Karl Arnold (München)
£raufee Heim — Stück altem!
und ein rotbäckiges, dralles Mädchen, die ganz
für sich marschierten. Der Knabe trug an einer
Stange ein Schild, das besagte: „Mein Vater
war ein Biertrinker!" Des Mägdleins Schild
besagte: „Meine Eltern tranken jederzeit Wasser!"
Weibliche Agitatoren hatten eine Liste aller Fa-
milien ausgefertigt, wo irgend ein alkoholhaltiges
Getränk getrunken wurde. Diese suchten sie auf,
von Haus zu Haus, und beschworen sie, vom
Sündenpsade abzuweichen und sich ihnen anzu-
schließen. Auch zu Fritz und Billy kamen sie.
Die ließen sie aber gar nicht erst hinein.
„Billy," sagte Fritz eines Abends, wie sie
daheim waren, „es sieht wässerig aus, sehr wässerig,
trotz unserer Gegen-Anstrengungen!"
„Ja," sagte Billy betrübt, „es ist wie eine
Epidemie, die die Menschen plötzlich befallen hat.
Einer steckt den andern mit seinem Fanatismus
an, besonders die fanatischen Weiber."
Ihre Befürch'ungen erfüllten sich. Die Wahlen
endeten mit einem Siege der Abstinenzler. Die
ganze Grafschaft und das Städtchen dazu waren
„trocken gelegt", wie die Wasserapostel das nannten.
Jede Kneipe mußte schließen, aber auch die Hinzel-
mannsche Brauerei. Onkel Jakob und die Arbeiter
konnten sich nun nach anderen Beschäftigungen Um-
sehen. Der Jubel der Abstinenzler kannte keine
Grenzen. Die eine der beiden Zeitungen des
Städtchens, die für die Abstinenzler eingetreten
war, brachte den Bericht des Sieges mit der fett-
gedruckten Überschrift: „Triumph des Wassers!"
und dazu ein großes Bild, das eine Wasser-Karaffe
im Kampfe mit einer Weinflasche, einer Bierflasche
und einer Whiskeyflasche zeigte. Die Karaffe und
die drei Flaschen waren als Boxer dargestellt, mit
dicken Boxhandschuhen an den Händen. Alle drei
Flaschen lagen zerbrochen am Boden. Ihr Inhalt
entströmte ihnen, wie das Blut eines zu Tode
Getroffenen.
Fritz und Billy waren von dem Ergebnis nichts
weniger als erbaut. Die Schließung der Brauerei
bedeutete für sie einen empfindlichen finanziellen
Verlust, der sie zu wesentlichen Einschränkungen
nötigte. Dann hatten sie zu der Gegen-Agitation
gegen die Abstinenzler Geld hergegeben, das natür-
lich ebenfalls verloren war. In Verbindung mit
all dem, machte sich der Boykott der Abstinenzler-
fühlbarer als früher.
Und wieder sprach Fritz, der Arzt, eines Abends
zu Billy:
„Billy, ich fange an zu erwägen, ob ich nicht
unter die Wassergläubigen gehen soll!"
„Aber Fritz!" erwiderte Billy, „denke daran»
was wir dem Vater versprochen haben!"
Fritz zuckte die Achseln.
„Dann müssen wir abwarten, ob die Leute wie
sonstwo die Abstinenz auf die Dauer leidig be-
kommen und wieder abschaffen! Solche Wunder
geschehen ja."
Das war nun zwar nicht der Fall. Aber ein
anderes Wunder geschah. Es mochten so an die
acht Tage nach dem Wassersiege vergangen sein,
als eines Morgens ein Bekannter zu Dr. Fritz
Hinzelmann in die Sprechstunde kam. Es war
der Hufeisen-Fabrikant Dickinson.
„Herr Doktor," sagte Mr. Dickinson und kniff
mit spitzbübischem Lächeln ein Auge zu, „ich fühle
mich gar nicht wohl. Mein Magen ist irgendwie
außer Ordnung — Erkältung oder so was. Wäre
da nicht ein guter Whiskey eine vortreffliche Medi-
zin? Als Medizin auf ärztliches Rezept hin gestattet
uns ja das Gesetz, ihn zu nehmen."
Fritz lachte verständnisvoll.
„Ich verstehe schon. Natürlich ist für solche
Sachen Whiskey eine gute Medizin. Gleich sollen
Sie Ihr Rezept haben. Wollen mal sagen — zu-
nächst einen halben Liter — wie?"
„Ja, das wird genügen — zunächst!" sagte
Dickinson grinsend. „Wenn's nicht hilft —"
„Kommen Sie wieder her!" beendete Fritz und
schrieb ihm das Rezept. „Hier haben Sie Ihr Re-
zept — aber unter einer Bedingung. Sie lassen das
in der Apotheke von meinem Bruder machen."
„Aber selbstverständlich!" erwiderte Dickinson
vergnügt und steckte das kostbare Rezept sorgfältig
in die Brusttasche. Dann reichte er dem Doktor
die Hand. „Ich fürchte, mein Magenübel wird
eine langwierige Sache werden, wie alle Magen-
leiden."
„Ich hoffe es!" sagte Fritz und schüttelte ihm
lachend die dargebotene Hand. Dann trollte sich
der Patient. Er steuerte geradeswegs in Billys
Apotheke, erhielt seine Medizin und brachte sie
daheim in seinem Rauchzimmer im Bücherschrank
unter — hinter Byrons Dichtungen und einem
dicken Buche über den Segen der Abstinenz.
Und siehe da — Dickinson folgten andere Pa-
tienten gleicher Art. Sie kamen zu Fritz, weil
1609
£raufee Heim — Stück altem!
und ein rotbäckiges, dralles Mädchen, die ganz
für sich marschierten. Der Knabe trug an einer
Stange ein Schild, das besagte: „Mein Vater
war ein Biertrinker!" Des Mägdleins Schild
besagte: „Meine Eltern tranken jederzeit Wasser!"
Weibliche Agitatoren hatten eine Liste aller Fa-
milien ausgefertigt, wo irgend ein alkoholhaltiges
Getränk getrunken wurde. Diese suchten sie auf,
von Haus zu Haus, und beschworen sie, vom
Sündenpsade abzuweichen und sich ihnen anzu-
schließen. Auch zu Fritz und Billy kamen sie.
Die ließen sie aber gar nicht erst hinein.
„Billy," sagte Fritz eines Abends, wie sie
daheim waren, „es sieht wässerig aus, sehr wässerig,
trotz unserer Gegen-Anstrengungen!"
„Ja," sagte Billy betrübt, „es ist wie eine
Epidemie, die die Menschen plötzlich befallen hat.
Einer steckt den andern mit seinem Fanatismus
an, besonders die fanatischen Weiber."
Ihre Befürch'ungen erfüllten sich. Die Wahlen
endeten mit einem Siege der Abstinenzler. Die
ganze Grafschaft und das Städtchen dazu waren
„trocken gelegt", wie die Wasserapostel das nannten.
Jede Kneipe mußte schließen, aber auch die Hinzel-
mannsche Brauerei. Onkel Jakob und die Arbeiter
konnten sich nun nach anderen Beschäftigungen Um-
sehen. Der Jubel der Abstinenzler kannte keine
Grenzen. Die eine der beiden Zeitungen des
Städtchens, die für die Abstinenzler eingetreten
war, brachte den Bericht des Sieges mit der fett-
gedruckten Überschrift: „Triumph des Wassers!"
und dazu ein großes Bild, das eine Wasser-Karaffe
im Kampfe mit einer Weinflasche, einer Bierflasche
und einer Whiskeyflasche zeigte. Die Karaffe und
die drei Flaschen waren als Boxer dargestellt, mit
dicken Boxhandschuhen an den Händen. Alle drei
Flaschen lagen zerbrochen am Boden. Ihr Inhalt
entströmte ihnen, wie das Blut eines zu Tode
Getroffenen.
Fritz und Billy waren von dem Ergebnis nichts
weniger als erbaut. Die Schließung der Brauerei
bedeutete für sie einen empfindlichen finanziellen
Verlust, der sie zu wesentlichen Einschränkungen
nötigte. Dann hatten sie zu der Gegen-Agitation
gegen die Abstinenzler Geld hergegeben, das natür-
lich ebenfalls verloren war. In Verbindung mit
all dem, machte sich der Boykott der Abstinenzler-
fühlbarer als früher.
Und wieder sprach Fritz, der Arzt, eines Abends
zu Billy:
„Billy, ich fange an zu erwägen, ob ich nicht
unter die Wassergläubigen gehen soll!"
„Aber Fritz!" erwiderte Billy, „denke daran»
was wir dem Vater versprochen haben!"
Fritz zuckte die Achseln.
„Dann müssen wir abwarten, ob die Leute wie
sonstwo die Abstinenz auf die Dauer leidig be-
kommen und wieder abschaffen! Solche Wunder
geschehen ja."
Das war nun zwar nicht der Fall. Aber ein
anderes Wunder geschah. Es mochten so an die
acht Tage nach dem Wassersiege vergangen sein,
als eines Morgens ein Bekannter zu Dr. Fritz
Hinzelmann in die Sprechstunde kam. Es war
der Hufeisen-Fabrikant Dickinson.
„Herr Doktor," sagte Mr. Dickinson und kniff
mit spitzbübischem Lächeln ein Auge zu, „ich fühle
mich gar nicht wohl. Mein Magen ist irgendwie
außer Ordnung — Erkältung oder so was. Wäre
da nicht ein guter Whiskey eine vortreffliche Medi-
zin? Als Medizin auf ärztliches Rezept hin gestattet
uns ja das Gesetz, ihn zu nehmen."
Fritz lachte verständnisvoll.
„Ich verstehe schon. Natürlich ist für solche
Sachen Whiskey eine gute Medizin. Gleich sollen
Sie Ihr Rezept haben. Wollen mal sagen — zu-
nächst einen halben Liter — wie?"
„Ja, das wird genügen — zunächst!" sagte
Dickinson grinsend. „Wenn's nicht hilft —"
„Kommen Sie wieder her!" beendete Fritz und
schrieb ihm das Rezept. „Hier haben Sie Ihr Re-
zept — aber unter einer Bedingung. Sie lassen das
in der Apotheke von meinem Bruder machen."
„Aber selbstverständlich!" erwiderte Dickinson
vergnügt und steckte das kostbare Rezept sorgfältig
in die Brusttasche. Dann reichte er dem Doktor
die Hand. „Ich fürchte, mein Magenübel wird
eine langwierige Sache werden, wie alle Magen-
leiden."
„Ich hoffe es!" sagte Fritz und schüttelte ihm
lachend die dargebotene Hand. Dann trollte sich
der Patient. Er steuerte geradeswegs in Billys
Apotheke, erhielt seine Medizin und brachte sie
daheim in seinem Rauchzimmer im Bücherschrank
unter — hinter Byrons Dichtungen und einem
dicken Buche über den Segen der Abstinenz.
Und siehe da — Dickinson folgten andere Pa-
tienten gleicher Art. Sie kamen zu Fritz, weil
1609