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Nach dem Schneefall
Hans Heider (München)
Aber er hielt Treue über die Trennung hin-
aus. Und als seine Frau nach einem lustigen
Leben gestorben war, da richtete er das ganze
Begräbnis aus, ging mit dichtumflortem Zylinder-
Hute als Erster neben dem Pfarrer hinter dem
Sarge her und weinte so still in sich hinein, daß
der geistliche Herr nach einer ergreifenden Rede
zu ihm sagte:
„Sie haben wohl sehr glücklich zusammen-
gelebt, Herr Wittemann?"
„Wie die Kinder, Hochwürden," erwiderte er
mit erstickter Stimme — „wenn wir auch ge-
schieden waren."
Er kam dies Mal mit einer guten Empfehlung
an seine Wirkungsstätte. Ein früherer Kollege,
der jetzt ein sehr einträgliches Geschäft mit Kaut-
schuckstempeln trieb, hatte ihm einen Brief an einen
geachteten Bürger mitgegeben, der nach seinem
äußeren Berufe Handschuhmacher und Stadt-
verordneter, nach seinem inneren jedoch ein eben-
so eifriger Büchersammler war wie Viktor Witte-
mann selber.
Aber die stattliche Bibliothek seines Gast-
freundes hatte nur bei seinen ersten Besuchen
den Anziehungspunkt gebildet. Dann hatte ihn
ein anderer abgelöst, der lebendiger war und
magnetischer lockte als alle schön gebundenen
Bücher in Herrn Markentins Sönnecken-Fächern:
Hermine Markentin, die einzige, reif erblühte
Tochter des Hauses.
Zn seinem ganzen Leben hatte er nicht so viele
Handschuhe verbraucht, wie in diesem kurzen Som-
mer. Denn Hermine war nicht nur in der Wirt-
schaft tätig, sie bediente auch das Lager ihres
Vaters und hatte so manchen grünen, schwarzen,
grauen Handschuh über Viktor Wittemanns freudig
dargebotene Hand gezogen.
Ihm aber war, als grüßte ihn am neigenden
Tage noch einmal das süßeste, das einzige Glück,
das diese arme Erde zu vergeben hat, und das
„zu Zweien" heißt. Und in still geborgenen Stunden
malte er sich den Augenblick aus, wo er zum Ent-
gelt für alle Handschuhe, die sie ihm angepaßt,
einen schmalen goldenen Reif über Herminens
schlanken Finger streifen würde. Sie wußte alles
von ihm und er nichts von ihr. Denn sie sprach
kein überflüssiges Wort. Das gerade gefiel ihm
an ihr.
Aber eines Abends, als er nach den Strapazen
des Alten Moor in einer Schülernachmittagsvor-
stellung der „Räuber" im Markentinschen Hause
Erholung suchte, stellte ihm Fräulein Hermine
ihren Bräutigam, einen gesprächigen Geschäfts-
reisenden in der Lederbranche, vor. Run blieb
ihm nur noch sein Künstlertum.
Jeder Künstler träumt seinen eigenen Traum-
Viktor Wittemann träumte ihn auch. Der Bei-
fall, der bei der Art seiner Rollen mehr einen
persönlichen Anstrich hatte, schmeichelte ihm nicht,
die ständig wiederkehrende Kritik der Badezeitung:
daß „unser Wittemann" wie immer ganz auf
seinem Platze war, las er nicht mehr, selbst auf
die Popularität, der er sich bei der Einwohner-
schaft wie bei den Badegästen erfreute, legte er
wenig Wert. Aber ein Wunsch zehrte an seiner
Künstlerseele, eine stille, heiße Sehnsucht, die seine
ganze, lange Schauspielerlaufbahn nie erfüllt hatte:
einmal einen Lorbeerkranz mit Schleife nnb Wid-
mung zu erhalten! Einen wirklichen — nicht
den üblichen, den seine Kollegen sich selber be-
stellten, den an ifyren Benefizabenden gefällige
Freunde zu ihren Füßen warfen. So billige Lor-
beeren hätte er oft haben können. Sein Fein-
gefühl hatte sie verachtet. Aber ein Mal einen
Lorbeer, von wahrer, warmer Begeisterung ge-
wunden, einen Lorbeer, nicht auf Bestellung oder
Gefälligkeit, sondern aus dem Drange eines edlen
Herzens ihm dargebracht... Er erinnerte sich
eines Kollegen. Der hatte durch seinen Fiesko
und Hamlet die Prima eines Gymnasiums so
entflammt, daß sie ihm voll ihrem Taschengelde
einen wundervollen Lorbeerkranz stiftete mit einer
langen, himmelblauen Atlasschleife daran. „Dem
genialen Hamlet die begeisterte Prima" stand mit
Nach dem Schneefall
Hans Heider (München)
Aber er hielt Treue über die Trennung hin-
aus. Und als seine Frau nach einem lustigen
Leben gestorben war, da richtete er das ganze
Begräbnis aus, ging mit dichtumflortem Zylinder-
Hute als Erster neben dem Pfarrer hinter dem
Sarge her und weinte so still in sich hinein, daß
der geistliche Herr nach einer ergreifenden Rede
zu ihm sagte:
„Sie haben wohl sehr glücklich zusammen-
gelebt, Herr Wittemann?"
„Wie die Kinder, Hochwürden," erwiderte er
mit erstickter Stimme — „wenn wir auch ge-
schieden waren."
Er kam dies Mal mit einer guten Empfehlung
an seine Wirkungsstätte. Ein früherer Kollege,
der jetzt ein sehr einträgliches Geschäft mit Kaut-
schuckstempeln trieb, hatte ihm einen Brief an einen
geachteten Bürger mitgegeben, der nach seinem
äußeren Berufe Handschuhmacher und Stadt-
verordneter, nach seinem inneren jedoch ein eben-
so eifriger Büchersammler war wie Viktor Witte-
mann selber.
Aber die stattliche Bibliothek seines Gast-
freundes hatte nur bei seinen ersten Besuchen
den Anziehungspunkt gebildet. Dann hatte ihn
ein anderer abgelöst, der lebendiger war und
magnetischer lockte als alle schön gebundenen
Bücher in Herrn Markentins Sönnecken-Fächern:
Hermine Markentin, die einzige, reif erblühte
Tochter des Hauses.
Zn seinem ganzen Leben hatte er nicht so viele
Handschuhe verbraucht, wie in diesem kurzen Som-
mer. Denn Hermine war nicht nur in der Wirt-
schaft tätig, sie bediente auch das Lager ihres
Vaters und hatte so manchen grünen, schwarzen,
grauen Handschuh über Viktor Wittemanns freudig
dargebotene Hand gezogen.
Ihm aber war, als grüßte ihn am neigenden
Tage noch einmal das süßeste, das einzige Glück,
das diese arme Erde zu vergeben hat, und das
„zu Zweien" heißt. Und in still geborgenen Stunden
malte er sich den Augenblick aus, wo er zum Ent-
gelt für alle Handschuhe, die sie ihm angepaßt,
einen schmalen goldenen Reif über Herminens
schlanken Finger streifen würde. Sie wußte alles
von ihm und er nichts von ihr. Denn sie sprach
kein überflüssiges Wort. Das gerade gefiel ihm
an ihr.
Aber eines Abends, als er nach den Strapazen
des Alten Moor in einer Schülernachmittagsvor-
stellung der „Räuber" im Markentinschen Hause
Erholung suchte, stellte ihm Fräulein Hermine
ihren Bräutigam, einen gesprächigen Geschäfts-
reisenden in der Lederbranche, vor. Run blieb
ihm nur noch sein Künstlertum.
Jeder Künstler träumt seinen eigenen Traum-
Viktor Wittemann träumte ihn auch. Der Bei-
fall, der bei der Art seiner Rollen mehr einen
persönlichen Anstrich hatte, schmeichelte ihm nicht,
die ständig wiederkehrende Kritik der Badezeitung:
daß „unser Wittemann" wie immer ganz auf
seinem Platze war, las er nicht mehr, selbst auf
die Popularität, der er sich bei der Einwohner-
schaft wie bei den Badegästen erfreute, legte er
wenig Wert. Aber ein Wunsch zehrte an seiner
Künstlerseele, eine stille, heiße Sehnsucht, die seine
ganze, lange Schauspielerlaufbahn nie erfüllt hatte:
einmal einen Lorbeerkranz mit Schleife nnb Wid-
mung zu erhalten! Einen wirklichen — nicht
den üblichen, den seine Kollegen sich selber be-
stellten, den an ifyren Benefizabenden gefällige
Freunde zu ihren Füßen warfen. So billige Lor-
beeren hätte er oft haben können. Sein Fein-
gefühl hatte sie verachtet. Aber ein Mal einen
Lorbeer, von wahrer, warmer Begeisterung ge-
wunden, einen Lorbeer, nicht auf Bestellung oder
Gefälligkeit, sondern aus dem Drange eines edlen
Herzens ihm dargebracht... Er erinnerte sich
eines Kollegen. Der hatte durch seinen Fiesko
und Hamlet die Prima eines Gymnasiums so
entflammt, daß sie ihm voll ihrem Taschengelde
einen wundervollen Lorbeerkranz stiftete mit einer
langen, himmelblauen Atlasschleife daran. „Dem
genialen Hamlet die begeisterte Prima" stand mit