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Gedanke, daß Renee eines Tages ein böses
Wort für ihn haben könnte, erschien ihm fürchter-
lich ....

„Sie oder mich!" Diese jungen Mädchen sind
schrecklich. Sie können nicht zugeben, daß es
einen Grenzpfahl zwischen Wunsch und Wirk-
lichkeit gibt. Und doch ist es nicht immer leicht
für einen Mann, sich zu befreien. Nach und nach
entdeckte Pierre Herbault die tausend gesellschaft-
lichen Bande, die ihn trotz alledem mit Iuliette
Morillon verknüpften. In erster Reihe würde
sie die Scheidung zurückweisen. Und wie sollte
man sie dazu zwingen, da das Unrecht auf der
andern Seite lag? Außerdem ist eine gesetzliche
Scheidung auch sehr teuer. Nur sehr begüterte
Leute können sich an das Gericht wenden, oder
ganz Arme, die kostenlos einen Anwalt zugebilligt
bekommen. Und endlich war das Haus, bei
welchem Pierre angestellt war, unbeugsam in Be-
zug auf Moral. Wenn es einen Skandal gäbe, —
und es war vorauszusehen, daß Iuliette ihre Zu-
flucht zu diesem Mittel der Einschüchterung oder
der Rache nähme, — so würde er entlassen, auf
die Straße geworfen werden. Konnte er die
schöne, wenn auch nicht an Luxus, so doch an
Wohlbehagen gewöhnte Renee an ein so zweifel-
haftes Schicksal ketten? Mein Gott, mit wie
vielen Hindernissen die Wege, welaie zum Glücke
führen, doch übersät sind! ....

Iuliette erwachte. Sie bemerkte die prüfenden
Blicke, deren Gegenstand sie war, und ihre üble
Laune machte sich in bittern Worten Luft. Ohne
zu antworten, sprang er aus dem Bette, nahm
ein Bad, rasierte sich sorgfältig und kleidete sich
mit peinlicher Sauberkeit an. Sie schlich um ihn
her, sah ihm voller Mißtrauen zu. Aber ärgerlich
über eine ausgebliebene Antwort zwang auch sie
sich zum Schweigen. Sie hielt es nur für einen
Augenblick aus.

_ „Warum ziehst Du Deinen neuen Anzug an,
um ins Geschäft zu gehen?" forschte sie.

„Ich frühstücke in der Stadt!" erwiderte er kurz.

„Mit wem denn?"

„Mit wem ich Lust habe!"

Sie war sprachlos vor Zorn. Ohne seine
Ruhe nufzugeben, begann er seine Krawatte zu
binden. Doch der Blick, den er ihr beim Fort-
gehen zuwarf, zeigte eine solche Verachtung, daß
ihr die Wahrheit aufging.

„Du betrügst mich, Du hast eine Geliebte!
O, dieser Elende!"

Er hörte nichts mehr, er war bereits auf der
Treppe, die er so leicht, als ob er Flügel hätte,
hinunterstieg, uni zu den: Rendezvous mit Renee
zu eilen. Jetzt gab es für ihn keinen Aufschub,
keine Ausflüchte mehr. Er war entschlossen, nicht
mehr zurückzukehren. Nachher? Bah, komme,
was da wolle! Als er mit Windeseile an dem
Zimmer der Portiersfrau vorübereilte, hielt diese
ihn zurück, um ihm einen Brief zu übergeben.
Der Umschlag trug den Vermerk „persönlich".
Da er zu spät zu kommen fürchtete, so schob er
ihn mit der Absicht, ihn im Autobus zu lesen,
in die Tasche. Dann vergaß er ihn.

Renee erwartete ihn in der Halle des Bahn-
hofs Montparnaffe. Sie trug ein Schneiderkostüm
aus hellem Tuch, ein weißer Fuchs legte sich um
ihren Hals und der dreieckige Ausschnitt der
Hemdbluse ließ die rosige Brust sehen. Ein Toque
aus schwarzem Sammet mit langen Eselsohren
garniert, gab ihr ein gewisses entschlossenes Aus-
sehen, welches die Männer veranlaßte, sich nach
ihr umzukehren.

„Nun," fragte sie und legte ihre fein behand-
schuhten Hände auf seine Schultern, „nun, Pierrot,
haben Sie nachgedacht? Ist Ihre Wahl ge-
fallen ?"

„Vielleicht," stammelte er, „aber lassen Sie
mir Zeit, mich mit meinem Entschlüsse vertraut
zu machen."

Er betrachtete sie mit so leidenschaftlicher Be-
wunderung, daß keinerlei Zweifel über die Natur
dieses Entschlusses herrschen konnte. t In dem
sichern Gefühl ihres Triumphes lächelte sie zärtlich.

„Sei's! Wir werden spater noch einmal davon
sprechen. Und es bleibt dabei, daß wir in Ver-
sailles frühstücken?" . . .

Eine bleiche Herbstsonne überstrahlte die Gärten
des großen Königs. Langsam wandelten Pierre
und' Renee durch die schweigenden, menschen-
leeren Alleen, an den Marmorstatuen vorbei, die
der Zahn der Jahrhunderte zernagt. Oft blieben
sie zu einem Kusse stehen, der kein Ende nehmen
wollte. Er fühlte, daß sie hingebend ward, aus
Dankbarkeit für das Opfer, welches er bereit
war, ihr zu bringen. Und sie war stolz darüber,
ihn vollständig erobert zu haben. Freude und
Liebe in den Blicken, kehrten sie zum Frühstück
nach Versailles zurück.

Während Renee ihre Toilette im Waschraum
ein wenig in Ordnung brachte, gedachte er plötz-
lich des in seiner Tasche vergessenen Briefes.
Doch kaunl hatte er ihn durchflogen, als sein
Gesicht sich verzerrte. Ein vorsichtigerweise ano-
nym bleibender „Freund" offenbarte ihm, daß
seine Frau ihn seit langer Zeit betrüge und lie-
ferte ihm gleichzeitig das Mittel, die Richtigkeit
dieser Mitteilung festzustellen. Denn am heutigen
Tage sollte sie ihren Geliebten in einer möblierten
Wohnung der rue Pigalle, gegen vier Uhr, be-
suchen.

Von diesem Augenblicke an war Pierre nur
noch ein verhöhnter, von Eifersucht gepeinigter
Gatte.

Die Notwendigkeit, alles zu wissen, die Infamie
derjenigen festzustellen, welche er nicht mehr zu
lieben glaubte, verjagte jedes andere Gefühl. Und
als Renee zurückkehrte und sich neben ihn setzte,
war sie ganz überrascht, ihn zerstreut, geistes-
abwesend, sorgenvoll wiederzufinden. Schließlich
bat er um Entschuldigung, daß er genötigt sei
nach Paris zurückzukehren, und schützte eine dienst-
liche Angelegenheit vor.

Das Mahl verlief trübselig. Durch seine fixe
Idee vollständig in Anspruch genommen, aß er
mechanisch, und Renee, die mit den Tränen
kämpfte, saß schmollend da. Sie konnte die

vertanäer

Außer dem kaukasischen Hirsch könnte
auch der palästinische Hirsch, der, zumal
in der Faschingszeit, manchmal ein geradezu
prächtiges Geweih trägt, nach Rominten ver-
pflanzt werden.

plötzliche Veränderung ihres Freundes nicht be-
greifen und ihr aufgepeitschter Stolz trieb sie zu
einem letzten Entschluß. Dennoch bat sie ihn,
ihr diesen Tag zu widmen, wie es vereinbart
war. Er blieb unbeugsam.

„Ist das Ihr letztes Wort?" sagte sie mit
drohender Stimme.

Er senkte den Kopf.

„Ich kann nicht!"

Das Mißverständnis spitzte sich immer mehr
zu. Als sie auf dem Bahnhofsperron ausstiegen,
waren sie zwei unversöhnliche Feinde.

„Wann werde ich Sie Wiedersehen?" fragte
Pierre in dem Bewußtsein seines Unrechts....

„Niemals," antwortete sie und verlor sich in
dem Strom der Reisenden.

Er blieb einen Augenblick unbeweglich, wie
erstarrt stehen. Dann deutete er eine Gebärde
der Gleichgültigkeit an und stürzte zu einer Autotaxe.

„Pue Pigalle, an der Ecke der rue Pon-
taine,“ rief er dem Chauffeur zu, „und ein gutes
Trinkgeld, wenn wir vor vier Uhr dort ankommen."

(Autorisierte Übersetzung aus dem Französischen
von Gutti Alsen)

*

Liebe Jugend!

Zwei gemütliche Bayern machen Fußtouren
im schönen Schwarzwald. Sie sind entzückt von
dem landschaftlichen Bild, nicht aber sind sie ent-
zückt von den dortigen, nach ihrer Ansicht üblen
Bierverhältnissen.

An einein schönen Nachmittag wandern sie in
brütender Uitze durch eine unendlich lange Ort-
schaft und da fühlen sie so recht ein menschlich
Bühren — Durst und wieder Durst.

„Aba dös Bier!"

Da kommt dem einen ein Gedanke: Vielleicht
gibt 's heimatlichen Stoff.

Ein kleiner Junge kommt eben um die Ecke
mit einer frischen Maß.

„Na, Büaberl, wie vui Wirtschaften habt's
denn?"

„Zwei!"

„So, und wo hast Du Dein Bier her?"

„Von der unteren Sternbrauerei!"

„Hm, und wie alt ist Dei Vata?"

„Der ist mit 35 Jahren gestorben."

Sie gingen in die obere Wirtschaft!

*

Auf einem Landgute sind die Nichten des Be-
sitzers, zwei zappelige, lustige Backfische auf
Ferienbesuch.

Bäume erklettern und Obst naschen sind ihre
Lieblingsbeschäftigungen. Nun steht im Obst-
garten ein junger Birnbaum, der drei große, pracht-
volle Edelbirnen trägt, die der Stolz und die
Freude des Gutsherrn sind. Diese Birnen waren
für die beiden Mädels aber schon lange das Ziel
aller Sehnsucht, und als sie sich eines Tages un-
beobachtet glaubten, erlagen sie der Versuchung,
pflückten sich je eine davon ab und bissen mit
ihren weißen Zähnen in die saftigen Früchte.
Aber der Verwalter des Gutes, dem der Besitzer
die pflege dieses Baumes besonders ans Herz ge-
legt hatte, kam darüber erbost hinzu mit der
fürchterlichen Drohung: „werd ich panje Onkel
sagen."

Doch die beiden Mädels wußten ihn durch
Bitten, verbunden mit schmachtenden Augenauf-
schlägen, zu begütigen und baten ihn, ihrem
Onkel doch eine kleine Notlüge zu erzählen.

Nach einiger Überlegung, und als grade eine
Schar Gänse vorbeimarschierte, sagt er, boshaft
lächelnd:

„Gut, werd ich sagen — — — haben sich
Gänse getan."

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[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
Arpad Schmidhammer: Blutauffrischung des Kaiserlichen Wildbestandes
 
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