bringt! Ich weiß ja, wie die Leute über mich
denken. Aber was kann ich dafür, daß ich des
Unehrlichen Tochter bin?"
Der andere, der im weiten, schwarzen Mantel,
sagte gar nichts dazu, sondern küßte sie nur un-
entwegt auf den weichen, im Nachtwind so Kühlen,
seligen Mund. Nach einer Zeit aber ließ er sie
los und warf den Kopf hoch' „Was geht's nach
an, was das dumme Pack über dich denkt. Mein
Lehrer, der große, gescheite Mann, hat mir die
Augen geöffnet und allen alten Unsinn und Aber-
glauben des Stadtpöbels habe ich verachten ge-
lernt. Weißt du, Therese," -fuhr er eifrig fort,
„er würde mich sehr geringschätzen, wenn ich dich
liebte und dich dennoch stehen ließe, nur weil
dein Vater, na, weil er der Freimann ist. O,
mein Meister ist nicht nur ein großer Gelehrter,
er ist auch ein guter Mensch mit weichem, offenen
Herzen. Und dann," setzte der junge Mann
lächelnd hinzu, „könnte er dir gegenüber denn
anders? Du hast ihm ja doch schon so manchen
guten Dienst geleistet, meine tapfere Theres."
„Pst! Pst!" fuhr sie ihm ins Wort und knixte
vor ihm im schimmernden Mondenschein, wie drin-
nen im Tanzsaal die bürgerlichen Fräulein beim
Fackelreigen. „Ist schon gut, Herr Magister
Rollfink, des größten Gelehrten gelehriger Schüler
und Nachfolger; ist schon gut, das hat die tapfere
Theres ja doch alles nur Euch zuliebe getan,
mein hoher Herr!"
Er drückte sie wieder stürmisch an sich, und
eine Weile standen sie stumm. Plötzlich riß sich
der Magister Rollfink los und meinte: „So, jetzt
aber ans Werk, meine Liebe! Ich denke, es wird
höchste Zeit dazu, und ob des Kofens darf ich
aufs andere nicht vergessen." Damit stiegen sie
beide den Hügel hinan. Es rauschte und fegte
gespenstisch der Wind im Gestrüpp und den Fichten-
kronen, und ein par aufgescheuchte Nachtvögel
flogen krächzend davon, eine Fledermaus flatterte
allzu nahe an der Therese Gesicht vorbei, daß sie
heftig aufschrie. Dann aber lachte sie: „Was
man doch schrecksam wird bei so einem Beginnen;
Unsinn! Wie kann man so schreien!" Oben ange-
kommen, machte sich das Liebespaar über den
einsam Baumelnden her. Der Magister kroch
die Leiter hinan, die sein Liebchen ihm an den
Galgen gelehnt hatte und nun sorgsam festhielt.
Dann knüpfte er nicht ohne Mühe — Meister
Wullinger verstand sein Geschäft! — den Knoten
der hänfernen Schlinge los, und der Fahrende,
dem die Wiener Ordnung so übel mitgespielt, lag
im taufeuchten Gras. Rasch nahmen ihn die
beiden auf, hüllten ihn in des Magisters weiten
Mantel und schlüpften selbander mit der frischen
Beute den Hügel hinab, den Graben entlang,
dem Tore zu und der stillen Stadt.
In der Badergasse stand seit alter Zeit schon
das Drei-Sensen-Haus, und die guten Wiener
lachten dazu, daß gerade unterm Wappen mit
des Sensenmannes Hippe der hochgelehrte Pro-
fessor der Anatomie und Medizin seine Behausung
aufgeschlagen hatte, der Magister und Doctor
Gynäkomystax, wie er sich, und Kajetan Weyps-
bart, wie das Taufregister von St. Stefan ihn
nannte. Vom nahen Dome klangen die Oster-
glocken herüber, die zur Nachtandacht der Auf-
erstehung des Herrn die gläubigen Wiener riefen.
Durch die erleuchteten Kirchenfenster drang das
jubelnde Halleluja, Christ ist erstanden, der Herr
lst wiedergekommen, die Welt zu befreien. Es
schwoll durch die Lüfte über die ganze Stadt da-
hln, es jubelte zum Nachthimmel auf, und. es
drang gedämpft in den tiefen Keller des Drei-
Sensen-Hauses hinunter. Dort saß der Professor
der alma mater Viennensis, der gelehrte Gynä-
komystax. Saß in seiner schwarzen Doctorsschaube
an einem langen Holztisch und schärfte am Wetz-
stein ein blankes, dünnes Messer, saß und horchte
ungeduldig dein Halleluja entgegeii, das in seinen
faustischen Keller schwebte, horchte stets wieder
zur Türe hin, die zur Stiege führte. Ein par
Schemel standen um den Tisch, und auf ben
Schemeln saßen stumm und ehrerbietig junge und
Gbristeitgels Abschied vom Bimmelsvater
»Also Adieu! Und fiten’ nicht in die Nähe von
Hofjagden, Du könntest sonst für'n Fasan gehalten
werden!"
alte Männer und sahen bald auf den Lehrer, bald
erwartiingsvoll auf die Türe hin, die sich nicht
rühren wollte. Die Ampel warf von der Decke
herab ein mäßiges Licht in den Raum, das
neckisch in seinem Flackern und Huschen mit
dem säuberlich gereinigten Totengebein in der
Ecke drüben spielte; ein kunstvoll zusammenge-
fügtes Menschenskelett sah von dort herüber, und
die leeren Höhlen im Schädel grinsten verständ-
nisinnig auf das Messer des Professors, das eilig
auf denn Steine hin und wieder fuhr und mit
seinem Blitzen im Ampellicht den: glatten Gesellen
hinten im Winkel heitere Antwort gab.
Da erhob sich der Doctor Gynäkomystax von
seiner Arbeit, trat einmal an die Türe, dann an
den Tisch zurück, dann an das Skelett im Hinter-
grund, fuhr in unterdrückter Ungeduld ein par
mal mit der Hand die blanken Knochen entlang
und richtete da und dort ein Knöchelchen wieder
ein, das aus seiner Darmsaitenschlinge geschlüpft
war. Endlich hielt er sich nicht länger und, zu
den Schülern gewendet, die in derselben Unruhe
auf ihren Schemeln rückten, rief er aus: „Wenn
ihm nur nichts Böses geschehen ist bei dem nächt-
lichen Gang! Jedesmal die zitternde und fürchtende
Angst! O Gott, da läuten sie drüben dein Halleluja
ein, weil du dich für deine Menschen geopfert
hast und die Welt befreit; und wir? Wahrheit
und Leben suche ich im. Heil der Kranken; aber
bei Nacht und Nebel ziehen meine Schüler den
gefährlichen Weg, den nur der bornierte Aber-
glaube uns verbieten konnte; und hier herunten
— wenn sie uns entdecken, zerreißt uns die Wut
der Dummheit und des Vorurteils. Wenn ihm
nur nichts Böses passiert ist, meinem braven
Magister Rollfink!"
Wie er noch klagte, polterte etwas die Treppe
herab drückte, an die Türe, sie sprang auf, und
Rollfink mit zwei anderen keuchte herein. Eine
schwere Last, in einen Mantel gehüllt, legten sie
atemlos auf den Seziertisch und schlugen die Hülle
von dem halbbekleideten Leichnam zurück. Eines
armen Teufels eingefallenes Sündergesicht grinste
die Männer an, um den Hals lief ihm ein dun-
kelroter Streifen, und schlaff und mager hingen
ihm die Gliedmaßen vom Leib.
Und nun begann das Werk. Der Meister
trat an den Toten heran, mit wißbegierigen Augen
folgten ihm die andern, wie er mit sicherer Hand
in das Dunkel griff, suchend, findend, dem vor-
dringenden Führer, dem Messer nach; hinein in
das Jahrtausende hindurch verschlossene Geheim-
nis; hier auf den Spuren des entwichenen Lebens
bis zu den letzten bangen Fragen, dort wieder
die Muskeln, die Adern, die Nerven wie helle
Bahnen entlang, daß der stunrme, geduldige Kör-
per des armen Schächers, den sie im Leben mehr
gequält, als dieses suchende Messer es vermochte,
reiche Antwort gab auf das drängende Forschen,
eine Antwort, aus der den Millionen kommender
Geschlechter Heil und Gesundheit erblühen sollte.
Ein seltener Gottesdienst für die Männer um
ihren Lehrer in dieser Charsamstagnacht. Ihr
hallender, prunkender Dom — das feuchte Keller-
loch ; ihr Altar mit den heiligen Zeichen — ein
hölzerner Tisch; ihr Wege weisender Priester —
der Meister in der Doctorsschaube; und ihr ehr-
würdiges, unendliches Heiligtum — die geheim-
nisvolle, hoheitsmächtige Natur, die ihre schim-
mernden Pforten öffnete, weitaus: herein, herein!
Aufklärung und Wissen und Freiheit sind eure
höchsten und geheiligten Güter!
Da klirrte die Türe, wie sie plötzlich aufflog,
erschrocken fuhren die Männer von der Arbeit
auf. Die schöne Theres sprang in den Keller
herein. Mit hastenden, fliegenden Worten rief
sie den Aufhorchenden zu, der Karmeliter Quin-
tilian habe ihnen nachgespürt, wie sie den Leich-
nam vom Galgen gestohlen, und nun hetze er
die Menge im Dom mit wilden Worten gegen
die bösen Zauberer auf — die ganze Meute sei
schon auf dem Wege hieher zum Drei-Sensen -
Haus; entsetzlich höre man sie durch die Nacht
heulen: „Auf, auf, Rollfink, rettet euch, bevor sie
da sind!" rief das tapfere Mädel den Männern zu.
Aber es war zu spät. Ein Drohen und Johlen
und Stampfen erscholl von oben, als ob eine
Herde Teufel über den Flur fegte. Näher, immer
näher, jetzt drängte, kollerte, stolperte es die Treppe
herab, eine wilde aufgehetzte Rotte. Voran der
Pater Quintilian. Hoch hinein in den Kellerraum
streckte er ein Kruzifix als Schild und Wehr,
rings um ihn schwangen wüste Fleischerknechte
Knütteln und Äxte, und hinter diesen im blutroten
Fackelschein haß- und wutverzerrte, brüllende
Fratzen, keifende Vetteln, mit den zahnlosen
Mäulern klappernd, wie Katzen die Krallen zum
Angriff gestreckt. Zu seinem Troß gewendet, schrie
der Pater mit heiserer, überschnappender Stimme:
„Reißt sie heraus, die Gotteslästerer, die Leichen-
schänder! Haut sie nieder, die Hexenmeister, die
Zauberer und die Satansdirne vor allen!"
Und im Chor hallte es wieder den ganzen
wutspeienden, dampfenden, stinkenden Haufen hin-
durch. Schon waren sie handgemein. Rollfink
sprang vor den Meister, der ruhig und ernst sich
dem Ansturm dargeboten hatte. Die Knüttel krach-
ten sausend nieder, die Krallen rissen ins lebendige
Fleisch, der Meister sank in sein Blut zu Boden,
der schreiende, mordende Haufen wälzte sich über
ihn herein, und anfeuernd krächzte von der Stiege
her der braune Karmeliter seinen Exorzismus:
„Fahre hinaus, Satan, im Namen des Herrn!"
Plötzlich stand die brüllende Woge; was ist
das? Bleiches Entsetzen! Hinten aus der Ecke
heraus bewegt sich etwas, schleifend, schlürfend
nähert es sich, aus seiner ewigen Totenruhe tritt
das Skelett, drohend hebt es den fleischlosen Arm,
und durch die atemstille Ruhe klappert das dürre
Gebein auf die erstarrte Menge zu.
„Der Teufel, der leibhaftige Teufel! Lauft,
rettet, der Teufel!" so schreien und toben sie, die
Knüttel entfallen den Fäusten, die Weiber kreischen
verrückt, und der fliegenden Kutte des Paters
Quintilian nach zerstiebt der tolle Haufen, stürmt
die Stiege hinauf, hinaus.
„Gott sei Dank!" atmete die tapfere Therese
auf und kroch hinter dem Skelett hervor; „das
war zur rechten Zeit!" Dann hoben sie den ver-
wundeten Meister sorgsam vom Boden. Drüben
im Dom hatte das Osterläuten plötzlich ein Ende,
der Herr war erstanden, der wiedergekommen,
die Welt zu erlösen und zu befrei'n.
Am andern Morgen war der brave Magister
Rollfink und mit ihm die Schüler des Professors
Gynäkomystax mitsamt ihren wundem Meister un-
behelligt aus der Wienerstadt hinausgezogen, fort
in ein anderes Land, erlöst und befreit. In ihrer
1579
denken. Aber was kann ich dafür, daß ich des
Unehrlichen Tochter bin?"
Der andere, der im weiten, schwarzen Mantel,
sagte gar nichts dazu, sondern küßte sie nur un-
entwegt auf den weichen, im Nachtwind so Kühlen,
seligen Mund. Nach einer Zeit aber ließ er sie
los und warf den Kopf hoch' „Was geht's nach
an, was das dumme Pack über dich denkt. Mein
Lehrer, der große, gescheite Mann, hat mir die
Augen geöffnet und allen alten Unsinn und Aber-
glauben des Stadtpöbels habe ich verachten ge-
lernt. Weißt du, Therese," -fuhr er eifrig fort,
„er würde mich sehr geringschätzen, wenn ich dich
liebte und dich dennoch stehen ließe, nur weil
dein Vater, na, weil er der Freimann ist. O,
mein Meister ist nicht nur ein großer Gelehrter,
er ist auch ein guter Mensch mit weichem, offenen
Herzen. Und dann," setzte der junge Mann
lächelnd hinzu, „könnte er dir gegenüber denn
anders? Du hast ihm ja doch schon so manchen
guten Dienst geleistet, meine tapfere Theres."
„Pst! Pst!" fuhr sie ihm ins Wort und knixte
vor ihm im schimmernden Mondenschein, wie drin-
nen im Tanzsaal die bürgerlichen Fräulein beim
Fackelreigen. „Ist schon gut, Herr Magister
Rollfink, des größten Gelehrten gelehriger Schüler
und Nachfolger; ist schon gut, das hat die tapfere
Theres ja doch alles nur Euch zuliebe getan,
mein hoher Herr!"
Er drückte sie wieder stürmisch an sich, und
eine Weile standen sie stumm. Plötzlich riß sich
der Magister Rollfink los und meinte: „So, jetzt
aber ans Werk, meine Liebe! Ich denke, es wird
höchste Zeit dazu, und ob des Kofens darf ich
aufs andere nicht vergessen." Damit stiegen sie
beide den Hügel hinan. Es rauschte und fegte
gespenstisch der Wind im Gestrüpp und den Fichten-
kronen, und ein par aufgescheuchte Nachtvögel
flogen krächzend davon, eine Fledermaus flatterte
allzu nahe an der Therese Gesicht vorbei, daß sie
heftig aufschrie. Dann aber lachte sie: „Was
man doch schrecksam wird bei so einem Beginnen;
Unsinn! Wie kann man so schreien!" Oben ange-
kommen, machte sich das Liebespaar über den
einsam Baumelnden her. Der Magister kroch
die Leiter hinan, die sein Liebchen ihm an den
Galgen gelehnt hatte und nun sorgsam festhielt.
Dann knüpfte er nicht ohne Mühe — Meister
Wullinger verstand sein Geschäft! — den Knoten
der hänfernen Schlinge los, und der Fahrende,
dem die Wiener Ordnung so übel mitgespielt, lag
im taufeuchten Gras. Rasch nahmen ihn die
beiden auf, hüllten ihn in des Magisters weiten
Mantel und schlüpften selbander mit der frischen
Beute den Hügel hinab, den Graben entlang,
dem Tore zu und der stillen Stadt.
In der Badergasse stand seit alter Zeit schon
das Drei-Sensen-Haus, und die guten Wiener
lachten dazu, daß gerade unterm Wappen mit
des Sensenmannes Hippe der hochgelehrte Pro-
fessor der Anatomie und Medizin seine Behausung
aufgeschlagen hatte, der Magister und Doctor
Gynäkomystax, wie er sich, und Kajetan Weyps-
bart, wie das Taufregister von St. Stefan ihn
nannte. Vom nahen Dome klangen die Oster-
glocken herüber, die zur Nachtandacht der Auf-
erstehung des Herrn die gläubigen Wiener riefen.
Durch die erleuchteten Kirchenfenster drang das
jubelnde Halleluja, Christ ist erstanden, der Herr
lst wiedergekommen, die Welt zu befreien. Es
schwoll durch die Lüfte über die ganze Stadt da-
hln, es jubelte zum Nachthimmel auf, und. es
drang gedämpft in den tiefen Keller des Drei-
Sensen-Hauses hinunter. Dort saß der Professor
der alma mater Viennensis, der gelehrte Gynä-
komystax. Saß in seiner schwarzen Doctorsschaube
an einem langen Holztisch und schärfte am Wetz-
stein ein blankes, dünnes Messer, saß und horchte
ungeduldig dein Halleluja entgegeii, das in seinen
faustischen Keller schwebte, horchte stets wieder
zur Türe hin, die zur Stiege führte. Ein par
Schemel standen um den Tisch, und auf ben
Schemeln saßen stumm und ehrerbietig junge und
Gbristeitgels Abschied vom Bimmelsvater
»Also Adieu! Und fiten’ nicht in die Nähe von
Hofjagden, Du könntest sonst für'n Fasan gehalten
werden!"
alte Männer und sahen bald auf den Lehrer, bald
erwartiingsvoll auf die Türe hin, die sich nicht
rühren wollte. Die Ampel warf von der Decke
herab ein mäßiges Licht in den Raum, das
neckisch in seinem Flackern und Huschen mit
dem säuberlich gereinigten Totengebein in der
Ecke drüben spielte; ein kunstvoll zusammenge-
fügtes Menschenskelett sah von dort herüber, und
die leeren Höhlen im Schädel grinsten verständ-
nisinnig auf das Messer des Professors, das eilig
auf denn Steine hin und wieder fuhr und mit
seinem Blitzen im Ampellicht den: glatten Gesellen
hinten im Winkel heitere Antwort gab.
Da erhob sich der Doctor Gynäkomystax von
seiner Arbeit, trat einmal an die Türe, dann an
den Tisch zurück, dann an das Skelett im Hinter-
grund, fuhr in unterdrückter Ungeduld ein par
mal mit der Hand die blanken Knochen entlang
und richtete da und dort ein Knöchelchen wieder
ein, das aus seiner Darmsaitenschlinge geschlüpft
war. Endlich hielt er sich nicht länger und, zu
den Schülern gewendet, die in derselben Unruhe
auf ihren Schemeln rückten, rief er aus: „Wenn
ihm nur nichts Böses geschehen ist bei dem nächt-
lichen Gang! Jedesmal die zitternde und fürchtende
Angst! O Gott, da läuten sie drüben dein Halleluja
ein, weil du dich für deine Menschen geopfert
hast und die Welt befreit; und wir? Wahrheit
und Leben suche ich im. Heil der Kranken; aber
bei Nacht und Nebel ziehen meine Schüler den
gefährlichen Weg, den nur der bornierte Aber-
glaube uns verbieten konnte; und hier herunten
— wenn sie uns entdecken, zerreißt uns die Wut
der Dummheit und des Vorurteils. Wenn ihm
nur nichts Böses passiert ist, meinem braven
Magister Rollfink!"
Wie er noch klagte, polterte etwas die Treppe
herab drückte, an die Türe, sie sprang auf, und
Rollfink mit zwei anderen keuchte herein. Eine
schwere Last, in einen Mantel gehüllt, legten sie
atemlos auf den Seziertisch und schlugen die Hülle
von dem halbbekleideten Leichnam zurück. Eines
armen Teufels eingefallenes Sündergesicht grinste
die Männer an, um den Hals lief ihm ein dun-
kelroter Streifen, und schlaff und mager hingen
ihm die Gliedmaßen vom Leib.
Und nun begann das Werk. Der Meister
trat an den Toten heran, mit wißbegierigen Augen
folgten ihm die andern, wie er mit sicherer Hand
in das Dunkel griff, suchend, findend, dem vor-
dringenden Führer, dem Messer nach; hinein in
das Jahrtausende hindurch verschlossene Geheim-
nis; hier auf den Spuren des entwichenen Lebens
bis zu den letzten bangen Fragen, dort wieder
die Muskeln, die Adern, die Nerven wie helle
Bahnen entlang, daß der stunrme, geduldige Kör-
per des armen Schächers, den sie im Leben mehr
gequält, als dieses suchende Messer es vermochte,
reiche Antwort gab auf das drängende Forschen,
eine Antwort, aus der den Millionen kommender
Geschlechter Heil und Gesundheit erblühen sollte.
Ein seltener Gottesdienst für die Männer um
ihren Lehrer in dieser Charsamstagnacht. Ihr
hallender, prunkender Dom — das feuchte Keller-
loch ; ihr Altar mit den heiligen Zeichen — ein
hölzerner Tisch; ihr Wege weisender Priester —
der Meister in der Doctorsschaube; und ihr ehr-
würdiges, unendliches Heiligtum — die geheim-
nisvolle, hoheitsmächtige Natur, die ihre schim-
mernden Pforten öffnete, weitaus: herein, herein!
Aufklärung und Wissen und Freiheit sind eure
höchsten und geheiligten Güter!
Da klirrte die Türe, wie sie plötzlich aufflog,
erschrocken fuhren die Männer von der Arbeit
auf. Die schöne Theres sprang in den Keller
herein. Mit hastenden, fliegenden Worten rief
sie den Aufhorchenden zu, der Karmeliter Quin-
tilian habe ihnen nachgespürt, wie sie den Leich-
nam vom Galgen gestohlen, und nun hetze er
die Menge im Dom mit wilden Worten gegen
die bösen Zauberer auf — die ganze Meute sei
schon auf dem Wege hieher zum Drei-Sensen -
Haus; entsetzlich höre man sie durch die Nacht
heulen: „Auf, auf, Rollfink, rettet euch, bevor sie
da sind!" rief das tapfere Mädel den Männern zu.
Aber es war zu spät. Ein Drohen und Johlen
und Stampfen erscholl von oben, als ob eine
Herde Teufel über den Flur fegte. Näher, immer
näher, jetzt drängte, kollerte, stolperte es die Treppe
herab, eine wilde aufgehetzte Rotte. Voran der
Pater Quintilian. Hoch hinein in den Kellerraum
streckte er ein Kruzifix als Schild und Wehr,
rings um ihn schwangen wüste Fleischerknechte
Knütteln und Äxte, und hinter diesen im blutroten
Fackelschein haß- und wutverzerrte, brüllende
Fratzen, keifende Vetteln, mit den zahnlosen
Mäulern klappernd, wie Katzen die Krallen zum
Angriff gestreckt. Zu seinem Troß gewendet, schrie
der Pater mit heiserer, überschnappender Stimme:
„Reißt sie heraus, die Gotteslästerer, die Leichen-
schänder! Haut sie nieder, die Hexenmeister, die
Zauberer und die Satansdirne vor allen!"
Und im Chor hallte es wieder den ganzen
wutspeienden, dampfenden, stinkenden Haufen hin-
durch. Schon waren sie handgemein. Rollfink
sprang vor den Meister, der ruhig und ernst sich
dem Ansturm dargeboten hatte. Die Knüttel krach-
ten sausend nieder, die Krallen rissen ins lebendige
Fleisch, der Meister sank in sein Blut zu Boden,
der schreiende, mordende Haufen wälzte sich über
ihn herein, und anfeuernd krächzte von der Stiege
her der braune Karmeliter seinen Exorzismus:
„Fahre hinaus, Satan, im Namen des Herrn!"
Plötzlich stand die brüllende Woge; was ist
das? Bleiches Entsetzen! Hinten aus der Ecke
heraus bewegt sich etwas, schleifend, schlürfend
nähert es sich, aus seiner ewigen Totenruhe tritt
das Skelett, drohend hebt es den fleischlosen Arm,
und durch die atemstille Ruhe klappert das dürre
Gebein auf die erstarrte Menge zu.
„Der Teufel, der leibhaftige Teufel! Lauft,
rettet, der Teufel!" so schreien und toben sie, die
Knüttel entfallen den Fäusten, die Weiber kreischen
verrückt, und der fliegenden Kutte des Paters
Quintilian nach zerstiebt der tolle Haufen, stürmt
die Stiege hinauf, hinaus.
„Gott sei Dank!" atmete die tapfere Therese
auf und kroch hinter dem Skelett hervor; „das
war zur rechten Zeit!" Dann hoben sie den ver-
wundeten Meister sorgsam vom Boden. Drüben
im Dom hatte das Osterläuten plötzlich ein Ende,
der Herr war erstanden, der wiedergekommen,
die Welt zu erlösen und zu befrei'n.
Am andern Morgen war der brave Magister
Rollfink und mit ihm die Schüler des Professors
Gynäkomystax mitsamt ihren wundem Meister un-
behelligt aus der Wienerstadt hinausgezogen, fort
in ein anderes Land, erlöst und befreit. In ihrer
1579