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Nützung aber gestattet hätte, Napoleon völlig im
Rücken zu fassen. Gneisenau, der an Stelle des
erkrankten Blücher jetzt den Oberbefehl führte,
benahm sich so unbegreiflich, daß der wütende
Pork seine Entlassung anbot. Er ließ sich von
Napoleon gründlich einschüchtern, häufte Fehler
auf Fehler. Man entschuldigt, daß er als Jüngster
unter den kommandierenden Generalen, ihm ohne-
hin alle abgeneigt, eine schwierige Stellung hatte.
Er selbst erklärte später, er habe die Preußen
schonen wollen, um nachher beim Frieden „unser
Schwert in die Wagschale zu legen." Das mag
schon sein, entsprach seinem weitblickenden Patrio-
tismus. Doch sein abschlägiger Bescheid an Pork
spricht von „unbesonnenen Waghälsen", es wäre
„ein tolles Spiel", den „verwegenen Versuch im
Rücken Napoleons" zu unternehmen. Nun wohl,
hier stellte er also nur Militärisches in ben Vor-
dergrund und wir erkennen genau das Nämliche,
was sich 1815 bei denkwürdigster Gelegenheit
zutrug.

Jedenfalls zögerte Gneisenau auch nach Na-
poleons Rückzug ungebührlich lange im ausge-
sognen Landstrich von Laon, ließ gleichsam vor
seinen Augen das Korps St. Priest in Rheims
vernichten und nahm erst spät den jetzt so ein-
fachen Vormarsch gegen Paris auf.

Um seine Führung 1815 aber spann sich ein
Sagenkreis. Wir sehen die Preußen sorglos und
zerstreut an der Sambre lagern, so daß Napo-
leons geniale Überrumpelung am 15. auf ein Haar
glückte, sehen sie am 16. so mangelhaft aufge-
stellt, daß Wellington, als er die Schlachtlinie
bei Ligny überblickte, kühl urteilte: „Die Preußen
werden verdammte Prügel kriegen." Die taktische
Leitung war ungenügend. Geschichte und Poesie
verherrlichen den Rückzugsbefehl: „Auf Wavre!"
Hierdurch habe Gneisenau die natürliche Verbin-
dung zum Rhein aufgegeben und sich hochherzig
an Wellington angeschlossen. Man vergißt nur
Zweierlei. Bülow stand nicht mehr bei Lüttich,
sondern nordöstlich bei Gembloux, Richtung auf
Wavre, man hätte ihn also isoliert Napoleons
Nachdrängen preisgeben müssen. Außerdem be-
durfte das gänzlich zerschlagene Heer dringend
der Anlehnung an dies frische Korps. Gneisenaus
Entschluß entsprang einer höchst einfachen Not-
wendigkeit. Vor allein aber dachte er überhaupt
nicht daran, zu Wellington auf Brüssel zu reti-
rieren, sondern östlich auf Löwen d. h. zum
Rhein. Erst als der versprengte Blücher in den
unsäglichen Wirrwar der bei Wavre zusammen-
gequetschten Truppenmassen hineinplatzte, tauchte
der Gedanke auf, nicht östlich, sondern westlich
in Napoleons Flanke abzuschwenken. Der hef-
tigste Zwiespalt entstand. Gneisenau fürchtete da-
von „die totale Vernichtung der preußischen Ar-
meen," mit Recht, wenn Grouchy seine Pflicht
tat. Doch Blüchers dämonischer Instinkt beharrte
dabei, mit Bülow oas Äußerste zu wagen.

Wir können hier nicht auf Einzelnes ein-
gehen, betonen nur aufs bestimmteste, daß der
Ruhm des welthistorischen Marsches auf St. Lam-
bert ausschließlich Blücher selber gehört, der hier
als Truppenfortreißer Übermenschliches leistete. Als
der Erfolg da war, da freilich vollendete Gnei-
senau das Werk selber mit dämonischer Spann-
kraft, indem er sich persönlich an die Spitze der
Verfolgung setzte. Ein Bild von Georg Bleib-
treu verewigt ihn hier mit Recht, hoch zu Roß,
berittene Trommler um sich her, Grauen durch
die Nacht verbreitend. „Es ist eine harte Be-
stimmung, nie eines eigenen Kommandos wert
erachtet zu sein und stets für einen anderen ar-
beiten zu müssen," schrieb er trotzdem am 30. Juni
an Hardenberg. An Ehrgeiz fehlte es ihm also
nicht, auch verfiel er dem Feinde gegenüber oft
in chauvinistische Uberhebung. Bei Ligny zählt

sein Schlachtbericht 80 000 Preußen gegen 120000
Franzosen (87 000 gegen 64000), laut Onken be-
hauptete er, nie etwas von besonderer franzö-
sischer Bravour bemerkt zu haben! Doch ver-
zeiht man dies seinem lebhaften Deutschgefühl.
An Wellington und den Briten ließ er kein gutes
Haar, warnte Blücher vor deren Hochmut und
Falschheit, beharrte noch am 18. Juni in tiefem
Mißtrauen, weil Wellington am 16. sein Wort
brach und man daher ihm nun auch selber nicht
aus der Patsche zu helfen brauche.

Zn „Räumers Erinnerungen" findet sich sein
Brief über Wellingtons schnöden Undank beim
Pariser Friedensschluß, den die Preußen allein
gerettet hätten, was trotz Pflugk-Hartung und
britischer Prahlsucht sicher geschichtliche Wahrheit
bleibt. Nach Gneisenaus Nationalstolz hätten alle
Briten und Russen und Franzosen in den Orkus
versinken können, wenn nur Deutschland übrig blieb.

Weit höher als Gneisenaus Strategenruhm,
dessen Überschätzung wir nicht mitmachen, steht
uns daher der Mensch und Held mit seiner warm-
blütigen unerschütterlichen Vaterlandsliebe. Stehen
uns auch Scharnhorst, sein Meister, und im ge-
wissen Sinne der urwüchsige Blücher noch höher,
so bleibt doch dieser berühmte Stabschef, dem
berühmteren Moltke so unähnlich, geschichtlich für
ewig in der Vorderreihe jenes erlauchten Ge-
schlechts, auch charakterologisch einem Bülow und
Pork weit überlegen. Seine durchaus vornehme
Erscheinung, poetisch und begeistert, zeigt uns
vorbildlich die Würde deutschen Mannestums.

Strommündung

Die Stadt mit ihrer Mauern Zwang
Und mit der Nacht gewölbter Brücken
Glitt tief und tiefer und versank.

Und stolzer wird des Stromes Gang.

Es dehnt gewaltig sich sein Rücken,

Der aller Frone sich entrang.

Aufleuchtend in des Abends Glut,

Indes das Licht der ersten Sterne
Schon zitternd auf den Wellen ruht,
Wälzt jauchzend er zum Meer die Flut,
Das donnernd in der Dämmerferne
Weit auf die mächtigen Tore tut.

Margarete Lech

Umsonst getan

Von Andreas Schreiber

Die Stücke feuerten und die Glocken der
Stadt läuteten. Der Sarg, der vor dem Kata-
falke ruhte, war fort. Er war auf dem Wege
zur Gruft. Blanka glaubte noch die hastig drän-
genden Schritte der Träger zu vernehmen.

Die Stücke feuerten und die Glocken der
Stadt läuteten. Jetzt setzte man ihren Gemahl,
den Herzog Franzesko, in der Gruft bei. So-
lange er lebte, hatte er sie mit seiner Liebe, seiner
Eifersucht verfolgt und war ihr ihm Wege ge-
standen, wie ein drohendes Feusrmal, das es
auszulöschen galt, wenn man Guiskard ange-
hören wollte. Und doch — einst — hatte sie
diesen Franzesko geliebt, damals, als er ihr frisch
wie der Mai an die Grenzen seines Landes ent-
gegensprengte und sie wie ein Wilder in die Arme
riß, aber bald nicht mehr, da er in seinen zahl-
losen Kriegszügen vor der Zeit alterte und gräm-
lich ward und Guiskard kam, froh, heiter, mit
jungen Lüsten.

Wer wollte ihr Vorwürfe machen?! Hatte sie
gehandelt wie eine Borgia oder eine andere ge-
handelt hätte! Die hätte ihm Gift gegeben, als
er lästig ward. Sie hatte das nicht getan und
ihm nur Tag für Tag, Nacht für Nacht gezeigt,
daß er ihr gleichgültig war wie der Estrich, über
den ihre Schleppe fegte. Was konnte sie dafür,
daß er von einer Deutschen Blut in den Adern
hatte und hartnäckig blieb in seiner Liebe?! War
es ihre Schuld, wenn er in jedem Treffen ohne
Not ins feindliche Gewühl ging, um den Tod
zu finden?

Jetzt hörten die Mörser auf zu feuern, den
Glocken blieb der Klöppel im erzenen Munde
haften, wie die Zunge dem Sterbenden zwischen
den Zähnen. Die, welche Franzesko eingeurnt
hatten, stiegen aus der schwarzen Wölbung der
Grufttüre herauf, voran Guiskard, den sie zum
Kommissar bei der Bestattung seines Neben-
buhlers ernannt hatte. Ein breites Lächeln lag
ihm auf roten Lippen, wie sie es nie an ihm
' gesehen.

Doch die Gefühle, die dieser Eindruck in ihr
auslöste, zerflossen, ehe sie sich darüber klar wurde,
vor dem Gedanken, der in demselben Augenblicke
ihr Herz zum Springen weitete: Jetzt bin ich
Regentin von Rodegno, bis mein Sohn nach-
gewachsen ist, vielleicht für fünfzehn Jahre, viel-
leicht für — wenn man klug ist — für lange
Zeit und frei für den, den ich liebe!

Die Priester umschritten zum letzteil Male den
Katafalk. Ihre Bewegungen wirbelten den Schwall
Moderluft, der vorhin aus dem Leichenkeller
emporgestiegen war, zu Blanka l)in. Sie erhob
sich, um zu gehen, und winkte Guiskard zu sich.

„Marchese Toneliano, stützen Sie meinen Arm,"
fagte sie.

Guiskard nahm mit zufriedenener Geberde

ihren Arm, und die Regentin und der Hof ver-
ließen die Kirche, ohne den Segen der Priester
abzuwarten.

* * *

Es ging gegen Abend. .In den schwarzbe-
hangenen Gemächern der Regentin ftanbcn die
Fenster weit auf. Der milde Duft der Gärten
strömte herein, und das Rot der scheidenden

Sonne färbte Wände und Boden.

„Das Billett ist bestellt?" wandte sich Blanka
an den Diener.

„Eure Hoheit ist bedient."

„Geh!"

Blanka wandte sich all die Kammerfrau.

„Ist das Zimnler" — sie deutete auf die Türe,
die zu ihm führte — „gerichtet, wie ich es befahl?"

Hans Schwegerle
Register
Margarete Lech: Strommündung
Hans Schwegerle: Salome
Andreas Schreiber: Umsonst getan
 
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