erheben. Dem Beispiel an-
derer Mädchen folgend, bot sie sid) Malern als
Modell an. Die Sucht Geld zu verdienen, ver-
drängte leicht ihr inneres Sdiamgefühl. Sie hatte
oft gehört, daß man mit schönen Kleidern allerlei
körperlid)e Fehler verdecken könne — warum
nicht auch die großen häßlid)en Hände? Als sie
sid) zum erstenmal vor einem Maler entkleidete,
versteckte sie sie nad) Möglid)keit. Staunend er-
fuhr sie nun, daß sie einen wohlgebauten schönen
Körper besaß, wie man ihn selten fand. Einer
sagte sogar, daß die großen Hände ihm einen
besonderen Reiz gäben, als sie ängstlich wegen
dieses Fehlers fragte. Es war ein stiller ein-
facher Mensch, der sie sehr freundlich und mit
einer Achtung behandelte, die sie bei
anderen manchmal vermißt hatte. Viel-
leicht ahnte er nad) der Art ihrer Frage,
daß diese Hände ihr Qual verursachten,
vielleid)t sagte er es halb aus Mitleid.

Nad) vollendeter Arbeit lud er sie
ein, an seinem ziemlich spärlid)en Abend-
essen teilzunehmen und eine Tasse Tee
mit ihm zu trinken. Dies eine Wort
war für sie eine Erlösung; es dauerte
nid)t lange, daß sie ihre Scheu über-
wand und vor ihm als ihrem Retter
ihr kleines armes Leben ausbreitete.

Als sie nad) Hause ging, blieb sie vor
einem erleud)teten Schaufenster stehen,
um sid) im Spiegel zu betrachten. Ver-
wundert mußte sie ihm recht geben, daß
die großen weißen Hände sehr reizvoll
aussahen, wie sie sid) so von dem
schwarzen Kleid abhoben.

Dankbarkeit und Mitleid schufen
zwischen den Beiden ein Verhältnis,
das an Liebe streifte. Sie hätte ihm
sidierlid) alles gegeben, was sie zu geben
hatte — wenn er es gefordert hätte.
Aber er forderte nichts und blieb gleich-
mäßig freundlich 311 ihr. Ohne sich
darüber klar zu sein, empfand sie das
als Beleidigung; schon keimte ein plötz-
licher Hochmut in ihr auf, der die Dank-
barkeit erstickte.

„Er ist es dod) nid)t, der ntid) schön
gemacht hat," sagte sie sid). „Ich war

„Jetzt wenn er no net aufhört, dann fallen d' Blätter am
andern Rranz a no ab!"
Register
Kurt Bauchwitz: In Duodez-Format
Rudolf Hesse: Dacapo
Reinhard Koester: Die Geschichte der kleinen Blanche mit den großen Händen
Karl Julius Adolf Ey: Beten
 
Annotationen