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F. Staeger

Meiner Heimat junge Mütter fterben lächelnd ..

Wenn die jungen Mütter fterben, die ein Leben erst geboren,
Streu’n in meiner Heimat junge frouen, die gesegnet, Körner,
Roggenkörner letzter Ernte in den Sarg und auf die Erde,

Küssen dreimal auch des Kindleins Mund und Stirne,

Dafj die junge, tote Mutter sorglos ohne Kummer schlafe >

Weil dem Kindlein Brot erwüchse, es auch selbst gedeihe roie

ein Körnlein,

Dos die Hand des Sämanns in die frühlingserde bettet,

Weil die jungen Mütter es mit lebensroarmen Händen herzen,

An die elg’ne krnftgefdirocllte, hoffnungsfreud'ge Brust es drücken,
Dass in feinen ersten Lebensstunden es des Mutterherzens

Pochen nicht vermisse.

Und die jungen Mütter forschen bonge, ob die Tote lächle i
Lächelt sie, so ist des eignen Leibes frucht gesegnet.

Meiner Heimat junge Mütter fterben lächelnd ....

Konrad Sellner (Brünn)

in überzärtlichem Ton viel Kosenamen
und Ermahnungen, und die Andern
betrachteten ihn wie junge Mütter.

Sie fragen den alten Mann dies und
das, und er antwortete ihnen bedäch-
tig, wie großen Leuten.

Knaben aus der Nachbarschaft stell-
ten sich in den Kreis. Ein großer
zottiger Hund, der mit ihnen befreun-
det war, drängte sich wedelttd vor,
leckte dem Baptist die Finger, die
das Kissen wieder umschlossen, und
legte sich vor ihm nieder. Die Buben
spotteten, nach Baptists Beifall lüstern,
über die Mädchen, sprachen von Arbeit
und Kraft, stellten sich in Posen und
spuckten.

Zuletzt flog auch die schwarze
Krähe Zakob herbei, welche sich von
den lieben Menschen auch tticht trennen
konnte, als ihr die gestutzten Flügel
wieder gewachsen waren. Sie hatte
den Lärm auf einer benachbarten Dach-
rinne gehört und setzte sich nun dem
Greis krächzend auf die Schulter.

Die Nachbarn sahen aus Stalltür
und Fernster herüber und grüßten. Aus
dem Innern des Hauses kam die
Schwiegertochter, groß und frisch und
stark, sah verwundert auf die Ver-
sammlung nieder und sagte lachend:

„Na Vater! Ihr sitzt da wie die
Heiligen in den Büchern, und Leute
und Vieh stehen um Euch her!"

Und nach einer Weile flüsterte sie be-
gütigend: „Seid doch froh! Wenn die
Sau verkauft ist, geht Ihr nach Ein-
siedel»! Ich richt' Euch die Wäsche
schön her. Die Mutter Gottes hilft Euch
sicher! Unsere Kinder brauchen des-
wegen nicht gleich Hunger zu leiden!"

Da zerriß der böse Schleier von
Mißbehagen, der ihn umschloß, für
einen Augenblick. Seine Brust schmerzte
ihn, daß ihm das Wasser in die Augen
kam. Er schielte nach dem Weib
und nach de» heil- und dunkelblon-
den Köpfen vor sich uitd wollte ver-
gehen vor weher Dankbarkeit gegen die
Welt. . Zuerst ging die Fra», dann die
Buben mit dem Hund, daun die Mäd-
chen, und am Ende flog auch Jakob
davon, der die laute Gesellschaft liebt.

Der unheilige Alte saß allein mit dem Kind
und sah wieder in seine reinen, schönen, leeren
Augensterne.

Und da löste sich sein müder Geist von der
Welt. Es war ihm, als habe er sich ein Jahr
zu lang verweilt unb müsse eiligst gehen: er stahl
den andern ja die Fröhlichkeit!

Schenken, schenken konnte er nur mit seinem
Tod . ..

Am andern Morgen erwacht die Schwieger-
tochter um 4 Uhr. Sie hat die Stalitür leise
gehen hören. Hastig fcijleirijt sie int Hemd hinaus
und tastet sich leise durchs dunkle Haus.

Der 'Sitte steht auf einem Schemel hinten bei
der letzten Kuh und späht nach der Nahenden,
während er deit Strick wieder vom Balken an
der Decke zieht.

„Um Gotteswille», Vater!" ist alles, was die
Entsetzte sagt. Damt läuft sie zurück, holt ihre
Kleider und bleibt in seiner Nähe.

„Sie haben mich verjagt," erzählt er ein
paar Tage später dem Friedele in der Germania.
„Aber ich tu's ja doch."

„Die Sünde. Baptist, so etwas zu sagen!
Die Sünde! Schämt Ihr Euch denn nicht?"

Er lächelt überlegen. „Davon verstehst Du
nichts, Friedele. Keine Sünde. . ."

Sicht Tage darauf kam er abends nicht heim
aus ben Reben; den ganzen Tag hatte er ge-
arbeitet für feinen Sohn.

Ein Fischer fand ihn durch Zufall schon am
zweiten Morgen. Er lag im See, auf dem Grund
des Uferwassers, kaum einen Meter tief.

Seine Knie wäre» gebogen, und die Fäuste
umschlossen einen Stein, der ihn am Auftauchen
verhindern sollte. Er war also einfach nieder-
gekniet und hatte ben Kopf unter das Wasser
gehalten, bis er tot war. Die Weilen hatten
ihn nicht umwerfe» können, weil er auch noch
bewußtlos und dann erstarrt den Stein umklam-
mert hielt.

So sich hat dieser Niese über Leben und Tod
befohlen — —

Rindermund

Der vierjährige Heinrich spielt allein im
Zimmer. Sein älterer Bruder Paul tritt ein und
cs entwickelt sich folgendes Gespräch zwischen ihnen:

Pani: „Mas machst Du denn unter dem
Tische, Heinrich?"

Heinrich: „Ach, las; mich doch, siehst Du
denn nicht, daß ich ein Löwe bin und Eier lege?"

P a u l (sehr entrüstet): „Ja, aber mit der guten
Hose!"

Der Lhanragist

Erzählung aus dem High Liks

Von Aekadt Awertfchenko

Wir führten die denkbar leerste
Unterhaltung. Soweit mir erinnerlich
ist, drehte sie sich um gesunkene Sdjiffe
und die Mittel, sie zu heben. Tausende
von ähnlichen Gesprächen führen Leute,
die einander zufällig begegnet sind.

Die Wahl unseres Gesprächsstoffes
erklärt sich damit, daß wir am Ufer
eines Flusses auf einer schief gewor-
denen Bank saßen.

Der Herr, mit dem ich mich unter-
hielt, war ein alter, ergrauter Mann
. . . Sorgen und Trübsal hatten sei»
Gesicht erbarmungslos entstellt, ihm
eine Menge tiefer Falten auf Stirn,
Wangen und Lippen gepflügt.

Unser Gespräch schleppte sich so hin.
Er paßte eine Pause in der Unter-
haltung ab, wandte sich mit ihm sonst
nicht eigener Lebhaftigkeit mir zu und
stellte die Frage:

„Haben Sie sich jemals mit Chan-
tage beschäftigt?"

„Hab es nicht versucht. Ich bin
Comptoirist, Graveur, Schriftsteller
gewesen, aber mit Chantage habe icl)
mich nicht beschäftigt."

„Es fehlte Ihnen wohl die Gelegen-
heit?"

„Nein, einfach so . . Aber wes-
halb interessiert Sie das?"

„Ich Hab es versucht."

„Ist es einträglich?"

„Hören Sie . . . Sie sind ein junger
Mann und es kann Ihnen zu statten
komme» .... Heute ist die Welt
eine andere geworden, alles ändert
sich mit schwindelerregender Geschwin-
digkeit fast in jedem Jahr, — und
wer das nicht diseontiert, ist ein
Dummkopf."

„Nicht möglich?"

„Ich versichere Sie. Hören Sie
also . . Es war vor vierzehn Jahren,
im Sommer, in einem Bade, wo ich
mich ein wenig behandeln ließ und
sehr viel faulenzte. Mit Chantage hatte
ich mich damals noch nicht befaßt.
Das war mir auch niemals vorher in den Kopf
gekommen. Vielleicht aber hatte ich bloß keine
Gelegenheit gehabt, wie das bei Ihnen der
Fall ist."

Ich öffnete den Mund, um ihm etwas zu
entgegnen, aber er machte eine beschwichtigende
Handbewegung:

„Schon gut! Schmi gut! Das ist delikate
Privatangelegenheit, die nur Sie selbst etwas
angeht. Mir aber passierte folgendes: Als ich
einmal Morgens am Strande bummelte, sah ich
hart am Wasser ein Mädchen von sieben, acht
Jahren im Sande sitzen. Sie hockte in unge-
zwungener Stellung da und betrachtete eine mikro-
skopisch-kleine Krabbe, die sie eben gefangen hatte.
Im Eifer dieser Beschäftigung gab das harmlose
Kind nicht acht auf seinen Anzug. Das kurze
Kleidchen hatte sich nach oben gezogen und ließ
die nackten Beinchen sehen, und als mein zer-
streuter, unaufmerksamer Blick auf diese Beinchen
fiel, bemerkte ich auf der linken Hüfte über dem
Knie ein Muttermal. Es war wallnußgroß und
stach mit seinem satten Braun stark vom Hinter-
gründe der weißen Haut ab.

Ich ging vorüber und — stellen S!e^ sich vor
— ganz mechanisch begannen meine Gedanken
sich mit dem Mädchen, mit diesem Muttermal
zu beschäftigen. Jetzt, dachte ich, schämt sich dieses
Naturkind seiner Blöße nicht, wenn aber das
Mädchen sich zur Jungfrau, zur Gattin ent-
wickeln wird, wird von diesen: Muttermal nur
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[nicht signierter Beitrag]: Kindermund
Ferdinand Staeger: Illustration zum Text "Meiner Heimat junge Mütter sterben lächelnd.."
Arkadij Timofejewitsch Awertschenko: Der Chantagist
Konrad Sellner: Meiner Heimat junge Mütter sterben lächelnd..
 
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