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QERhn

Kummet

„Leibbursch, ich muß mal auscreten. Sind Telegraphenftangen kulörfahig?"

mal gewahrt, ein Leichtsinniger hat allmählich eine
Schwersiimige sorglos gemacht, ein Schlaumeier
hat seiner einfältigen Frau allerlei Listen ein-
gegeben, das Ansteckendste aber ist diese graue
Laune, dieses Kleinliche, pedantische, unfrohe
Mürrischwerden.

Die frische Natur der Hofrätin hat sich lange
dagegen gewehrt. Sie hat erst gehofft, daß er,
der Vater, in der höheren Rangklasse, wenn die
kleinsten Beamtensorgen wegfallen, wieder fröhlich
wird. Vergebens . . . Dann hat sie gehofft, mit
ihren Mädeln froh zu werden. Sie hatte ur-
sprünglich den Willen zur Fröhlichkeit in sich,
das Bedürfnis, einfach gut zu fein und kame-
radschaftlich froh zu werden. Fn den allerersten
Jahren, als die Töchter noch ganz klein waren,
ging's auch noch leidlich. Da konnte sie stunden-
lang auf der Erde liegen und mit ihren Kindern
spielen; aber dann wurden die Mädeln größer,
es kam der Egoismus der jungen Generation über
sie. Die Mutter war ja ganz angenehm, aber
schließlich will man mit jungen Menschen, mit
Freundinnen, mit netten jungen Leuten beisammen
sein. Fhre Anhänglichkeit war zuweilen — Gott,
sie sagten es nicht direkt — lästig. Sie sollte
sich bescheiden und hinten mit dem Vater gehen.
Zu denen vorn gehörte sie nicht mehr!

Manchnml wurde sie sogar ein bißchen lächer-
lich, so Heuer im Fasching, beim alpinen Kränz-
chen, wo sie absolut nicht die Gardedame abgeben,
sondern mit den jungen Herren „einmal nur!"
Walzer tanzen wollte. Die Töchter, die darauf
brannten, sich cnblid) einmal auszutanzen, mußten
ihre jungen Herren beim erften Tanz an die
Mutter abgeben, so versessen war sie drauf. Da-
mals waren die Töchter hart daran, schnurstracks
wieder nach Hause zu fahren.

Zum Glück legte sich der Vater ins Mittel
mtb sagte zur Mutter: „Laß doch diese Abge-
schmacktheiten!" Es ging ihr, wie gesagt, nicht
gut, der Hofrätin Kirnbauer. Grau, fade, er-
eignislos verging ihr Leben, ohne Hoffnung auf
Überraschungen, und gerade diese Hoffnung auf
etwas Außerordentliches braucht die Seele!

Da geschah das große Unglück. Sie hatten
Sonntags eine Landpartie nach St. Veit gemacht
und gingen mittags auf den Hinunelhof, um
dort im Freien ihr Mittagessen zu nehmen. Da
schwirrte in der Sonne ein Fnsekt um sie, eine
große brummende Fliege. Das war lästig. Die
Frau Hofrat suchte das summende Tier mit der
Serviette zu verscheuchen, da war sie auch schon
im Arm gestochen. Der Hofrat sagte noch, über
die Abwehrversuche ärgerlich: „Das reizt die

Bremsen erst recht" und als der Arm ein wenig
anschwoll, murrte er sogar: „Das kann auch nur
Dir passieren." Aber als nach einigen Minuten
der Arm immer höher anschwoll, da verstummte
sein Knurren, er nahm sein Taschentuch und ver-
band den heißen Arin. Eine gewisse Unruhe trieb
ihn zum Aufbruch. Sie fuhren nach Hause,
schweigsam und unmutig, den schönen sonnigen
Sommertag nun in der lichtlosen Stadtwohnung
verbringen zu müssen.

Frau Kirnbauer fühlte das Bedürfnis, sich
bei den Mädeln zu entschuldigen, und sagte zu
ihrem Mann: „Könnten sie nicht draußen bleiben
und uns abends Nachkommen?" Der Herr Hof-
rat erwiderte nur kurz: „Allein?!"

Und so saßen sie nachmittags in der dämme-
rigen, verhängten Wohnung.

Franziska, die jüngere Tochter, wollte einen
Arzt holen, doch die Mutter wehrte ab: „Wozu?
Das kostet eine Menge Geld!"

Sie war gewohnt an die Rangsklasse zu
denken, in der man Haushalten mußte. Brigitte,
die ältere Tochter, zog sich mißmutig in das
Mädchenzimmer zurück; sie hatte gehofft, nach-
mittags auf dein Himmelhof einen ihrer Tänzer
zu treffen. Die Mutter legte sich essigsaure Ton-
erde auf den Arm nnb so konnte der Hosrat

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Ferdinand Albert Burger: Bummel
 
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