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I

Geschützmeister Drouot alles vor sich nieder,
Tausende von Preußen und Russen lagen schon
in ihrem Blute. Zm äußersten Westen mühten
sich Merfeldts Österreicher umsonst, die morastige
Pleiße zu überschreiten, sie füllten mit ihren
Reichen nur den Schlamm der Ufer, das Mühlen-
wehr und die Flußinsel von Dölitz, den Damm
von Konnewitz.

Mißmutig sprang Napoleon auf, warf sich
in den Sattel, sprengte hinter der Schlachtlinie
zum Kolmberg und herrschte ein angelangtes
Regiment Macdonalds an: „Sind dies die Fran-
zosen, die nicht mehr verstehen zu siegen?" Wilder
Zuruf antwortete, mit klingendem Spiel ging
Division Charpentier zum Sturm vor, nahm die
Höhe mit der alten Schwedenschanze und sieben
österreichische Kanonen, verdrängte die Angreifer
aus dem Liebertwolkwitzer Holz, wo der greise
Divisionär Rochambeau, ein Graf von Uradel,
erst jetzt in Frankreichs Not dem Revolutions-
kaiser dienend, sich so lange tapfer wehrte. Zu-
gleich rauschten Sebastianis Geschwader heran,
die weißen österreichischen Reiter umrennend, nur
die blauen preußischen Kürassiere Wrangels setzten
zuletzt dem Siegesritt ein Ziel. Fluchtartig strömte
die große erste Heersäule der Verbündeten auf
Seyfertshain zurück, Mortier und Division Maifon
stürmten durchs Krähenwäldchen und Niederholz
in den Universitätswald hinein, wo die zweite
Heersäule, Gortschakows Preußen und Russen und
Pahlens gemischtes Reiterkorps, allmählich auf
Gossa wich. Hier erschien der kleine Mann im
grauen Uberrock inmitten der lustig vorwärts
dringenden Zungen Garden, die begeistert ihre
Tschakos auf Bajonetten tanzen ließen, um dem
Zmperator ein Vivat zu bringen. Dem baum-
langen Hünen Mortier und dem strammen Korps-
chef Lauriston, dessen energischen Lockenkopf einst,
als Botschafter in Petersburg, der volle Glanz
des Empire umstrahlte, bezeichnete er persönlich
die Richtung des Angriffs. Dann trabte er nach
dem Erlenholz hinter Wachau zurück, wo ein
komödiantisch ausstaffierter Zirkusreiter ihm ent-
gegenkam : der Makkaronikönig von Neapel, der
politische Seiltänzer Murat, der aber als Reiter-
könig nicht seines gleichen hatte.

Dichtaufgeritten glänzten die Kürassiere La-
tours in ihren Stahlharnischen und roßschweif-
umflatterten Griechenhelmen, in denen die Sonne
ein Spiegelfeuermeer entzündete. Dahinter grüne
Dragoner, daneben Lanciers mit rotweißen Fähn-
lein, weiße und blaue Husaren, grüne Zäger-zu-
Pferd, eine gewaltige klirrende, schnaubende Masse
von Roß und Mann. Zwei Uhr vorüber. Zer-
schmettert lag die dritte Heersäule zu Napoleons
Füßen, hingemäht in langen Reihen, vor den
Schutthaufen Wachaus zusammengedrängt. Dort
flog wie ein Todesengel ein hagerer hochauf-
geschossener Züngling umher, Veterane vieler
Schlachten, Prinz Eugen von Württemberg, ein
wahrer Ritter ohne Furcht und Tadel. Seine
Moskowiter verendeten mit stumpfer Gelassen-
heit für Gott und den Zaren, neben ihren Leichen-
knäueln und stummen Resten schallte immer noch
beherztes Hurra von Westpreußen und Schlesiern,
die hier Mann für Mann sich opferten. Beim
7. Landwehrregiment lagen der Oberst, alle Offi-
ziere, neun Zehntel der Mannschaft hingestreckt
in ihren schlichten Litewkakitteln und Mützen mit
dem Kreuze. Die Geschütze schwiegen, fast alle,
zermalmt von Drouots Eisenorkan.

Westlich davon floß ein Flammenstrom nach
Markkleeberg hin, wo in Kleewiesen, Baumalleen,
Hohlwegen die Preußen Prinz Augusts verbluteten.
Die russischen Kürassierpallasche, Husarensäbel,
Kosakenlanzen zerschlug jetzt das Schwert frischer
Reisiger, nachdem die hellblauen polnischen Ulanen
und Zäger lange unentschieden gerauft.

Achthundert Ausgewählte der Alten Garde,
Grenadiere-zu-Pferd voraus, rote bergische Lan-
ciers, weiße sächsische Zastrowkürassiere brachen
allerorts ein, bis zum Pleißeufer auf Kröbern
verfolgend. Nur am Kirchhof hielt sich noch ein
Häuflein preußischer Füsiliere, als plötzlich um

3 Uhr eine neue Wetterwand stahlblitzender Ge-
schwader am Horizont heraufstieg; die öster-
reichische Kürassierdivision Nostitz. Schwarzgelbe
Standarten flattern, Schwerthiebe sausen, die
napoleonische Reiterei wendet fliehend ihre Gäule,
bis nach Wachau stürmen die jechs Kürassier-
regimenter, auf Oudinots Zunge Garden ein-
hauend. Doch wie ein dunkles Tannenwäldchen
wächst es aus dem Boden: Bärenmützen Alter
Garde der Division Cunal, Füsiliere, Veliten von
Florenz und Turin, Polen, Sachsen, Westfalen.
Zhre Salven leeren viele Sättel, von links fun-
keln die Lanzen der Division Berkheim, die vom
Reiterkorps Latour hierher abgezweigt, aufs
neue rafft der kühne Gardedragonerchef Letort
feine Schwadronen zusammen, die Polen tummeln
sich heftig, mit schwerstem Verlust werden die
Österreicher geworfen!

Es geht auf 4 Uhr, als neues wildes Ringen
um Kleeberg beginnt, wo die Ungarn Bianchis
die todmatten Preußen ablösten. Und inzwischen
raste noch wilderer Reiterkampf bei Gossa, auf
das Murat losstürmte. Prinz Eugens Trümmer
werden beiseite gefegt, russische Kürassiere und
Gardereiter zersprengt, bis zum Wachthügel, wo
die Monarchen das Schlachtfeld beobachten, schallt
der Siegesruf der Eisenreiter.

Doch furchtbare Kartätschlagen und Gewehr-
salven des russischen Grenadierkorps und der
Zarengarden schlagen in ihre Glieder, sie müssen
zurück. Karetows Kürassiere suchen zu verfolgen,
doch Drouot allein schlägt sie mit einem Geschütz-
Viereck ab, fährt dann nahe an die feindlichen
Grenadiere und mäht sie reihenweise nieder. Nun
kam auch das französische Fußvolk Heran, Maison
ruft den Seinen zu: „Heut Abend müssen wir
alle Sieger oder Tote sein," er und Rochambeau
erstürmen Gossa, Mortier jagt Gortschakow aus
der Waldung bis Thräna, wo man blutige Tränen
weint, Pahlen läßt seine zertrümmerten Geschütze
am Grünen Teiche stecken.

Zn^wischen berennt Macdonald Seyfertshain,
Sebastian! schlägt sich mit verbündeten Reitereien
erfolgreich herum, abends weicht auch Klenau weit
rückwärts. Doch Macdonald hat nur die Hälfte
seines Korps bei sich, die andere langt an, als
schon die Nacht hereinbricht, entscheidender Schlag
verbietet sich so. Bis 5 Uhr tobt noch tolles Ge-
fecht ums brennende Gossa, um 6 werden endlich
oie russischen Garden dort Meister, die Franzosen
weichen vor der Übermacht ins Universitätsholz,
wo bald die Wachtfeuer ihrer Vorposten lodern.
Schrecklich würgt man sich bis zur Dunkelheit
seitwärts bei Schäferei Auenhain, wo Victor fei-
nem Siegernamen Ehre machen will und Oudinot
nachbohrt. Weiße österreichische und grüne rus-
sische Grenadiere sinken zahllos an der Feldlehne.
Zn Kleeberg behaupten sich lange Bianchis Ma-
gyaren, doch die Spitze einer Souhamschen Division
langt an, zersprengt ein Regiment, umgeht die
Stellung, in den Schatten der Nacht weichen die
Verbündeten über Kröbern ans jenseitige Ufer.

Max Frey

Merfeldt versucht um 5 Uhr nochmals bei Dölitz
durchzubrechen, doch Curial eilt den Polen zu
Hilfe, der österreichische Korpschef wird gefangen
nebst ganzen Bataillonen. Wie Lilienbeete schwim-
men die Weißröcke zahlloser Leichen im morasti-
gen Wasser, nur wenige Polen liegen entseelt an
den steilen Uferwiesen wie Kornblumen und Veil-
chen ...

„Wohlan, die Erde dreht sich noch einmal"
hatte Napoleon triumphierend gerufen und seinen
Günstling, Prinz Emil von Hessen, hochfahrend
beglückwünscht: „Tritt vor, König von Preußen!"

Das ließ sich der nicht zweimal sagen und
ließ spornstreichs alle Leipziger Glocken Viktoria
läuten.

„Sie werden den Genickfang geben," beauftragte
der Kaiser den Haudegen Souham, dem er um
4 Uhr bei der Tabaksmühle von Probstheida
begegnete. Doch beide Divisionen Souhams, hin-
ter Wochau und Kleeberg abends aufmarschiert,
blieben unbenutzt. Denn Napoleon wandte sich
nordöstlich nach Reudnitz, wo ein vierschrötiger
rothaariger Marschall Ney ihn mit unliebsamer
Kunde empfing: „Zm Norden bei Möckern geht
es schlecht."

„He, dieser Blücher, der versoffene Husar! Zst
der Kerl wieder da mit seiner zudringlichen Sie-
geswerbung?" Drohend scholl sein Kanonen-
donner herüber. Als die Nacht hereinbrach, wußte
man's: Marmont völlig geschlagen mit Verlust
von Adlern und Geschützen, die berühmten Marine-
truppen von Landwehren überwältigt, braune
Brandenburger Husaren, Gelbkragen von Litauer
Dragonern, Weißkragen von Westpreußischen,
schwarze Leibhusaren mitten zwischen den Vier-
ecken der Dunkelblauen mit der roten Anker-
Stickerei am Ärmel! Verdammter Strich durch
die Rechnung!

Knurrend wie ein ungesättigter Löwe verbirgt
sich der Empereur in seinem Zelt. Morgens wir-
beln die Trommeln, die Legionen reihen sich in
schmucker Waffenwehr, doch kein Schuß fällt.
Schwarzenberg weiß warum, sein Verlust war
ungeheuer, das Schlachtergebnis ungünstig, ob-
schon nicht so befriedigend für Napoleon, wie die-
ser hoffte. Blüchers Sieg hob alle Gemüter, sein
Flügeladjutant Goltz meldete den Monarchen:
Marschall Vorwärts werde sogleich wieder ber-
serkern.

Das lehnte der arme bedürftige Schwarzen-
berg ab, man müsse die Ankunft von 130 000
frischen Streitern am 18. abwarten. Rittmeister
Graf Szecheny geht als Bote ab, nach kühnem
Husarenritt steht er vor dem großen Husaren,
der ihm auf die Schulter klopft: „Sie können
reiten, Herr, Gott straf' mir!"

O, dieser Magyar kann mehr als reiten, er
wird als Staatsmann einst Ungarn in den Sattel
setzen, auch er gehört zum Geschlecht der wahren
Freiheitskrieger, dem hinter den Kulissen die
Metternichtigkeiten ein Bein stellen. Da ist auch
noch der Bernadotte, Königliche Hoheit von Schwe-
den, den muß man förmlich an den Haaren aufs
Schlachtfeld schleifen. Blücher soll sich erst unter-
fein Konunando stellen, dann wird sein strate-
gischer Tiessinn sich enthüllen.

„Der Unverschämte!" grollt Gneisenau. aber
der alte Recke lacht: „Topp! Wenn ick den
Musjö, den verflüchtigen Juden oder Zigeuner
man ran kriege, dann soll er mir gerne befehligen."

Und der kleine Bülow, jähzornig seine Uni-
formknöpfe abreißend, verständigt sich mit Gnei-
senau, er werde wie gewöhnlich sich keinen Deut
um den schwedischen Gascogner scheren und auf
eigene Faust vorausstürmen.

Mißmutig spaziert Napoleon mit Murat um-
her, der versichert: „Unsereins kennt sich doch aus,
noch nie sah ich solch Leichenfeld, Schwarzenberg
existiert nicht mehr."

Nochmals angreifen oder sofort den Rückzug
antreten, wie die gesunde Vernunft befiehlt? Die
Truppen wollen nicht, sie fühlen sich siegreich.
Vielleicht kommt Bernadotte nicht, vielleicht ge-
lingt ein diplomatischer Streich, der wankende

Die

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Max Frey: Vignette
 
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